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Beitrag vom 12.03.2004
Sarah Khan im Gespräch mit AVIVA-Berlin
Sabine Grunwald
Die deutsch-pakistanische Schriftstellerin stellte im Februar 2004 ihren dritten Roman "Eine romantische Maßnahme" im Buchhändlerkeller/Charlottenburg vor
AVIVA-Berlin:
Ihr neues Buch handelt von einem amerikanischen Studenten in Heidelberg, der sich für nationalsozialistische Geschichte und Devotionalien interessiert. In welcher Situation/mit welcher Intention haben Sie es geschrieben? Gab es einen "Auslöser" dafür? (Haben Sie einen persönlichen Bezug zu dem Thema?)
Sarah Khan:
Zuerst hatte ich die Figuren im Kopf, also die Porzellanhändlerin Ines Kochenrath, die Schauspielerin Maxine und den amerikanischen Studenten William, dann suchte ich einen Ort für die Handlung. Es sollte düster und romantisch sein. Was wäre da angemessener als Heidelberg, die im 2. Weltkrieg unzerstörte, verschonte Stadt mit der romantischen Schlossruine?! Ich war Anfang der 90er Jahre oft in Heidelberg, machte am Theater ein Praktikum, hatte eine sehr extrovertierte Tante, die dort lebte und die selbst viele andere extrovertierte Menschen kannte. Damals war ich noch keine Schriftstellerin und nahm alles staunend und naiv wahr. Die Altstadt, die amerikanische Besatzung, den Neckar und die vielen Studenten. Etwa zehn Jahre später, nach meinem 2. Roman, erinnerte ich mich an diese Zeit und fuhr wieder hin, um zu prüfen, ob diese der Ort der Handlung sein könnte. Dann plötzlich schenkte mir das Schicksal bzw. diese Stadt so viele Erlebnisse und Eindrücke, dass ich nicht mehr anders konnte. Zum Beispiel die Burschenschaften. Normalerweise sind die total abgeriegelt für Außenstehende, besonders als Frau ist das eine no-go-area. Ich aber hatte das Glück, den Altherren-Schatzwart einer Verbindung kennen zu lernen, der mir die gesamte Burschenschaft zeigte und mir alle Zimmer öffnete. Und weil viele Burschen noch Schulden bei ihm hatten, beschwerte sich keiner, dass ich mich so genau umguckte, Gespräche führte, Fotos machte. Außerdem kann dir jeder, der mal in der Heidelberger Altstadt gewohnt hat, mindestens eine Geschichte zum Thema Burschen erzählen. Wo sie kotzen, wie sie singen, was sie feiern, warum sie so drauf sind. Ich musste nur fragen.
AVIVA-Berlin:
Warum spielt Ihr Roman gerade im Wendejahr 1989, haben Sie selbst den Fall der Mauer miterlebt? Wenn ja, wie beurteilen Sie die damit verbundenen Veränderungen für Berlin?
Sarah Khan:
Der Zeitpunkt der Handlung - 1989/1990 - hatte erstmal ganz praktische Gründe: Anfang der 90 er war es noch möglich, mit Altnazis direkten Kontakt zu haben. Die lebten noch, theoretisch zumindest. Eine Konstellation junger Mann / alte Nazis, die ich beschrieben habe, ist gerade noch möglich. Außerdem waren sich die Deutschen damals selbst noch wahnsinnig unheimlich. Die Angst vor der Wiedervereinigung fasste diese Selbst-Angst ein allerletztes mal zusammen. Dass die deutsche Bestie wieder ausbricht, sobald das Gebiet größer ist. Was historisch verständlich ist, aber im nachhinein auch eine totale Anmaßung und Selbstüberschätzung war.
