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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 13.09.2006


WATER. Ein Film von Deepa Mehta
Kirsten Böttcher

Die Regisseurin bleibt der Sozialkritik treu: Für den neuen Teil ihrer "Elemente-Trilogie", der das Schicksal indischer Witwen um 1930 thematisiert, erhielt sie Lob und Todesdrohungen.




Das Leben schreibt ja die spannendsten Geschichten. Ein Film ist da nur blasse Staffage im Verhältnis zur Realität jenseits den Kinos. Wie viele Diskussionen, Drohungen, Hungerstreiks und Proteste gab es vor dem Kinostart von Howards "The Da Vinci Code" - und was kann ein solch durchschnittlicher US-Popcornthriller wirklich leisten?

Versch(r)obene Weltbilder

Die indisch-kanadische Filmemacherin Deepa Mehta wollte mit ihrer sogenannten Elemente-Trilogie, den drei Filmen FIRE (1998), EARTH (1999) und dem nun startenden Finalfilm WATER (2005), weder die gesamte Religionsgeschichte aus den Angeln heben, noch riesigen Profit aus einem schlecht geschriebenen Verschwörungsplot ziehen. Sie visualisiert allerdings beharrlich in ihren Arbeiten gesellschaftlich fragwürdige Zustände in ihrem Heimatland Indien und hat sich dadurch mächtige Feinde gemacht: Allen voran den Anführer der fundamentalistischen Hindu-Partei Shiv Sena Bal Thackeray, der sich eine hinduistische Kriegerherrschaft des 17. Jahrhunderts zurückwünscht und bei dem illegale Gewaltaktionen gegen Gesetzesneuerungen, gegen Angehörige anderer Religionen oder gegen seiner Ansicht nach westlich orientierte Wandlungen zur politischen Ideologie gehören.
Die in Kanada lebende Filmemacherin problematisiert in WATER den Status der indischen Witwen und musste dafür Todesdrohungen und zu Beginn der Dreharbeiten (2000) heftige Krawalle in der indischen Stadt Varanasi einstecken, so dass der Film vier Jahre lang auf Eis lag. Bis neues Geld aufgetrieben, indische Gebäude nachgebaut worden waren und endlich 2004 der komplette Film unter einem Decknamen in Sri Lanka gedreht werden konnte. Eine unglaubliche Energie gegen einen Film, der für meine Augen so gar nichts Neues offenbart.

Tod und Freiheit im Wasser vereint

WATER spielt 1938, zu einer Zeit also, als Mahatma Gandhi bereits sein Konzept des zivilen Ungehorsams gegen die britische Kolonialregierung praktizierte. Sein Name schwebt wie ein guter Geist durch den gesamten Film, auf ihn konzentriert sich die Hoffnung der Bevölkerung. Auch unter den 14 Witwen, die in einem am heiligen Ganges gelegenen Ashram ihre Lebenszeit im wahrsten Sinne des Wortes absitzen, sorgt Gandhis gelebte Utopie für Gesprächsstoff. Ein weiterer Katalysator der Ereignisse ist die achtjährige Chuyia (Sarala, ein Mädchen, das hier seine erste Rolle spielt), frisch verwitwet und überhaupt nicht gewappnet für das Leben, das sie nun zu führen hat. Die Kamera starrt geradezu auf das ritualisierte Abrasieren ihres Kopfhaars, auf das Schaben des Messers und Chuyias duldendem Warten auf das Ende der Prozedur.
Nach den "Gesetzen des Manu", einer über 2000 Jahre alten Art religiöser Gebots- und Gesetzessammlung der Hindus, folgt die ideale Gattin ihrem verstorbenen Mann in den Himmel. Wählt die Frau nicht die damals offiziell bereits verbotene Witwenverbrennung, führt sie das Leben einer bettelnden, keuschen Asketin, die von der Gesellschaft als gefährlich angesehen wird, da sie andere Männer in Versuchung führen oder das Karma des verstorbenen Gatten beschädigen könnte.
Chuyias Anpassung an das Witwenleben führt uns vor, was es de facto bedeuten konnte, in einem Kloster ähnlichem Ashram zu leben, in dem hierarchische (ungerechte) Strukturen regieren und in diesem Fall die schönste Witwe die härteste Bürde tragen darf: Kalyani (Lisa Ray) sorgt für die Finanzen, indem sie den reichen Brahmanen auf der anderen Seite des Flusses zur Verfügung steht. Als sich der ebenso attraktive und reiche Gandhi-Fan Narayan (Model und Bollywood-Star John Abraham) in Kalyani verliebt und sie auch gegen die gesellschaftliche Praxis heiraten will, legt sich der unmöglich erfüllbare Tugendanspruch an die Witwen zwischen das Paar und lässt die gegenwärtigen Machtverhältnisse offensichtlich werden. Dadurch löst sich eine der gebildeteren Witwen, Shakuntala (Seema Biswas) aus ihrer apathischen Demutsstarre und setzt die junge Chuyia in den Zug Richtung Unabhängigkeit, in Gandhis gute Gesellschaft.

Eine filmische Träne in nostalgischer Pracht

Der Film stellt vorsichtig Fragen nach dem Sinn von religiösen Gebräuchen, die die Gesellschaft zu einer abfälligen Behandlung der Witwen zu berechtigen scheinen. Deepa Mehta überschüttet uns mit einer üppigen, farbenprächtigen Bildsprache, die so mächtig und eindeutig ist, das man sich die (eigentlich auch unwichtigen) Dialoge fast hätte schenken können - ein filmischer Toast auf die eigentliche Schönheit des Landes, seiner Feste und Menschen und eine filmische Träne für die 34 Millionen heutigen Witwen, die immer noch mit Diskriminierungen kämpfen müssen.

AVIVA-Tipp: Hollywood-Bollywood-Melodram aus einem verkitschten Nostalgia-Indien, aber mit religiös-politischer Brisanz.

Lesen Sie auch das Interview mit Deepa Mehta.


WATER
Buch und Regie: Deepa Mehta
Darstellende: Seema Biswas, Lisa Ray, John Abraham u.a.
Produktion: David Hamilton Produktion
Verleih: Universum Film
Deutschland (FSK): Freigegeben ab 12 Jahren
Länge:118 Minuten
Filmstart: 7. September 2006
www.water-derfilm.de


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Beitrag vom 13.09.2006

AVIVA-Redaktion