Poetischer Widerstand einer Spaßguerilla - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 01.12.2004


Poetischer Widerstand einer Spaßguerilla
Anja Kesting

"Die fetten Jahre sind vorbei" der neue, bereits in Cannes bejubelte Film von Hans Weingartner kommt jetzt in die deutschen Kinos. Im Vorfeld interviewte AVIVA-Berlin Daniel Brühl und Stipe Erceg.




© Dirk Plamböcks
Die beiden Jungdarsteller spielen die Hauptrollen Jan und Peter, die als "Die Erziehungsberechtigten" einen Weg gefunden haben, die Reichen auf kreative und subtile Art und Weise aufzurütteln. Sie brechen in deren Villen ein und bringen die Ordnung ihrer Luxusgüter durcheinander, ohne dabei etwas zu stehlen oder jemanden zu verletzen. Damit legen sie den Finger auf die Wunde, aber mit Sinn für Humor. Auf den ersten Blick erzeugen sie Chaos, aber in dem Chaos liegt eine Bedeutung. So wie bei vielen Gedichten. Deshalb könnte man das, was sie tun, "poetischen Widerstand" nennen.

AVIVA-Berlin: Die Thematik des Films ist die Auseinandersetzung des Regisseur Hans Weingartner mit seinen eigenen Idealen. Findest ihr euch da wieder, ähneln sie sogar euren Idealen, oder gibt es überhaupt keinen Bezug dazu?
Daniel Brühl: Ich habe mit dem Hans "Das weiße Rauschen" gedreht und wir haben uns damals versprochen, dass wir beide gemeinsam eine Idee zum Film weiterentwickeln. Ich wollte eine Komödie und Hans etwas Politisches, herausgekommen sind: "Die fetten Jahre sind vorbei".
Mich hat der Film als solches, aber auch das Politische daran schon interessiert, weil ich dieses Bewusstsein kenne, diese Wut auch über meine Generation und über diese Ohnmacht, irgendwie nichts verändern zu können. So lethargisch zu sein, nicht mehr protestieren zu können, keine Feinde mehr zu haben, diese ganze Misere.
Deshalb bin ich auch total verliebt in die drei Figuren und deren "poetischen Widerstand" - wie Hans den nennt - in diese Utopie, dass es da drei Leute gibt, die auf solche Einfälle kommen.
© Amélie Losier
Die Idee der Erziehungsberechtigten finde ich wahnsinnig charmant und das was sie tun. Und auch die weitere Entwicklung, dass drei junge Menschen, die eigentlich nicht gewillt sind, Gewalt anzuwenden, in solche eine Notsituation geraden, jemanden entführen zu müssen. Sich auf einer einsamen Hütte mit einem Topmanager wieder zu finden.
Stipe Erceg: Wenn ich da überhaupt keinen Bezug hätte, wäre das Interesse auch nicht da gewesen und ich hätte den Peter auch nicht spielen. Aber es sind nicht meine Ideale das ist klar. Ich habe andere Prioritäten.
AVIVA- Berlin: Wie sehen die aus?
Stipe Erceg: Ich bin verheiratet, habe ein Kind, das sechs Monate alt ist. Ich weiß nicht, ob ich die Zeit oder die Muße hätte, mich mit diesen gesellschaftlichen/politischen Ungerechtigkeiten auseinanderzusetzen. Das heißt nicht, dass ich keine Ideale habe, ganz im Gegenteil. Was ich mit dem Film teilen kann, ist zum einen den Mut, den diese jungen Menschen besitzen und zum anderen den Antrieb, etwas zu tun. Ob das bei mir in der Form aussehen würde, glaube ich nicht.