Und wie ich den Mauerfall erlebte? Erstaunlich distanziert, als würde ich eine Nachricht von der anderen Seite der Halbkugel bekommen. Irgendwie haben wir jungen Menschen im Westen doch alle totale Nebelsicht gehabt, als es passierte. Einzig die Ostdeutschen hatten totale physische und psychische Reaktionen, und auch die Älteren im Westen, die Generationen von Willy Brandt bis Helmut Kohl, also die "Augenzeugen" und Gelittenen, bis die mit dem Stoßseufzer der so genannten "Gnade der späten Geburt". Aber ich war damals, 1989, gerade 18 Jahre alt und hatte andere Sorgen: Liebeskummer und Abitur.
AVIVA-Berlin:
Was hat Sie nach bewogen, von Hamburg nach Berlin zu ziehen?
Sarah Khan:
In Berlin kann man als Schriftsteller wirklich so leben, das man glaubt, es ist ein normaler Beruf. Billige Mieten, viele Leidensgenossen, Agenten, Verlage, Gerüchte, freie Buffets und Partys helfen dabei. Aber es gibt auch viele Möglichkeiten, dem aus dem Weg zu gehen. In Hamburg sah ich irgendwann keine Perspektive für mich. Ich wurde dort geboren und kannte zwar jeden Baum, aber ich konnte mich irgendwann nicht mal mehr verlieben. Ich musste weg!! Noch vor dem 30.Geburtstag. In Berlin habe ich dann sehr bald ein Leben gefunden. Ich habe jetzt ein Kind, einen Mann, bin glücklich. Viele Hamburger sind jetzt beunruhigt, weil täglich wieder ein paar Künstler und Tagediebe mehr nach Berlin ziehen. Aber in Hamburg wird der Wohnraum noch lange knapp und teuer bleiben und außerdem war Hamburg noch nie ein tolles Pflaster für Künstler und solche, die es werden wollen.
AVIVA-Berlin:
Sie sind in Hamburg mit einem pakistanischen Vater und einer deutschen Mutter aufgewachsen. Wie leben Sie Ihr "kulturelles Erbe" heute?
Sarah Khan:
Ich liebe das indisch-pakistanische Essen. Erstaunlicherweise mag mein 1 jähriger Sohn es auch. Ansonsten ist das Verhältnis zu der pakistanischen Familie mittlerweile sehr problematisch bzw. gebrochen. Ich bin unverheiratet, habe ein Kind, lebe in wilder Ehe. Mein Vater hat den Kontakt abgebrochen, als er erfuhr, dass ich schwanger bin. Das Verhalten hat kulturelle Gründe. Es ist Hartherzigkeit und ein schauderhafter Stolz, der nur funktioniert, wenn man die weiblichen Mitglieder der Familie kontrolliert. Ansonsten gibt es Sanktionen und Kontaktabbruch. Diese Mentalität funktioniert im Westen nicht, sie erzeugt viel Kummer und es wird einige Generationen dauern, bis sie mit ihren männlichen Protagonisten ausgestorben sein wird.
AVIVA-Berlin:
Was lesen Sie zur Zeit und warum?
Sarah Khan:
Ich lese Literatur zum Thema Tod - aus Gründen der Recherche für einen Filmstoff.
Dann lese ich zu Unterhaltungszwecken die neuen Übersetzungen der Romane von P.G. Wodehouse um den intelligenten Butler Jeeves und seinen leicht überkandidelten und unterbelichteten Master Bertie Wooster. Die Übersetzungen sind in der verdienstvollen Edition Epoca erschienen.
Außerdem lese ich den neuen Roman "Fall Jane Eyre" von Jasper Fforde. Ich habe vor einigen Jahren das Wohnhaus der Familie Brontë besucht und bin nachhaltig beeindruckt von diesem schaurigen, gichtigen, morastigen Ort in Nordengland, der in Englands Bewusstsein total verkitscht und märchenhaft empfunden wird. Die Brontë-Schwestern hatten aber ein unglaublich tragisches, krankes, kurzes Leben, und jeder Winkelzug des Hauses, mit dem umliegenden Friedhof, bezeugt dies. In Ffordes Roman geht es um die Kunstfigur Jane Eyre, aber ziemlich abgedreht.
AVIVA-Berlin:
Auf welche Neuerscheinung sind Sie gespannt?
