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Beitrag vom 14.06.2011
Die Lust der Frauen. Von der Liebe, dem Leben und dem Sex im Alter
Tatjana Zilg
Dass Sex im Alter keinen Spaß mehr macht, wird oft angenommen. Diese Doku beweist das Gegenteil! Frauen über 60 mit unterschiedlichen Lebensentwürfen vermitteln auf erfrischende Art, wie sie ...
... die Lust am Sex wiederentdeckt oder neu gewonnen haben.
Sexualität im Alter ist oft ein gesellschaftliches Tabuthema. Leider wird Männern ein aktiverer Umgang damit zugestanden als Frauen. Dass eine Seniorin losziehen könnte, um ihr Lustbedürfnis tatkräftig umzusetzen, daran wird selten gedacht. Eher wird die Aufrechterhaltung einer langjährigen Partnerschaft erwartet oder ein harmloser Flirt mit einem Kurschatten.
Die Wiener Regisseurin Gabi Schweiger machte sich auf die Suche nach Frauen, die bereit waren, offen über ihren Umgang mit Sexualität vor der Kamera zu berichten und so Blicke in ihren lustvollen Alltag zulassen. Entdeckt hat sie sympathische, quirlige, lebensfreudige, nachdenkliche und sinnliche Protagonistinnen, die mit ihrem sinnlich reflektiertem Liebesleben zur eigenen selbstbewussten Auseinandersetzung anregen können.
Alle fünf ausgewählten Protagonistinnen räumen mit dem Vorurteil auf, dass die körperliche Lust während des Älterwerdens abnimmt. Da die Beziehung zum eigenen Körper unvoreingenommener geworden ist, erleben sie ihre Sexualität mitunter unbefangener als in frühen Jahren und fordern mit mehr Nachdruck die Erfüllung ihrer Bedürfnisse beim Partner bzw. der Partnerin ein.
Viel Raum wird im Film dem Rückblick gewidmet. Aufgewachsen in den 1940ern bis 1960ern Jahren mussten die Frauen mehr mit klassischen Rollenerwartungen kämpfen als junge Frauen heute.
Berichtet wird davon, wie es nahezu selbstverständlich war, früh zu heiraten, Kinder zu bekommen und sich den Wünschen des Ehemannes unterzuordnen. Den Ausbruch zu wagen, war nicht einfach, doch er gelang.
Bernadette, heute 63 Jahre alt, ging diesen Schritt, als ihre Tochter drei Jahre war. Sie schlitterte in die 68er Bewegung und erkundete die neuen Möglichkeiten sexueller Freiheit, wobei sie auch an Grenzen stieß. Aber ihre Freude an der eigenen Lust hat sie sich bis heute bewahrt. Nur war und ist es nicht immer einfach, den passenden Partner zu finden: Die vielseitig interessierte und temperamentvolle Bernadette ist gegenwärtig Single. In ihrem gleichaltrigen Umfeld nimmt sie wahr, dass viele Männer ihren Wünschen nicht mehr gewachsen sind.
Die anderen vier Porträtierten leben jeweils in einer erfüllenden Partnerschaft - wiederum auf ganz unterschiedliche Weise:
Christa, heute 65 Jahre alt, hat sich selbst, ihre Tochter und ihre Mutter damit überrascht, dass sie die große Liebe in dem 40jährigen Jeremy, einem gebürtigen Afrikaner, gefunden hat. Mit glänzenden Augen schwärmt sie von ihm. Beim gemeinsamen Kochen in ihrem gemütlichen Haus und beim späteren gemeinsamen Entspannen im Garten kann die Zuschauerin an ihrem Glück teilhaben. Witzig und charmant bezieht auch Christas hochaltrige Mutter Stellung zu der ungewöhnlichen Konstellation.
Die unangenehme Frage, ob sie Angst habe, dass Jeremy sie eines Tages wegen einer jüngeren Frau verlässt, beantwortet Christa ehrlich und mit einer erstaunlichen Einsicht.
Die 70jährige Brigitte musste dagegen beharrlich daran arbeiten, ihre zweite Ehe zu einer befriedigenden Beziehung zu gestalten. Lange Zeit kämpfte sie mit der Wort- und Gefühlskargheit ihres Partners. Es hat sich gelohnt: Das Paar erreichte ein tieferes Verständnis füreinander und Brigitte fühlt sich mittlerweile sehr wohl in ihrer Ehe.
Nicht so fest will Ina, 62 Jahre alt, den Kontakt zu ihrem Partner werden lassen. Eine Daueraffäre gibt ihr einen Ort, wo ihre sexuellen Bedürfnisse Raum bekommen, ohne ihren Alltag in neue Bahnen lenken zu müssen.
Auch die 64jährige Birgit kann sich nicht vorstellen, mit ihrer Partnerin, die sie über das Internet kennen gelernt hat, zusammenzuziehen. Stattdessen genießt sie lieber zeitweise Nähe und Lust, aber das dann umso intensiver.
AVIVA-Tipp: Die Doku erlaubt ein neues Verständnis zwischen den Generationen und ermuntert zum Dialog. Durch die Lebensgeschichten ergeben sich viele Berührungspunkte, die in der post-emanzipativen Gegenwart leicht in Vergessenheit geraten.
Eine Protagonistin schildert, wie schwer es ihren Kindern falle, ihre Mutter als Frau mit sexuellen Bedürfnissen zu akzeptieren. Dies zeigt, wie Klischeebilder in den Alltag eingreifen und Lebensentwürfe belasten können. Gabi Schweigers Film ist ein gutes Heilmittel dagegen. Zudem verführt die Freude der Sixtysomethings an ihrer Sexualität dazu, sich fest vorzunehmen, die eigene Lust nie aus den Augen zu verlieren.
Zur Filmemacherin: Gabi Schweiger, 1959 in Steyr, Oberösterreich geboren, absolvierte 2001 den Lehrgang Dokumentarfilm bei Walter Wehmayr und drehte 2005 den Dokumentarfilm "Zilli". Ab 2006 Recherche, Konzept und Dreharbeiten zu "Die Lust der Frauen". In Planung: Ein Dokumentarfilm zu "Die Lust der Männer". (Quelle: Website der Regisseurin) www.gabischweiger.at/index.html
Die Lust der Frauen
Von der Liebe, dem Leben und dem Sex im Alter
Österreich 2010
Regie und Buch: Gabi Schweiger
Kamera: Eva Testor
ProtagonistInnen: Bernadette Beiwl, Enkel Philip und Christopher, Birgit Meinhard-Schiebel und Partnerin Margit Tischberger, Brigitte Pfeiffer, Schwiegertochter Ulli, Sohn Manfred und Enkel Paul, Christa Wagner und Sambila Jeremie Yerbanga, Ina Biechl und Egon Biechl
Eine Produktion der Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion in Koproduktion mit ORF
Laufzeit: 61 Minuten
Sprache: Deutsch
FSK: ab 16 Jahre
Bildformat: 1:1,78 (16:9)
Ton: 2.0 Stereo Dolby Digital
Vertrieb: Zorro Film
EAN: 4047179587389
Weitere Infos unter:
www.geyrhalterfilm.com/dielustderfrauen