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Beitrag vom 11.08.2005
Inside Deep Throat
Danielle Daum
Die Dokumentation über die Auswirkungen des 70er-Jahre-Porno-Skandalfilms "Deep Throat" macht einmal mehr deutlich, wie wenig sich in den USA in Sachen politischer Zensur verändert hat.
Im Jahr 1972 erschütterte einer der größten filmischen Kassenerfolge die amerikanischen Öffentlichkeit: "Deep Throat" war ein hemmungsloser Pornofilm, der nichts verbargt und das Kaufen einer Kinokarte zum politischen Statement werden ließ. Der eigentliche Skandal des Films bestand darin, dass Hauptdarstellerin Linda Lovelace eine sexuelle Technik beherrschte, die den Titel rechtfertigte und während Fellatio heutzutage von den meisten Teenager nicht länger als sexueller Verkehr bezeichnet werden, versetzte der "Blowjob" im Jahr 1972 noch ein ganzes Land in Aufruhr. Auf einmal flackerten die Bilder eines weiblichen Mundes, der den erigierten Penis eines Mannes regelrecht zu verschlingen schien über die Kinoleinwände und jeder bis zu Jackie Kennedy wollte und mußte den Film gesehen haben.
"Deep Throat" stellte aber nicht nur den ersten Mainstreampornofilm dar, sondern ist mit seinen Produktionskosten von 25.000 Dollar und einem Einspielergebnis von 600 Millionen Dollar der bis heute profitabelste Independent-Film aller Zeiten.
Doch weitaus interessanter als der Film selbst ist seine Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte und so steht im Mittelpunkt von Fenton Bailey´s und Randy Barbato´s Bailey´s Dokumentation "Inside Deep Throat" nun vor allem die explosive Wirkung des Films auf die amerikanische Gesellschaft. An Hand von Interviews und Anekdoten entwickeln sie ein skurriles Panorama der kulturellen, ästhetischen, politischen, juristischen, massenmedialen, kriminellen und ideologischen Hintergründe der 70er Jahre.
"Deep Throat" entstand zur Zeit von sexueller Revolution, sozialer Liberalisierung, Vietnamkrieg, Feminismus, 68er-Bewegung, Studentenrevolten und Gegenkultur: eine wilde Zeit, die Bailey und Barbato mit Blitzmontagen erstaunlich gut in den Griff bekommen. Zudem zeichnete sich der Film durch einen gewissen Humor aus, z.B. dadurch, daß der ehemalige Friseur Gerard Damiano, der für Regie, Buch und Schnitt verantwortlich war, Großaufnahmen einer Fellatio und jene Feuerwerksbilder, die im Kino oft als Metaphern für Orgasmen dienen, übereinanderlegte.
Der Film gibt Einblicke in das schillernde Pornobusiness, zeigt aber auch die Schattenseite der Industrie. Gerard Damiano verdiente keinen Cent an der Produktion, weil ihn die Mafia aus dem Geschäft drängte. Linda Lovelace behauptete 1980 in ihrem Buch, das Publikum sei Zeuge ihrer Vergewaltigung gewesen. Fest steht, daß die junge Frau von ihrem damaligen Ehemann misshandelt wurde. 2002 verunglückte sie tödlich bei einem Autounfall. Der pornographische Film selbst verlor im Zuge seiner stetig anwachsenden Massenfabrikation zunehmend an Individualität und büßte sein rebellisch-subversives Potential ein.
Und ironischer Weise war auch noch einer der größten amerikanische Polit-Skandale untrennbar mit eben diesem Pornofilm verknüpft: Der wichtigste Informant in der Watergate-Affäre war bis vor kurzem nur als "Deep Throat" bekannt. Den Decknamen hatten die beiden Reporter, die den Skandal aufdeckten, dem Film entliehen.
AVIVA-Tipp: Die Regisseure Bailey und Barbato machen durch ihren schonungslosen und präzisen Blick auf das moderne Leben zwischen Politik und Zeitgeist "Inside Deep Throat" zu einem unterhaltsamen Kinoerlebnis. Neben FilmemacherInnen und DarstellerInnen kommen auch zahlreiche Größen wie Star-Anwalt Alan Dershowitz, Norman Mailer, Gore Vidal, Erica Jong und Playboy-Legende Hugh Hefner zu Wort. Die geistreichen und witzigen Statements entfachen die brisante Diskussion um künstlerische Freiheit und konservative moralische Werte aufs Neue.
Inside Deep Throat
Regie: Fenton Bailey & Randy Barbato
DarstellerInnen: Wes Craven, Peter Bart, Carl Bernstein, Tony Bill, Ralph Blumenthal, Barbara Boreman, Helen Gurley Brown, Larry Flynt, Hugh M. Hefner, John Gorman, Al Goldstein, Alan M. Dershowitz
USA 2004
Dauer: 90 min.
Verleih: Constantin
FSK: ab 16 J.
Kinostart: 11.08.2005
www.insidedeepthroat.film.de