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Beitrag vom 28.01.2009
Der Vorleser - von Stephen Daldry
Anna-Lena Berscheid
Der literarische Welterfolg des deutschen Autors Bernhard Schlink hat nach Jahren der Planung nun den Weg auf die Leinwand gefunden. Der Film mit Starbesetzung ist ab 26.02.09 im Kino zu sehen.
1958: Michael Berg (David Kross) ist ein 15-jähriger Hänfling, als er auf die Straßenbahnschaffnerin Hanna Schmitz (Kate Winslet) trifft. Sie findet ihn in ihrem Hauseingang, in dem er auf dem Schulweg krank zusammengebrochen ist und führt ihn nach Hause. Als er sich für ihre Hilfe bedanken will, überrascht Michael Hanna in einem sehr sinnlichen Moment – und ist von der 36-jährigen Frau fasziniert. Auch Hanna fühlt sich zu ihrem jungen Verehrer hingezogen und beginnt eine Affaire mit ihm, die vor der restlichen Welt geheim gehalten werden muss. Ihre Begegnungen laufen stets nach dem gleichen Muster ab: Zunächst muss Michael Hanna vorlesen - von der Odyssee Homers bis zur Deutschen Klassik – und erst nach dem Vorlesen lässt Hanna ihn in ihr Bett und an sich heran. So vergeht ein kurzer, intensiver Sommer, in dem Michael seine ersten Erfahrungen in Sachen Liebe macht. Doch eines Tages ist Hanna spurlos und ohne ein Wort der Ankündigung verschwunden.
1966: Michael ist mittlerweile zum Mann herangewachsen und studiert Jura in Heidelberg. Im Rahmen eines Seminars besucht Professor Rohl (Bruno Ganz) mit seinen StudentInnen einen Prozess, in dem die Gräueltaten mehrerer KZ-Aufseherinnen verhandelt werden. Michael ist schockiert, als er sieht, wer dort mit auf der Anklagebank sitzt: Es ist seine erste (und einzige) große Liebe Hanna, die des Mordes an 300 jüdischen Frauen und Kindern beschuldigt wird. Wie gelähmt von der Entdeckung, verfolgt Michael den Fortgang des Prozesses, in dessen Verlauf Hanna zunehmend die alleinige Verantwortung für den Tod der vielen Jüdinnen zugeschoben wird. Der junge Student weiß aber, dass Hanna es nicht gewesen sein kann, die einen belastenden Bericht verfasst hat. Doch hat er auch nicht den Mut, durch sein Eingreifen seine Vergangenheit mit Hanna zu offenbaren und sie vor der lebenslangen Haftstrafe zu bewahren, zu der sie letztendlich verurteilt wird.
Auch Jahrzehnte später, nach einer kurzen unglücklichen Ehe, kann Michael (Ralph Fiennes) Hanna nicht vergessen. Er beginnt, alte Gewohnheiten wieder aufleben zu lassen: Mit Hilfe eines Kassettenrekorders liest er ihr vor. Es sind Bücher, die beide schon aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit kennen. Der neue Kontakt zur Außenwelt veranlasst Hanna schließlich, etwas zu lernen, was sie sich selbst nicht mehr zugetraut hätte ...
Die Handlung dieses Films bleibt in jeder Sekunde sehr nah an der Romanvorlage und wagt kaum Ausbrüche. Die Umsetzung des Stoffes ist komplex, vermag es aber auch, die ZuschauerInnen über die vollständige Länge des Filmes zu fesseln. Der Grundton bleibt dabei sehr ruhig, erlaubt sich jedoch einige aufbrausende und dadurch wunderbar mitreißende Momente, so zum Beispiel wenn Michael – sowohl in jungen Jahren als auch im fortgeschrittenen Alter – beim Vorlesen geradezu in Ekstase gerät.
