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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 22.02.2011


61. Berlinale - Die PreisträgerInnen
Tatjana Zilg

Nahezu übereinstimmend hofften Publikum und Presse auf die Auszeichnung des iranischen Soziodramas "Nader und Simin - A Separation" von Asghar Farhadi. Die Entscheidung der Jury übertraf jedoch ...




... die Erwartung, indem sie das Filmteam gleich mit drei Preisen bedachte.

Der Goldene Bär lag am Ende der Gala in den Händen des renommierten iranischen Regisseurs, davor gingen die Silbernen Bären für die beste Darstellerin sowie den besten Darsteller an das weibliche sowie das männliche Ensemble (Leila Hatami, Sarina Farhadi, Sareh Bayat und Peyman Moadi, Shahab Hosseini, Babak Karimi) des eindringlichen und mutigen Films. Ein solcher Dreier-Coup bei der Preisvergabe der Berlinale ist ausgesprochen selten. Auch dass ein Regisseur in zeitlich geringem Abstand mit seinen Filmen im Wettbewerb unter die GewinnerInnen gelangt, kommt nicht oft vor, obwohl häufiger RegisseurInnen mit ihren Folgefilmen in den Wettbewerb zurückkehren. Asghar Farhadi erhielt bereits bei der 59. Berlinale für "Darbareye Elly (All about Elly)" den Silbernen Bären für die beste Regie. Dass Filmemachen bei der sich weiter zuspitzenden Situation im Iran eine wichtige politische Bedeutung zufällt, bewies die 61. Berlinale von Beginn an. In die Jury war der iranische Regisseur Jafar Panahi berufen worden, aber die Ausreise wurde ihm aufgrund seiner - international äußerst umstrittenen - Verurteilung und Inhaftierung verweigert.

Politik und Mikrokosmen, Melancholie und dezenter Humor

"Nader und Simin - A Separation" bietet einen mikroskopischen Einblick in die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse anhand der Konfrontation zweier Ehepaare aus unterschiedlichen Schichten. Verbunden durch eine aufrüttelnde Einstiegsszene, in der eine Frau in aller Dringlichkeit ihren Wunsch betont, das Land zu verlassen, und dem ergreifenden letzten Bild eines jungen Mädchens, das sich bei der Scheidung zwischen den Eltern entscheiden muss, erzählt der Film seine Geschichte über den eskalierenden Konflikt zwischen den beiden Familien. Die einzelnen Antriebe der Beteiligten berühren auf universeller Ebene, ermöglichen ein anderes Verständnis des Alltagslebens im Iran und helfen so ganz nebenbei, Klischeevorstellungen abzubauen.

Diese Aspekte sind ohnehin einer der großen Reize eines Filmfestivals, das Wert darauf legt, eine umfangreiche Auswahl an Filmen aus allen Teilen der Welt einem internationalen Publikum zugänglich zu machen und darüber hinaus als das Politischste aller internationalen Filmfestivals gilt. Das Programm aller Sektionen im Jahr 2011 erlaubte es, Inneneinsichten zu gewinnen und eröffnete so oft neue Perspektiven auf durch Vorurteile besetzte Themen.
Nicht immer wurde dies so leichtgängig umgesetzt wie in der deutschen Komödie "Almanya" des Regisseurinnenduos Nesrin Samdereli und Yasemin Samdereli, die im Wettbewerb außer Konkurrenz lief und für viele Berlinale-Dauerkinogäste zum Festival-Highlight avancierte. Andere Filme zeigten sich eher melancholisch durchdrungen und sich im langsamen Tempo entfaltend.

Silberne Bären

Auf dem zweiten Platz bei der Bärenvergabe, dem Silbernen Bären und dem Großen Preis der Jury, findet sich das in Schwarz-Weiß gehaltene, von Stummfilmästhetik inspirierte "A torinói ló (The Turin Horse)" des ungarischen Regisseurs von Béla Tarr. Auch "El Premio" der argentinischen Regisseurin Paula Markovitch ist von Graustufen-Tongebungen und Schwarz-Weiß-Kontrasten geprägt, wobei hier moderne Filmtechnik ermöglicht, Farben einzubinden, ohne die tonale Grundstimmung aufzuheben. In dem gekonnt reduzierten Setting einer Strandbaracke, einer urigen Landschaft am Meer und einem Schulgebäude beschreibt sie einige Tage im Leben einer Mutter und ihrer siebenjährigen Tochter, die auf der Flucht vor den Befehlsempfängern eines diktatorischen Regimes sind und angespannt auf die Nachricht des Vaters und Lebenspartners warten. Die ungewöhnliche und packende Bildsprache des Films überzeugte die Jury zu einer doppelten Vergabe des Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung an den Kameramann Wojciech Staron und die Produktionsdesignerin Barbara Enriquez. Etwas überraschend, dass der Film ansonsten leer ausging. Die ungewöhnlich intensive Performance der siebenjährigen Kinderdarstellerin Paula Galinelli Hertzog galt als bärenverdächtig.

