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Beitrag vom 06.09.2011
Berlin - Paris. Die Geschichte der Beate Klarsfeld. Kinostart 8. September 2011
Nina Breher
"Nazi, tritt zurück!" - mit diesen Worten ohrfeigte Beate Klarsfeld 1968 Bundeskanzler Kiesinger. Doch ihr Leben hat noch mehr zu bieten und ist Hanna Laura Klar zu Recht einen Dokumentarfilm wert.
Beate Klarsfeld erlangte Bekanntheit durch ihr Engagement für die juristische Verfolgung von Verbrechern des Nationalsozialismus, und nicht zuletzt auch für die berühmte Ohrfeige, die sie an den Bundeskanzler austeilte, der von 1933 bis 1945 NSDAP-Mitglied war und im nationalsozialistischen Staatsapparat Karriere machte. Vor drei Jahren beschäftigte sich der Spielfilm "Hetzjagd" mit ihrem politischen Wirken. Nun lädt die neue Dokumentation "Berlin – Paris" BetrachterInnen dazu ein, sie und Ehemann Serge auf den Spuren ihres bewegten Lebens nach Paris, Frankfurt, Berlin und Venedig zu begleiten.
"Ich fühle mich nicht schuldig, aber moralisch verantwortlich", erklärt die elegante und dennoch bodenständig wirkende Frau im Interview. Auslöser für ihren beachtlichen Einsatz war ihr zufolge die Bekanntschaft und spätere Heirat mit Serge Klarsberg - einem jüdischen Franzosen, den sie als Au-pair-Mädchen in Paris in der Metro kennen lernte und mit dem sie seitdem im Team agiert. Dessen Vater wurde in Auschwitz ermordet, ihrer hingegen war bei der deutschen Wehrmacht und kehrte nach dem Krieg in ein normales Berliner Leben zurück.
Unweigerlich setzte einerseits die Beziehung zu dem Historiker und andererseits der Umzug in die französische Hauptstadt eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Gang, die ihr Leben fortan bestimmen würde. Als Hans-Georg Kiesinger im Jahr 1966 Bundeskanzler wird, sieht sich die 29-jährige in der Verantwortung, zu handeln. In Frankreich veröffentlicht sie einen kritischen Artikel, der ihre Entlassung aus ihrem Job als Sekretärin beim Deutsch-Französischen Jugendwerk zur Folge hat: "Man entlässt eine Deutsche, weil sie sagt, dass ein Deutscher ein Nazi war.", so Klarsfeld kopfschüttelnd über den Vorfall.
Mithilfe von JournalistInnen, dem SDS und Unterstützung aus der DDR gelingt es ihr kurze Zeit später, Kiesinger auf dem CDU-Parteitag von 1968 zu ohrfeigen: "Ich wusste, dass die Presse nur berichtet, wenn man irgendetwas Illegales macht." Es habe eine symbolische Ohrfeige der jungen Generation gegen die Altnazis sein sollen. Sie wird zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, muss allerdings aufgrund ihrer französischen StaatsbürgerInnenschaft die Haft nicht antreten. Als der Richter nach der Verurteilung anmerkt, sie habe dem Bundeskanzler Gewalt angetan, kontert sie: "Gewalt bedeutet, wenn man der deutschen Jugend einen Nazikanzler aufzwingt."
Im weiteren Verlauf skizziert die Dokumentation den Einsatz der Klarsfelds für die Verurteilung von ehemals hochrangigen Nazis wie Alois Brunner, Kurt Lischka und Klaus Barbie. Schade ist, dass die Kontroverse um die vom Ehepaar gemeinsam konzipierte Ausstellung "Enfants juifs déportés de France" nur am Rande Erwähnung findet: Die Deutsche Bahn weigerte sich, diese auf ihren Bahnhöfen zu zeigen. Als Begründung erklärte Bahnchef Mehdorn, eine Ausstellung dieser Art passe nicht zu deutschen Bahnhöfen, das Thema sei "zu ernst, als dass man sich Brötchen kauend und in Eile auf dem Weg zum Zug damit beschäftigen kann". Mit anderen Worten: Der Konzern wollte die KundInnen der Deutschen Bahn nicht beim Brötchenessen mit unangenehmen Episoden der deutschen Geschichte stören.
Stattdessen erfährt mensch viel über das Privatleben der Klarsfelds. Sie stellen uns ihre Enkelkinder und ihre Hunde vor, sie nehmen uns mit in ihre Ferienwohnung in Venedig. Die intimen Einblicke sind schön anzusehen und lassen eineN unweigerlich lächeln. Und doch hätte mensch sich gewünscht, dass stattdessen mehr Details ihres politischen Engagements im Vordergrund gestanden hätten.
Bemerkenswert hingegen ist, dass die Dokumentation auch die aktuellen Projekte des Ehepaars zum Thema macht - zum Beispiel die Reisen Serge Klarsfelds in verschiedene arabische Staaten. Dort klärt er im Rahmen des UNESCO-Projekts "Aladin" über die Shoa auf.
AVIVA-Tipp: Die Dokumentation würdigt auf angemessene Art und Weise das Engagements eines Ehepaares, das sich unermüdlich für die auch heute noch nicht abgeschlossene Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Holocaust einsetzt. Regisseurin Hanna Laura Klar, die auch schon Elfriede Jelinek mit der Kamera begleitete, gelingt ein intimes Portrait einer ehemaligen Heldin der 68er-Bewegung, die auch nach der Blütezeit der außerparlamentarischen Opposition nicht still saß.
Zur Regisseurin: Hanna Laura Klar, geboren 1946, ist Autorin, Regisseurin und Produzentin. Sie studierte Film an der HfG Ulm, Philosophie in Heidelberg und Soziologie in Frankfurt (Dipl. Soz.). Ihr bevorzugter Arbeitsbereich ist der Dokumentarfilm. Zu ihrer Filmografie gehören "Das Schwache Geschlecht muss stärker werden - Weibergeschichten" (1969), "Stadtliebe" (1982), "Das Schwache Geschlecht muss stärker werden - Teil II" (1988), sowie "Elfriede & Elfriede" (2002/2003). Klar ist Redakteurin bei Tages- und Hochschulzeitungen, freie Autorin und Regisseurin bei Rundfunk und Fernsehen. Seit 1980 ist sie Dozentin für Video an der Fachhochschule Frankfurt. (Quelle: www.ifff.de)
Berlin - Paris
Die Geschichte der Beate Klarsfeld
Deutschland 2010
Regie und Drehbuch: Hanna Laura Klar
DarstellerInnen: Beate Klarsfeld, Günter Wallraff, Arno Klarsfeld, Serge Klarsfeld, Lida Klarsfeld-Comporti, Andrea von Bethmann, Arno Widmann, Konrad Matschke, Gesine Lötzsch
Verleih: Edition Salzgeber
Lauflänge: 91 Minuten
Kinostart: 8. September 2011
www.salzgeber.de
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Ute Kätzel: Die 68erinnen
Quellen: www.j-zeit.de und www.systemkritik.de.