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Beitrag vom 29.03.2005
Der Preis des Ãœberlebens
Sarah Ross
Louis van Gasterens neuer Film ist die Fortsetzung seines Films "Verstehst du jetzt, warum ich weine?" von 1969. Er zeigt, wie es der Familie des ehemaligen KZ-Häftlings inzwischen ergangen ist.
Als Louis van Gasteren vor über dreißig Jahren seinen Film "Verstehst du jetzt, warum ich weine?" drehte, der über die Folgen von Gewalt im Zusammenhang des Nationalsozialismus handelte, ahnte er nicht, dass das Leid der Familie des KZ-Überlebenden auch nach seinem Tod noch kein Ende haben sollte. Der Preis des Überlebens ist ein bestürzendes Porträt eines Vaters, der unter dem Eindruck des so genannten Konzentrationslager-Syndroms (posttraumatisches Stress-Syndrom) seine Lagererfahrung an seine Frau und seine Kinder weitergibt.
Der Regisseur hatte während der 30 Jahre, die zwischen den beiden Filmen liegen, stets Kontakt mit dem Vater, der Hauptperson, seiner Ehefrau und den drei Kindern gehalten. Im Jahr 2000 starb der Mann und Louis van Gasteren erfuhr, dass bei der Einäscherung das alte Lagerlied "Wir sind die Moorsoldaten" gespielt werden sollte, und dass die Witwe die Asche im Lager Sachsenhausen ausstreuen würde. Dies war der Auslöser dafür, dass der Regisseur beschloss, die Frau und den jüngsten Sohn erneut zu interviewen. Die beiden älteren Kinder hatten sich bereits vor vielen Jahren von ihren Eltern abgewandt, sich aber dazu bereit erklärt, ihre Lebensgeschichte in Briefen auszuschreiben und dem Regisseur zur Verfügung zu stellen. Fragmente dieser Briefe und die Interviews stellten das Material zu Der Preis des Überlebens. Weiterhin spricht der Direktor der Gedenkstätte Sachsenhausen, in dem der Vater den größten Teil seiner Gefangenschaft verbrachte, über Traumata und deren Auswirkungen.
Der Film schildert eindrucksvoll, wie die Angehörigen des Überlebenden sich verhalten, wie sie sich mit dem Leid des Vater so sehr identifizieren, bis sie selbst unter Alpträumen von Geschehnissen im Lager leiden, in dem sie selbst nie gewesen sind. Weiterhin schildert er das Phänomen der Bindung, die durch regelmäßige Besuche des KZ und den intensiven Kontakt mit ehemaligen Mitgefangenen aufrechterhalten wird. Besonders deutlich wird, dass gerade die Ehefrau das Leid ihres Mannes zwar mitgetragen hat, aber nie wirklich Teil seines Lebens wurde, das sich auch lange nach dem Krieg noch im Konzentrationslager abspielte. Auch die Lasten, die ihre Kinder tragen, weil sie fortwährend mit der Vergangenheit konfrontiert wurden, werden ohne Beschönigung dargestellt.
Louis van Gasteren sagt über seinen Film, dass er sich nicht nur an Familien richtet, für die die Zeit des Zweiten Weltkriegs von besonderer Bedeutung ist, sondern auch an diejenigen, die an einem posttraumatischen Stress-Syndrom leiden, gleich welcher Ursache.
Der Preis des Ãœberlebens
(Originaltitel: De Prijs van Overleven)
Regie: Louis van Gasteren
Niederlande 2003
Spectrum Film
Kinostart: 31. März 2005