AVIVA-Berlin: Ist der Wohlstandsgedanke und die Angepasstheit eine Frage des Alters?
Daniel Brühl: Hardenberg hat recht damit, wenn er sagt, dass im Alter ein schleichender Prozess stattfindet, dass stell ich ja schon fest, ich werde zwar nicht das Kreuz bei der besagten Partei irgendwann machen und werde auch nicht so ein maßloses und dekadentes Leben führen, wie Hardenberg. Aber diese graduelle Veränderung sehe ich
© Dirk Plamböcks
jetzt auch schon an mir. Das hat mich wahnsinnig fasziniert an dem Stoff und deshalb wollte ich unbedingt den Film machen

AVIVA-Berlin: Zwingt die Rolle des Peters dich dazu, dich mit deiner eigenen Rolle auseinanderzusetzen? Wenn ja, gibt es Parallelen oder Unterschiede?
Stipe Erceg: Erstmal würde ich sagen: Das ist eine fiktive Rolle und auf der anderen Seite - das bin ich. Ich find die Geschichte und das Drehbuch gut. Das ist der erste Gedanke, den ich habe. Während des Drehens treten dann Reibungspunkte auf. Obwohl es schon im Drehbuch verankert war, dass der Jan den Peter mit Jule betrügt und die drei dann weiterhin miteinander frei weiterleben, hatte ich doch Probleme damit. Nicht nur ich sehe das anders, sondern auch die Figur. Wenn ich ehrlich bin, bin ich einen Kompromiss eingegangen, hinter dem ich nicht 100prozentig stehe. Zudem war Hans Weingartners Überzeugungsarbeit auch nicht so schlüssig, dass ich das nachvollziehen konnte. Dennoch - für den Film ist diese Entwicklung konsequenter und unkonventioneller.

© Dirk Plamböcks

AVIVA-Berlin: Weingartner lässt seinen SchauspielerInnen viel Raum für Improvisationen. Wird damit die Zusammenarbeit unter den SchauspielerInnen leichter oder schwieriger, dafür aber produktiver und hochwertiger?
Stipe Erceg: Sowohl als auch. Wir haben ja auf DV gedreht. Da hat man immer vor Augen, das kostet doch nichts und hat deshalb mehr Mut, etwas auszuprobieren. Es gab ein klar geschriebenes Drehbuch, wir haben den Text nicht improvisiert. Aber es war der Raum da, an der Geschichte teilzuhaben, einen Satz zu verändern oder eine kleine Richtungsänderung einzuschlagen.
Durch das Drehen auf DV hat man Freiraum, aber andererseits besteht die Gefahr, dass man sich schnell verliert. Wenn man nicht konzentriert bei der Sache ist und auch keine Ambitionen auf Experimentieren hat, für den ist das nichts. Dann ist es angenehmer, wenn dir jemand sagt, tut das oder dies.
Ich find es spannend, dass Film sich in diese Richtung entwickelt hat, denn der Mensch strebt immer nach Freiheit. Doch wenn man ihm die Freiheit gibt, dann kann er nichts damit anfangen.
Daniel Brühl: Ich genieße das sehr, aber es ist nicht jedermanns Sache. Da spielt auch die Chemie mit, man muss Schauspieler finden, die sich gegenseitig die Bälle zu spielen können, Gespür für einander haben und wissen, wie eine Szene verlaufen soll. Bei dieser Art zu drehen, ist ein Team mobil und flexibel. Ein weiterer Pluspunkt: Durch dieses "Ewigdrehen" hat man ein großes Drehpensum und die Zeiträume, in dem man aus der Rolle herauskippt, sind halt sehr gering, konkret: man ist eigentlich ständig in seiner Figur. Ein Nachteil: Dieses Improvisieren kann ausufern, wird beliebig oder man verliert den Faden. Aber es gibt immer diese spontanen, einzigartigen Momente, die man so nicht hinkriegt, wenn man das totprobt. So verändert sich eine Szene immer ein Stückchen weit.

Regisseur Hans Weingartner © Amélie Losier

AVIVA-Berlin: Welchen Szenen aus dem Drehbuch wurden nicht realisiert?
Daniel Brühl: Es wurde viel herausgenommen. Es gab im Drehbuch noch viel mehr politische Diskussionen.
Der Film spielt auf verschiedenen Ebenen, da ist nicht nur die politische, sondern auch Beziehungs-, Freundschafts- und Generationengeschichte…
Ich war so neidisch auf den Hardenberg, dass die chicen Franzosen von der Croisette sich über ihn kaputtgelacht haben, der war die totale Identifikationsfigur. Da hab ich zum ersten Mal gemerkt, wie clever das Konzept vom Hans war, dass der Film natürlich auch bei solchen Leuten prima funktioniert.