Sarah Khan:
Komische Frage. Es gibt viele Bücher, die ich lesen möchte. Meist reicht die Zeit nicht. Ich habe ein kleines Kind, das ist ein Zeitfresser. Maeve Brennan möchte ich lesen, habe von unbestechlichen Freunden diesen Tipp bekommen. Ihr Buch "Die Besucherin" ist schön kurz, ich glaube, das schaffe ich fix.
AVIVA-Berlin:
Welches Buch würden Sie niemals verborgen?
Sarah Khan:
Ich habe gerade von Rebecca Miller ein Buch mit Erzählungen verborgt - es heißt "Als sie seine Schuhe sah, wusste sie, dass sie ihren Mann verlassen würde" - und hoffe, dass ich es wiedersehe. R.Miller ist die Tochter von Arthur Miller und Inge Morath und mit Daniel Day Lewis verheiratet. Und außerdem, und das macht es fast unerträglich - schreibt sie wunderbar. Das Buch ist wirklich gut, obwohl der deutsche Verlag einen irreführenden Titel und ein schlimmes Cover gewählt haben.
AVIVA-Berlin:
Haben Sie bereits ein Thema für Ihren nächsten Roman?
Sarah Khan:
Ich habe ständig Ideen. Ich werde dieses Jahr aber keinen neuen Roman beginnen. Ich will mich nicht so hetzen und auch nicht wiederholen. Ehrlich gesagt kann ich Autoren nicht verstehen, die jedes Jahr mindestens ein Buch schreiben wollen und jeden Tag am verdammten Schreibtisch sitzen und in ihren Computer hinein faseln. Der Acker muss auch mal brach liegen, damit darauf wieder etwas Gutes wachsen kann!
AVIVA-Berlin:
Vorausgesetzt, Sie bekämen heute 1 Million Euro für Berlin. Welches Projekt würden Sie sofort retten oder ins Leben rufen?
Sarah Khan:
Eine Million ist nicht viel, angesichts der vielen Probleme, die die Stadt hat.
Ich glaube, ich würde einen Teil des Geldes der Kinderfarm geben, die hier im Stadtteil Wedding existiert und die für viele Kinder in diesem dicht besiedelten und sozial problematischen Stadtteil eine wahre Oase ist. Sie lernen hier, Tiere zu pflegen, Verantwortung zu übernehmen und zu teilen, und machen Naturerfahrungen und spüren Liebe. Außerdem würde ich die Stadtteilbibliothek in Mitte aufrüsten. So, dass auch Familien mit kleinen Kindern und Babys dort Aufenthalts-, Treff- und Spielräume bekommen. Damit Mütter lesen, während Kinder miteinander spielen. Ohne Kommerzdruck.
AVIVA-Berlin:
Wer ist für Sie der absolute Shooting-Star (im Kulturleben, weltweit) und wen halten Sie für unterschätzt?
Sarah Khan:
Mein Lieblingsschauspieler ist Al Pacino, dicht gefolgt von Jeff Bridges.
Ansonsten bin ich ein ziemlich untreuer Fan - heute mag ich dieses, morgen jenes.
AVIVA-Berlin:
Stellen Sie sich vor, morgen wäre Ihr erster Tag als Bundeskanzlerin. Welches Gesetz würden Sie sofort erlassen oder abschaffen?
Sarah Khan:
Was Sie da vorschlagen, klingt eher nach Despotismus oder Diktatur, als nach einer Demokratie mit einem bockigen Bundesrat und ungewissen Parlamentsabstimmungen.
Aber gehen wir mal davon aus, es wäre so einfach: Ich würde eine verbindliche Quotierung für alle Berufe in der öffentlichen Sphäre vorschreiben, also Männer und Frauen haben in Unis, Verwaltung, Krankenhaus, Lehrerschaft, Beamtenstatus etc. ein Verhältnis von fifty-fifty. Bis hinauf zu den Führungsetagen. Und wenn es Not tut, dann muss man eben auch "die Hunde zum Jagen tragen" - also den Frauen auf dem Weg nach oben die Steigbügel halten.
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