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Beitrag vom 09.01.2006
Der ewige Gärtner
Tatjana Zilg
Tessa heiratet einen britischen Diplomaten der Entwicklungshilfe. In Afrika versucht sie, einen Skandal der Pharmaindustrie aufzuklären. Sie wird ermordet. Regie: Fernando Meirelles, "City Of God"
Justin Quayle (Ralph Fiennes) ist ein ernster, arbeitsamer Mann.
Seine Aufträge nimmt er zumeist kritiklos an, so auch an diesem Nachmittag in London, an dem er gebeten wird, einen Vorgesetzten bei einem Vortrag zu vertreten. Mit seiner charmanten, zurückhaltenden Art liest er den StudentInnen die Thesen über britische Außenpolitik vor. Als ihn die hübsche, temperamentvolle Tessa (Rachel Weisz) mit einer ungeordneten Fülle an Nachfragen überfällt, bleibt er dennoch ganz der Gentleman. Er nimmt sie in Schutz und tröstet sie, nachdem die anderen ZuhörerInnen den Raum kopfschüttelnd über ihre provokante Rede verlassen haben. Tessa erkennt, dass er nicht ihr Feind ist und lädt ihn zu sich ein. Aus der plötzlichen Sympathie wird ein leidenschaftlicher Nachmittag im Bett.
Einige Tage später überrascht Tessa Justin in seinem Büro mit der Frage, ob er sie heiratet und mit nach Afrika nimmt, wohin er in seiner Tätigkeit als Diplomat bald zurückkehren wird. Er ist sehr beeindruckt von ihrer Zielsicherheit, ihrem freien, rebellischen Denken und der leicht konträren Eleganz, mit der sie sich als Angehörige der britischen Upperclass bewegt. Er willigt ein und Tessa lebt plötzlich im Land ihrer Träume. Ohne großen Kulturschock begleitet sie mit hoher Selbstverständlichkeit und offenen Augen den Arzt Arnold Bluhm (Hubert Koundé) durch die Slums von Nairobi.
Sie ist begeistert von der lebensfreudigen Bevölkerung und schockiert von deren Armut und den desolaten Zuständen im Gesundheitssektor. Sie resigniert niemals und behält ihre rebellische Art bei. Ohne Scheu bombardiert sie an festlichen Anlässen, zu denen sie mit Justin eingeladen wird, die Elite der europäischen Diplomaten und die Topmanager der Pharmaindustrie mit spitzen Bemerkungen und cleveren Analysen.
Auch privat ist sie zunächst sehr glücklich. Sie ist hochschwanger und Justin verliebt sich jeden Tag etwas mehr in sie, obwohl seine Kollegen ihn dafür kritisieren, dass er seine Frau so eigenständig an den gängigen politischen Praktiken rütteln lässt. Aber die Freiheit, die sie sich nimmt, wird ihr schließlich zum Verhängnis. Sie hat sich zu wenig geschont und zuviel in den Slums gearbeitet: Sie verliert ihr Kind. Da sie darauf bestanden hat, in einem Krankenhaus für die Landesbevölkerung behandelt zu werden anstatt in einer teuren Privatklinik, bekommt sie mit, dass die fünfzehnjährige Wanza kurz nach der Geburt ihres Kindes auf mysteriöse Art stirbt. Dies bestätigt ihre Vermutungen, die europäischen Pharmakonzerne experimentierten in Afrika auf Kosten der Gesundheit der armen Bevölkerung mit neuen Medikamenten. Mit zunehmender Ernsthaftigkeit, forciert durch den Verlust des eigenen Kindes, stürzt sie sich gemeinsam mit Arnold in risikoreiche Nachforschungen über die dunklen Seiten des Fortschrittes im weltweiten Gesundheitswesen.
Der Film beginnt mit dem Ende der mutigen Herangehensweise von Tessa. Justin wird von seinem Freund und Kollegen Sandy Woodrow (Danny Huston) informiert, dass eine Frau, vermutlich Tessa, in der Nähe des Loki-Sees aufgefunden worden ist, auf grausame Weise ermordet. Der Mann, der sich immer dezent zurückhielt und mit stoischer Gelassenheit seine diplomatischen Aufgaben erfüllte, erinnert sich an all die wundervollen Momente mit seiner zauberhaften Frau und auch an all die Momente voll Misstrauen und Distanz, in denen sie sich fremd blieben. Zum Entsetzen seiner Vorgesetzten und Kollegen gibt er sich auf einmal nicht mehr mit den Erklärungen über die Umstände von Tessas Tod zufrieden, sondern forscht ihrer Arbeit mit detektivistischem Spürsinn nach und setzt ihr Werk fort, bis er den Skandal völlig durchschaut hat.
