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Beitrag vom 20.04.2006
Großes Kino
Karin Effing
Der neue Film "Die Zeit die bleibt" des Regisseurs von "8 Frauen", François Ozon, führt seine "Triologie über die Trauer" fort. Ein junger Mann erfährt, dass er nur noch kurz zu leben hat.
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Romain (Melvil Poupaud) mit seiner Großmutter (Jeanne Moreau) |
Die Geschichte eines Menschen, der erfährt, dass ihm nur noch wenig Lebenszeit zur Verfügung steht, wird im Kino gerne mit tränenreichen Auseinandersetzungen und Wandlung zum Guten geschildert. In seinem achten abendfüllenden Spielfilm "Die Zeit die bleibt" zeigt François Ozon eine männliche Hauptfigur, die sich weigert, sich seinen Angehörigen mitzuteilen.
Romain (Melvil Poupaud) ist ein erfolgreicher Modefotograf Anfang der Dreißiger. Doch während eines Shootings kippt der attraktive Mann um und muss erfahren, dass er einen Hirntumor hat, der sich nur zu 5 Prozent heilen lässt. Er entscheidet sich gegen eine Behandlung. Ein paar Monate bleiben ihm noch, genau kann ihm das der Arzt jedoch nicht sagen. Romain nutzt die Zeit, um sich auf seine ganz eigene Weise auf seinen Tod vorzubereiten. Er wirft seinen jungen Liebhaber (Christian Sengewald) aus der Wohnung, nachdem er ihm ein fast sadistisches Liebesspiel geliefert hat, streitet sich mit seiner Schwester (Louise-Anne Hippeau) und flüchtet vor der Enge der spießigen Eltern. Allein mit dem Vater (Daniel Duval) versucht er indirekt und mit Anwandlungen von Zärtlichkeit eine Auseinandersetzung und nimmt vielleicht auch Abschied von ihm. Später nähert er sich der Schwester mit einer halbherzigen Versöhnung an. Von seinem nahenden Tod teilt er jedoch niemandem etwas mit - außer seiner Großmutter (Jeanne Moreau).
"Warum hast du mir das alles erzählt?" fragt sie ihn und er antwortet:
"Weil du so wie ich bist - du stirbst auch bald." Zwischen beiden findet eine kurze und vertraute Begegnung statt, bevor sich Romain wieder auf seinen selbstbezogenen verbleibenden Weg begibt, der ihn auf einer Raststätte zu einer Kellnerin (Valeria Bruni-Tedeschi) führt, die ihn darum bittet für ihren zeugungsunfähigen Mann einzuspringen...
„Vielleicht ist die romantische Vorstellung vom Tod, durch den man geläutert wird, zu entmystifizieren. […] [Romain] sorgt sich mehr um das, was er hinterlassen wird, als um das Verlangen, mit seinen Mitmenschen in Frieden zu leben. Romain ist eine recht egozentrische und grausame Figur. Sein Hinscheiden wird bei den Menschen seiner Umgebung einen umso gewaltigeren Schmerz auslösen, als sie nicht darauf vorbereitet sind. Aber sollte Romain am Ende denn nicht das Recht haben, sich selbst aussuchen zu können, wie er sterben möchte?" beschreibt François Ozon seine männliche Hauptfigur.
Der Regisseur des heiteren Krimimusicals "8 Frauen" (2001) stellte bisher immer wieder weibliche Figuren ins Zentrum seiner Filme, so zum Beispiel in
Swimming Pool (2003) und in
Unter dem Sand (2000), dem ersten Teil seiner
Triologie der Trauer, dessen zweiter Teil
Die Zeit die bleibt darstellt. Eine Ausnahme bildet sein früherer und etwas hölzern daherkommender Film
Tropfen auf heiße Steine (1999), auf der Grundlage eines unverfilmten Drehbuchs von Rainer Werner Fassbinder. Er schildert die Dreiecksbeziehung eines jungen Mannes, der zwischen seinem älteren Liebhaber und seiner Freundin steht. Nun also wendet sich François Ozon wieder einer männlichen Figur zu und entwickelt dabei eine große und eigenartige Zärtlichkeit, die sich mit Distanz und Gnadenlosigkeit paart. Darin ist der Film dem Erzählgestus in
Mon frére von Patrice Chéreau vergleichbar.
In Bilder umgesetzt hat die besondere Sichtweise die Kamerafrau Jeanne Lapoirie, mit der François Ozon schon in
Tropfen auf heiße Steine und
8 Frauen zusammenarbeitete.
Die Zeit die bleibt wurde im Cinemascope-Format gedreht und setzt damit konsequent die Ästhetik des Films zwischen respektvoller Nähe und empfindsamer Annäherung auf großer Leinwand.
AVIVA-Tipp: Die Zeit die bleibt von François Ozon ist ein ergreifender und feinfühliger Film über die letzten Tage im Leben eines jungen Modefotografen, der sich vor den Menschen seiner Umgebung verschließt, um die Zeit, die ihm noch zur Verfügung steht, ganz für sich und auf seine eigene Weise zu nutzen. Sehr beeindruckend, sehr traurig und sehr schön.
Die Zeit die bleibt
Le temps qui resteFrankreich 2005, 86 min
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon
Produktion: Olivier Delbosc, Marc Missonnier
Kamera: Jeanne Lapoirie
DarstellerInnen: Melvil Poupaud, Jeanne Moreau, Valeria Bruni-Tedeschi, Daniel Duval, Marie Rivière, Christian Sengewald, Louise-Anne Hippeau, Henri de Lorme, Walter Pagano, Ugo Soussan Trabelsi
FSK: 12 Jahre
Kinostart: 20.04.20006
Der Film im Netz unter www.die-zeit-die-bleibt.de