Zu den HauptdarstellerInnen:
Kate Winslet ist gebürtige Engländerin und stammt aus einer Schauspielerfamilie. Weltweit bekannt wurde sie durch ihre Rolle der Rose in James Camerons Epos "Titanic" (1998), wofür sie bereits ihre zweite Oscarnominierung nach "Sinn und Sinnlichkeit" (1995) erhielt. In den Folgejahren wurde Kate Winslet weitere drei Mal für den Oscar nominiert (Für die Produktionen "Iris" (2001), "Vergiss mein nicht" (2003) sowie "Little Children" (2006) ). Durch die Nominierung für "Der Vorleser" im Jahr 2009 ist sie die jüngste Schauspielerin aller Zeiten, die bereits sechs Oscarnominierungen vorweisen kann. Gewonnen hat Kate Winslet bislang jedoch nicht. Derzeit ist sie, wie bereits in "Titanic" an der Seite von Leonardo DiCaprio im Film "Zeiten des Aufruhrs" zu sehen. Für diesen Film, wie auch für "Der Vorleser" erhielt sie 2009 jeweils einen Golden Globe. Kate Winslet wurde für ihre Rolle als als ehemalige KZ-Aufseherin Hanna Schmitz bei den British Academy Film Awards (BAFTA) 2009 als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.
David Kross wurde 1990 in der Nähe von Hamburg geboren. Nach kleineren Fernsehrollen wurde er von Detlev Buck für dessen mehrfach ausgezeichneten Film "Knallhart" (2006) entdeckt. Zuletzt spielte David Kross in Marco Kreuzpaintners "Krabat" (2008) die gleichnamige Hauptrolle. Derzeit dreht er, wieder mit Detlev Buck, das Drama "Same, Same but Different" in Kambodscha, Thailand und Hamburg.
Ralph Fiennes wurde 1962 in Suffolk, England geboren und ist sowohl auf der Theaterbühne als auch vor der Kamera zu finden. Fiennes beweist ein weites Spektrum an Charakterdarstellungen, sei es als KZ-Aufseher in "Schindlers Liste" oder als Lord Voldemort, dem bösen Gegenpart zu Harry Potter. Für "Der englische Patient" erhielt er eine Oscar-Nominierung, wie schon zuvor als Bester Nebendarsteller für "Schindlers Liste" und ist zur Zeit ebenfalls in "Die Herzogin" als William Cavendish, 5. Duke of Devonshire an der Seite von Keira Knightley zu sehen.
Zum Regisseur:
Stephen Daldrys erster Kinofilm "Billy Elliot" (2000) gewann weltweit mehr als vierzig Preise und wurde für drei Oscars nominiert. Sein zweiter Film "The Hours" (2002) war ebenfalls erfolgreich und gewann zahlreiche internationale Auszeichnungen sowie neun Oscar-Nominierungen. Zusätzlich zu seiner Arbeit als Filmregisseur arbeitet Daldry auch am Theater, darunter am Royal Court Theatre und am National Theatre.
AVIVA-Tipp: "Der Vorleser" behandelt eine Thematik, die im Deutschland der Nachkriegszeit oft totgeschwiegen wurde. Nach dem Krieg nahmen Mitwissende und MittäterInnen ihr bürgerliches Leben wieder auf und über Vergangenes wurde geschwiegen. Wie schwierig und traumatisierend die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sein kann, wenn eine geliebte Person sich als Täterin entpuppt, zeigt dieser Film auf sehr eindrucksvolle Art: Michael schafft es selbst als erwachsener Mann nicht, sich von Hanna, einer verurteilten Mörderin, zu lösen, auch wenn er über Jahrzehnte keinerlei Kontakt mehr zu ihr hatte.
Nur selten wurde eine deutsche Literaturvorlage mit so prominenter Besetzung verfilmt. Dies ist der unvergleichlichen Popularität des Romans auf dem US-amerikanischen Büchermarkt zu verdanken. Neben den erstklassigen internationalen Stars wie Kate Winslet, die für ihre resolute, aber auch verletzliche und zugleich empörende Darstellung der Hanna einen Golden Globe gewann, und Ralph Fiennes sind sämtliche Nebenrollen mit dem Who is Who der deutschen Schauspielriege besetzt worden. Die Internationalität gerät dem Film jedoch zum Nachteil, wenn es um den Sprachfluss geht. Die englischen Dialoge des Originals klingen oft holprig und falsch. Der Film, der zu weiten Teilen in Deutschland spielt, verliert dadurch an Authentizität.
Der Vorleser
im Verleih von Senator Film
USA/Deutschland, 2009
Regie: Stephen Daldry
Drehbuch: David Hare
Produktion: Anthony Minghella, Sidney Pollack u.a.
DarstellerInnen: Kate Winslet, Ralph Fiennes, David Kross, Bruno Ganz, Lena Olin, Hannah Herzsprung, Karoline Herfurth
Filmlänge: 122 Minuten
Kinostart: 26. Februar 2009