Regisseur Fernando Meirelles sagt: "Die Gelegenheit, mich mit der Pharma-Industrie anzulegen, war nur einer von drei Gründen, warum ich Der ewige Gärtner unbedingt machen wollte. Der zweite Grund war die - von uns gewählte - Gelegenheit in Kenia zu drehen. Und dann handelt es sich nicht zuletzt um eine höchst originelle Liebesgeschichte über einen Mann, der eine jüngere Frau heiratet. Erst nachdem sie stirbt, verliebt er sich wirklich in sie und geht auf die Suche nach ihr. Das ist eine schöne Geschichte, die einen Hauch Existenzielles in sich trägt."
Der Brasilianer Fernando Meirelles wurde 2002 durch sein außergewöhnliches Werk "Cidade De Deus" über Nacht weltberühmt. Ihm gelang es, die Realität des sagenumwobenen Leben in der Favela ohne Verschönerung, aber auch ohne Verharmlosung darzustellen. Die Gewalt bekam einen angemessenen Fokus, ohne reißerisch zu wirken.
Analog wurde in "Der ewige Gärtner" hoher Wert darauf gelegt, die Realität des afrikanischen Kontinentes adäquat darzustellen, die bizarre Schönheit, die unendliche Weite, die Freiheit und Beschwernis zugleich ist, und die Lebenskraft der Menschen, die unter immenser Armut leiden müssen, sichtbar werden zu lassen.
"Es war uns sehr wichtig, dass der Film echt aussieht", fügt Meirelles´, Freund und langjähriger Mitstreiter, der Kameramann César Charlone, hinzu. "Wir wollten die Wahrheit zeigen, wollten so wahrhaftig sein, wie es nur ging, wir benutzten reale Locations und natürliches Licht. Es war uns sehr wichtig, Drehorte nicht danach auszusuchen, ob sie filmisch oder attraktiv sind."
Er fährt fort: "Als wir uns weiter in das Projekt vertieften, kam es uns so vor, als hätten wir es mit zwei verschiedenen Realitäten, zwei verschiedenen Welten zu tun. Da war Justins alte Welt, aus der er stammt, mit der British High Commission. Als er mehr über Tessa in Erfahrung bringt, wird sie seine Tür zu einer neuen Welt, das wahre Afrika, das er davor nicht wahrnehmen konnte - oder nicht wahrnehmen wollte. Wir legten fest, dass Justins Welt (England) in kühlen Grüntönen gehalten sein würde, während Tessas Welt (Afrika) von warmem Rot dominiert sein sollte."
"Einer der großartigen Aspekte an der Erfahrung, die wir machen konnten, war der Dreh an realen Orten wie Nairobi", meint Ralph Fiennes, der männliche Hauptdarsteller. "Fernando war versessen darauf, die Menschen, so wie sie sich wirklich waren, im Hintergrund zu zeigen. Es gibt keine nennenswerte Filminfrastruktur in Kenia, also drehten wir nicht mit professionellen oder erfahrenen Statisten. Die Menschen standen dem Film sehr positiv gegenüber, sie setzten sich dafür ein, weil der Dreh in ihrer Nachbarschaft stattfand."
AVIVA-Tipp: Ein Thriller und eine Liebesgeschichte, feinsinnig ineinander verwoben. Das politisch immens brisante Thema wird zu einem unheimlich spannenden, wunderschön anzusehenden Kinofilm, der die negativen Folgen der Globalisierung aufzeigt und für Afrika-NichtkennerInnen nachvollziehbar macht. Aufrüttelnd, rebellisch, perfekt inszeniert und ungemein unterhaltend.
Der ewige Gärtner
The Constant Gardener
USA 2005 128 Minuten
Regie: Fernando Meirelles
Drehbuch: Jeffrey Caine, nach einem Roman von John le Carre
Kamera: César Charlone
DarstellerInnen: Ralph Fiennes, Rachel Weisz, Daniele Harford, Danny Huston, Pernilla August, John Keogh, Hubert Koundé, Richard McCabe, Gerard McSorley, Sidede Onyulo, Archie Panjabi, Pete Postlethwaite, Anneke Kim Sarnau
Verleih: Kinowelt
Filmstart: 12.01.2006
www.theconstantgardener.com