"The Future" von Miranda July und "Odem" von Jonathan Sagall ohne Preise

Ganz leer aus bei der Bärenvergabe ging leider das somnambule "The Future" der Allround-Künstlerin Miranda July. Sie spielt in ihrem experimentell-poetischen Beziehungsfilm auch die weibliche Hauptrolle. Für ihr Regiedebüt " Me and you and everyone we know" wurde sie 2005 auf dem Internationalen Festival in Cannes mit der Caméra d´Or ausgezeichnet.
Ebenso ohne Bären blieb der israelische Wettbewerbsbeitrag "Odem", in welchem die Schauspielerinnen Clara Khoury, Nataly Attiya, Moran Rosenblatt und Ziv Weiner ihren schwierigen Rollen durch eine bestechende Intensität Glaubhaftigkeit verleihen. Der israelische Regisseur und Drehbuchautor Jonathan Sagall wagt in seinem Film viel und holt sein Publikum erst spät aus der Verstörung wieder ab, wenn er zeigt, wie trügerisch Erinnerung sein kann und dass voreilige, einseitige Urteile oft der Wahrheit in keiner Weise gerecht werden können.

Die zwei um die Bären konkurrierenden deutschen Filmewurden von der Jury mit dem Silbernen Bären für die Beste Regie ("Schlafkrankheit" von Ulrich Köhler) und dem Alfred-Bauer-Preis ("Wer, wenn nicht wir" von Andreas Veiel) bedacht.

Die Auszeichnungen der unabhängigen Jurys

Daneben gab es viele weitere Preise, die durch die unabhängigen Jurys oder durch das Publikum vergeben wurden.

Die israelische Regisseurin Michal Aviad erhielt für ihren bewegenden und sensiblen Film "Lo Roim Alaich (Invisible)" den Preis der Ökumenischen Jury.
"Der Film handelt von Vergewaltigung - ein wichtiges und häufiges soziales Problem körperlicher und seelischer Traumatisierung. (...) Dieser erste Spielfilm der Regisseurin beruht auf realen Fakten und zeigt den Einsatz für Frauenrechte und Würde." (Ausschnitt Jurybegründung)

Der Forumsbeitrag "The Ballad of Genesis and Lady Jaye" von Marie Losier, ein emotionales Doku-Portrait über das bereits verstorbene Bandmitglied von Psychic TV, die MusikerinJacqueline Breyer alias Lady Jaye, nahm die Jury des Caligari-Filmpreises für sich ein. Der Preis wird vom "Bundesverband kommunale Filmarbeit" und der Zeitschrift "film-dienst" gestiftet. Er ist mit 4.000 Euro dotiert, wobei die eine Hälfte an die Regisseurin des Films geht, die andere den Verleih fördert.

Der Panorama-Publikumspreis wurde in den Kategorien "Spielfilm" und "Dokumentarfilm" vergeben. Die höchsten positiven Stimmenzahlen konnten die spannungsreiche, spanisch-französisch-mexikanische Koproduktion "También la lluvia (Even The Rain)" von Icíar Bollaínder, die dem Publikum die gravierenden Probleme der indigenen Bevölkerung in Bolivien auf innovative Art ans Herz legt, und der Dokumentarfilm "Im Himmel, Unter der Erde. Der Jüdische Friedhof Weißensee" von Britta Wauer auf sich ziehen.

Ebenso auf bei den 61. Internationalen Filmfestspielen Berlin verliehen wurde der Femina Filmpreis 2011. Die Jury des 15. Femina Filmpreises hat am 19. Februar 2011 den mit 2.000 Euro dotierten Preis an die Kostümbildnerin Julia Brandes für das Kostümbild in dem Spielfilm "Lollipop Monster" von Ziska Riemann (Perspektive Deutsches Kino) vergeben.. Julia Brandes war überrascht und stolz, als sie den Preis entgegennahm: "Es ist extrem viel Herzblut in diesen Film geflossen - von allen. Wir haben alles gegeben. Und wenn dieses "Alles" gesehen und anerkannt wird, ist das toll. Der Femina Filmpreis ist eine riesengroße Auszeichnung und macht mich sehr stolz."

Die "Initiative Friedensfilmpreis" stiftet in Verbindung mit den "Ärzten zur Verhütung des Atomkriegs" (IPPNW) und der Heinrich-Böll-Stiftung den mit 5.000 Euro dotierten Friedensfilmpreis. Die aus neun Mitgliedern bestehende Jury sichtet die Filme aus allen Sektionen und entschied sich 2011 für einen Beitrag aus der Generation, dem Kinderfilmfest. Die polnische Regisseurin Dorota Kedzierzawska begleitet in "Jutro bedzie lepiej (Tomorrow will be better)" drei russische Straßenkinder auf ihrem Weg zur Grenze, von deren Überschreitung sie sich ein besseres Leben versprechen.

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Beitrag vom 22.02.2011

AVIVA-Redaktion