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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 25.10.2007


HipHop-Hooray - Interview mit Jeannette Petri
Stefanie Denkert

AVIVA Berlin sprach mit Jeannette Petri, der HipHop-Aktivistin und Herausgeberin des "Anattitude Magazine", über die neueste Ausgabe des HipHop-Zines, Frauen im HipHop und ihre spannende Fotografie.




HipHop is what she came to represent:
Jeannette Petri (geb. 1974) ist seit vielen Jahren in der HipHop-Szene als Autorin, Filmemacherin, Fotografin, DJane und Herausgeberin des internationalen "Anattitude Magazine" unterwegs. Sie kommt ursprünglich aus Frankfurt am Main und lebt momentan in Brüssel und Paris.

AVIVA-Berlin: Hallo Jeannette Petri! "Anattitude Magazine" ist gerade in der zweiten Ausgabe (mit der Pariser HipHop-Szene als Schwerpunkt) erschienen. Kannst Du uns ein wenig über das "Anattitude Magazine" erzählen: Was bedeutet der Titel, was war Deine Motivation dafür, was sind Deine Themen und wer arbeitet noch daran mit?
Jeannette Petri: Hallo Aviva! Anattitude Magazine ist ein internationales HipHop Magazine. Anattitude präsentiert HipHop-Ladies mit Attitude. Anattitude ist Attitude, AM nimmt eine Attitude, eine Haltung im HipHop und Leben ein und repräsentiert sie. Neben den traditionellen Elementen Rap, Djing, Graff und Breakdance präsentiert AM History, Film, Fotografie und Fashion. Vorgestellt werden HipHop Aktivistinnen aus der ganzen Welt in ausführlichen Porträts – Interviews und Fotografien; Themen sind HipHop, Gender und Identität. AM ist aber auch eine Plattform und ein Netzwerk. Motivation für AM ist die Tatsache, dass aus welchen Gründen auch immer, internationale HipHop Magazine "male" sind, und das aber nicht die Realität darstellt. Momentan ist das Team von AM noch sehr klein, es besteht hauptsächlich aus mir und Freunden. Doch das Team wird sich schon mit der nächsten Issue vergrößern.

AVIVA-Berlin: Wie und wann bist Du HipHop-Fan geworden?
Jeannette Petri: Mein Zugang zu HipHop kam über Rap. Mit 13, 14 hörte ich Public Enemy und LLCoolJ. Nachdem ich Rap für Punk aus den Augen und Ohren verloren hatte, bin ich über elektronische Musik wieder zu Rap gekommen. Und richtig eingestiegen bin ich erneut 2000 nachdem ich einen ´oldschool´ Freestyle-Rap von Roxanne Shanté im Radio gehört habe, und mich ihre Power und Direktheit derart umgehauen hat, dass mich HipHop seitdem nicht mehr losgelassen hat, sondern sich immer weiter auf die verschiedenen Ebenen und Genres ausgeweitet hat. Aber angefangen hat es, dass ich begonnen habe, Platten von female Mcs aus allen Plattenläden der Welt zu sammeln und aufzulegen. Dann kam 2004 mein History Reader "Here´s a little story that must be told”, also eine Recherchearbeit, die Timeline, und dann das Anattitude Magazine dazu. Aber auch manche Fotoarbeiten und Videos sind von HipHop beeinflusst.

AVIVA-Berlin: Als Mädchen war es doch sicher nicht so leicht, in der Szene mitzumischen, hast Du schnell gleichgesinnte Mädels getroffen und wie verschafft man sich Respekt in der Szene?
Jeannette Petri: Es ist wie überall, bleib wie Du bist und mach dein Ding, und lass dich nicht einschränken. Und um Respekt kämpft man nicht - Respekt kommt, um Angi von der Züricher Bgirl Crew "Dismissed" zu zitieren. Es ist einfach wahnsinnig wichtig, gute Netzwerke unter den Mädchen und Frauen aufzubauen. Das ist wirklich eins der großen Probleme: die wenigen Frauen, die es in der Szene gibt, denken leider oft, sie müßten sich alleine gegen die anderen Frauen und Mädchen Durchboxen, statt sich mit ihnen zusammenzutun. Aber ohne gut funktionierende Netzwerke ist es einfach überall schwierig.