AVIVA-Berlin: Apropos Cannes: 15 Minuten Standing Ovations – wie ist das? Was fühlt man? Was geht einem da durch den Kopf? Kann es noch besser werden?
Daniel Brühl: Palme (lacht). Es war schon einer der Höhepunkt für mich. Weil am Anfang auch der Druck, gerade von der deutschen Presse, und die Angst so groß waren. Seit elf Jahren wurde kein deutscher Film mehr in Cannes gezeigt, da hatten natürlich alle Muffensausen…, aber es wäre ja schlecht, wenn jetzt danach nichts mehr kommen würde
Stipe Erceg: Na hoffentlich nicht, dass die Leute aufstehen und den Saal verlassen.

AVIVA-Berlin: Stipe, Du hast deine Karriere beim Theater gestartet. (z.B. 1998, Studiobühne Hans Eisler, Berlin: "Geschichte vom Soldat", Rolle: Teufel, Rainer Pahnke, 1999 Prater in der Volksbühne, Berlin: "LA 5 in der Luft", Rolle: Serjoscha, Regie: Valerie Blitschenko.) Danach Konzentration auf das Genre Film? Siehst Du deine Zukunft eher beim Film oder beim Theater?
Stipe Erceg: Wenn ich so viel beim Film verdient habe, dass ich davon Leben kann, dann gehe wieder zum Theater. (lacht)
Theater ist schwieriger. Peter Brooke (renommierter britischer Theaterregisseur * 21. März 1925, Anm. d. Red.) hat mal etwas Schönes gesagt und er ist der Letzte, von dem ich das wirklich erwartet hätte: "Mich hat noch nie ein Film gelangweilt. Nicht mal ein Blockbuster…, aber Theater langweilt mich zu 95 Prozent". Theater ist nicht lebendig. Ich weiß nicht, ob es an den Schauspielern oder an Texten oder Stücken liegt. Ist Film einfach lebendiger, weil es ein neueres Medium ist? Deshalb andere Möglichkeiten als das Theater hat? Am Theater generell irritiert mich, das es verstaubt ist, es fehlt einfach Leben.

© Amélie Losier
AVIVA-Berlin: Die Erziehungsberechtigten sind ja nicht die absoluten Gutmenschen: "Wir sind nicht die 68er, wir stehen zu unseren Fehlern, wir können nicht alles richtig machen, wir wollen auch nicht alles richtig machen"?
Daniel Brühl: Ja absolut, das war schon der Hintergedanke, deshalb haben wir ja auch an den Dialogen gefeilt, weil ich meinte, das ist nicht meine Sprache. Zum Teil klang das so nach 68er Sprache. Hans hat mich ja mit den ganzen Büchern versorgt, das ist alles sehr spannend, aber es ist einfach eine andere Zeit. Ich wollte zeigen, dass wir normale junge Leute von heute sind, die ihre Fehler haben. Viele Szenen mit hitzigen politischen Debatten sind rausgeflogen. Ich glaube, das schadet dem Film nicht. Das Spannende ist ja die Begegnung auf der Hütte.

AVIVA-Berlin: Deine Generation gilt ja als sehr unpolitisch. Fühlst du ebenfalls die Ohnmacht der heutigen Generation, nichts mehr ändern zu können?
Daniel Brühl: Ich schiebe mir selber den schwarzen Peter zu. Ich würde nicht von mir behaupten, dass ich sehr engagiert bin, das beschränkt sich eigentlich nur auf Diskussionen im Freundeskreis. Immerhin trägt ja der Film dazu bei, dass man vielleicht zumindest darüber nachdenkt. Es ist heute einfach eine andere Zeit, es ist schwieriger geworden für uns. Es gibt so eine Frustration der Jugend: Das Gefühl "es gab es schon alles". Das stimmt ja auch, wenn ich früher für meine Schulband sozialkritische Texte geschrieben habe und das Gefühl hatte, besonders subversiv, alternativ zu sein, war ich schon Teil eines Trends. Es ist wie ein Teufelskreis, alles hat es schon mal gegeben, alles gibt’s und dabei sind die Wünsche vorloren gegangen…

AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Interview.

Die Filmrezension finden Sie hier


Kultur

Beitrag vom 01.12.2004

AVIVA-Redaktion