AVIVA-Berlin: Inwiefern unterscheidet sich die französische HipHop-Szene von der deutschen? Ist in Frankreich die Szene auf Paris konzentriert? Und haben Frauen es dort einfacher?
Jeannette Petri: Es gibt wirklich große Unterschiede! Die zwei großen HipHop Metropolen Frankreichs sind Marseille und Paris. Natürlich passiert das meiste in Paris und der Ile de France. Der französische Rap ist sehr politisch engagiert und der deutsche Rap ist heute vor allem sehr unpolitisch. Es gibt in Frankreich kaum Funrap, Du rappst weil Du etwas zu sagen hast. Hast Du nichts zu sagen, nichts zu erzählen, dann gibt es auch keinen Grund zu rappen. Im französischen Rap wird all das thematisiert, was nicht in Ordnung zu sein scheint - von der französischen Regierung unter Sarkozy und Le Pen, die Aufforderung wählen zu gehen, die miserablen Lebensumstände in den Banlieues, die Kolonialisierung Frankreichs und deren Folgen, usw. Das unterscheidet den französischen Rap vom deutschen. Auch in Deutschland gab es die Thematisierung politischer Themen in den Anfängen, siehe Advanced Chemistry, Cora E. und Microphone Mafia. Aber nicht nur was den Rap angeht, scheint die HipHop-Szene in Paris um einiges lebendiger zu sein. HipHop nimmt einen größeren kulturellen Stellenwert ein. HipHop-Events werden von der Stadt und den Ministerien enorm gefördert, das gleiche gilt für Graffitiausstellungen, Battles, usw.
Zu den Ladies: eine der erfolgreichsten Rapper Frankreichs ist Diam´s, ansonsten sind Frankreichs Writerinnen und B-Girls sehr weit vorne. Frankreich ist weiter, denke ich. Es scheint hier selbstverständlich zu sein, dass Frauen natürlich einen großen Teil der HipHop-Kultur darstellen. Man spürt hier nicht so sehr dieses "Ah eine Frau, mal schauen, ob die es überhaupt drauf hat." Es scheint wirklich selbstverständlich zu sein, dass es Frauen genauso drauf haben, so mein Gefühl hier.

AVIVA-Berlin: In der ersten Ausgabe des "Anattitude Magazine" sind unter dem Titel "HipHop knows no Gender" großartige schwarz-weiß Fotografien, die Du selbst gemacht hast. Auch in der zweiten Ausgabe spielen Deine Fotos eine große Rolle. Werden Fotos von Dir auch in einer Ausstellung zu sehen sein? Oder wird es vielleicht einen Fotoband geben?
Jeannette Petri: Da ich Kunst mit dem Schwerpunkt Fotografie und Video studiert habe, habe ich natürlich auch ein großes Interesse, meine Fotos und Videos in Ausstellungen zu zeigen und bekomme Stipendien und Förderungen. Vor kurzem waren in Paris meine Fotografien in der Ausstellung "Welcome to Paris Hilton" zu sehen. Die farbige und s/w Serie "HipHop doesn´t know any Gender" wird hoffentlich bald als Bildband publiziert.

AVIVA-Berlin: Du scheinst den zeitgenössischen Feminismus zu repräsentieren: Du spielst mit Geschlechterrollen, zeigst die Konstruiertheit von Weiblichkeit und Männlichkeit, in dem Du sie vermischst. Dir scheint die Kategorisierung in Mann und Frau zu missfallen. Du forderst Respekt für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung und Herkunft. Würdest Du Dich selbst als Feministin bezeichnen?
Jeannette Petri: Klar, aber mit Gender und Queer Hintergrund.

AVIVA-Berlin: Im Grrrlzzines.net-Interview hast Du gesagt, dass Du Teil der "conscious HipHop" - Szene bist. Vielen Leuten sind eher Mainstream-KünstlerInnen bekannt, kannst Du uns deshalb erklären, was "conscious HipHop" bedeutet und warum Du Dich damit identifizierst?
Jeannette Petri: "Conscious" (engl.: bewusst) bezieht sich auf die politische Ausrichtung in den Texten und auf eine generelle kritische, bewusste Haltung. Also Rap, der eine politische, soziale Aussage verbreitet. Ich liebe die Direktheit von HipHop, insbesondere von Rap: Du denkst etwas und Du rappst es. Das gleiche gilt für Graffiti, usw. Mit Mainstreamrap und Funrap kann ich wenig anfangen.

AVIVA-Berlin: In dem deutschsprachigen Sammelband "Female HipHop" ist Deine sehr aufschlussreiche "Timeline" von Frauen im HipHop erschienen. Aufschlussreich, weil Du deren zentrale Rolle ans Licht bringst, die der Allgemeinheit nicht so klar ist. Was glaubst Du, wieso das der Fall ist? Hat sich die Recherche für Deinen Reader "Here´s a little story that must be told" (2004) und für Deine Timeline sehr schwierig gestaltet?
Jeannette Petri: Wieso werden weniger Frauen im HipHop, und in den Medien generell präsentiert? Es liegt nicht an dem oft genannten Grund, dass es keine Frauen im HipHop gibt, denn das zeigt u.a. die Timeline (die längst nicht vollständig ist), dass dies nicht so ist. Der Grund muss woanders liegen! Die Recherche für die Timeline hat natürlich ein Weilchen gedauert, seit 2004 wird sie ständig aktualisiert und in verschiedenen Publikationen veröffentlicht. Eine englische Timeline wird es erstmals in AM # 03 geben.

AVIVA-Berlin: Du bist auch als DJane unter dem Namen "Jee-Nice" unterwegs. Hast Du Dir den Namen selbst ausgedacht? Was bedeutet er für Dich?
Jeanette Petri: Jee-Nice war am Anfang Jeany-Nice. "Jeany" und "Nice" stecken in Jeannette. Doch irgendwann war das zu lang und wurde zu Jee-Nice, Jee oder einfach nur Nice. Und Jee in Anlehnung an Dee, .... eben oldschool HipHop. Als DJ lege ich auch vor allem oldschool Rap auf.

AVIVA-Berlin: An was für Projekten arbeitest Du gerade? Was planst Du für die Zukunft?
Jeannette Petri: Dank eines Stipendiums des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst lebe ich seit fast 6 Monaten in Paris. Nachdem ich die 2. Issue hier fertiggestellt habe, arbeite ich an neuen Fotografien, an der Distribution und bereite die 3. Issue vor. Die 3. Issue wird eine HipHop-History Issue, also mit Schwerpunkt auf die kaum publizierte female HipHop Geschichte. Es ist längst überfällig, dass die HipHop-Ladies der ersten Stunde gebührend ihren Platz finden, und alle darauf zugreifen können. Außerdem ´featurt´ AM 03 das internationale, in Rotterdam ansässige Frauen Graffiti Magazin "Catfight Magazine"

AVIVA-Berlin: Wenn unsere LeserInnen jetzt Lust auf das "Anattitude Magazine" bekommen haben, wo können sie es dann erwerben?
Jeannette Petri: AM ist in u.a. in den folgenden Läden zu kaufen: The Lazy Dog, Palais de Tokyo (Paris), Alice (Bruxelles), Pro qm, bbooks, Dig a little deeper (Berlin), Buchhandlung Walther König, Azita (Frankfurt), Sonic Records (Zürich), und weitere. Eine ausführliche Liste befindet sich auf www.anattitude.net und natürlich kann man es dort auch direkt online bestellen.

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview! Weiterhin viel Erfolg für Dich!

Weitere Infos:

Anattitude Magazine: http://anattitude.net


Catfight Magazine: www.catfightmagazine.com


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Beitrag vom 25.10.2007

AVIVA-Redaktion