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Beitrag vom 21.02.2011
Hilfe, jetzt müssen wir auch noch bessere Menschen werden
Isabell Serauky
Die März-Kolumne von Isabell Serauky. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es offenkundig so nicht weiter geht? Zumindest wirkt es so, wenn frau die aktuellen Bestsellerlisten betrachtet. Wie...
... lassen sich sonst die unzähligen Erbauungs- und Orientierungsfibeln erklären, die unser lasterhaftes Leben ins Lot bringen sollen?
Da werfe ich doch mit Wonne einen Blick zurück. Was war das Leben früher einfach.
Dank dem Bestseller "Simplify your life" haben wir unser Leben organisiert, entrümpelt, effektiviert und bei Aufzug dunkler Wolken half dann noch "Sorge Dich nicht, lebe!" weiter. Und gut war´s! Mehr Halt und seelische Erbauungsarbeit waren nicht nötig, um unserem Leben von der Wiege bis zur Bahre den richtigen Drive zu verpassen.
Heute wissen wir es natürlich besser: Wir haben unser Leben damit gnadenlos in trübes Fahrwasser gesteuert.
Was ist da nicht alles im Laufe eines Lebens zu bedenken! Welche Fehlentscheidungen werden täglich, ja gar stündlich von uns getroffen! Zum Glück gibt es nun handfeste Erweckungslektüre für unsere Tugenden und bessere Menschwerdung. Zwischen Buchdeckeln gepresst, gibt es sie für jede Parzelle unseres kleinen irdischen Daseins.
Mit der Bestenliste im Nacken, versuche ich mich in optimierter, einwandfreier Manier durch einen Tag zu hangeln.
Das erste Glaubensbekenntnis des Tages fordert bereits die morgendliche Schicksalsfrage: Frühstücksei - ja oder nein? Sofort kommt mir Karen Duves "Anständig Essen" in den Sinn. Sie pilgerte im Selbstversuch vom Currywurst- Fan zur handfesten Veganerin. Dort angekommen, sind alle tierischen Produkte absolut tabu. Duve und ihr Huhn Rudi fluten seit Wochen alle Medien. Diesem omnipräsenten Gespann hat man nur mit einer mehrmonatigen Expedition zum Nanga Parbat entfliehen können.
Nein, dieses Schicksal war mir nicht vergönnt.
Ich hatte die volle Dröhnung von Karen, Rudi und ihrer Botschaft. Und die lautet: Futtert anständig, dann seid ihr auch bessere Menschen. Bis dato war ich an dieser Stelle wirklich gedankenlos unterwegs. Ich griff völlig unkritisch nach Bio-Ware. Und ja, auch fleischliche Genüsse landeten im Einkaufskörbchen. Nun muss ich mich fragen, welch unanständiger Mensch bin ich denn bitte? Nach meinem selbstzufriedenen, ernährungsethischen Eigenbild müsste ich, angelegt an Duves Messlatte, schon lange als Frutarierin leben und mein Speiseplan von den Bäumen zusammenrütteln. Pardon, natürlich warten, bis mir alles in den Schoß fällt. Aber zumindest müsste ich, so selbstherrlich wie ich nun mal bin, als Messias der VeganerInnen durchs Land ziehen.
Aber nix da. Keine Augenhöhe mit den Frutarierinnen dieser Welt! Ich scheitere damit an der ersten Hürde des Tages und klopfe mürrisch mein Frühstücksei platt.
Dann, auf dem Weg zur Arbeit sitze ich in der S-Bahn.
Mir werden in fünfundzwanzig Minuten zweimal die Obdachlosenzeitung Motz und teuflisch laute Gesänge von strammen, munteren Burschen feilgeboten. Ich bleibe stur auf meiner Geldbörse sitzen und bin damit erneut ein Totalausfall. Denn, was Karen Duve an Orientierung in Topf und Pfanne bietet, regelt Richard David Precht, unser George Clooney der Philosophie, im Zwischenmenschlichen. Sein: "Die Kunst kein Egoist zu sein" versaut mir erneut den Tag. Auch bei generösester Auslegung offenbart meine monetäre Verweigerung eine egoistische Grundhaltung. Und dabei wollte ich mich doch nach dem Flop am Frühstücksei wirklich bessern! Offenbar muss ich auch mit diesem Stigma leben, dass die Kunst – kein Egoist zu sein - so schnell nicht zu beherrschen ist. Zumindest nicht von mir.
Hinterm Schreibtisch angekommen, fällt mir das derzeit heiß diskutierte Offenbarungswerk der femininen Lebenswelt ein: Bascha Mikas "Die Feigheit der Frauen". Die Leitwölfin der feministischen Moderne wagt es nun endlich, die Wahrheit anzupacken: Wenn das Weibchen nur nach einem Versorger schielt, stellt es sich damit beruflich selbst ein Bein. Ganz klar! Unterwegs mit diesem Silberblick konnten wir den Chefinnensessel ja nie finden und haben seine Erstürmung aus eigener Kraft total vermasselt. DANKE, dass wir nun in Kenntnis unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit illusionslos weiter dümpeln dürfen. Denn – Kariere, Kind und Mann - das alles zusammen geht nun wirklich nicht! Solch ein raffgieriger Lebenshunger muss selbstverständlich sanktioniert werden. Vergesst die Balance und entscheidet Euch – übermotivierte Kampfmutter oder karrieregeiles Flintenweib. Welch Druck ist nun von uns genommen! Danke Bascha.
Endlich mal ein Werk auf der Bestenliste, bei dem ich mich nicht strecken muss, da ja offenkundig alle Messen gesungen sind. Einfach weiter dümpeln - das bekomme ich ganz sicher hin.
Am Abend will ich es dann wirklich wissen und greife zu: "Wofür stehst Du?" Axel Hacke und Giovanni di Lorenzoerklären sich darin gegenseitig, was ihre Welt in den Grundfesten zusammenhält. Auch wenn ich mich bei der Lektüre noch so zusammenreiße, schiele ich von deren hehrer Lebenshaltung auf meine. Nun ja, das war dann wohl wieder fahrlässig. Denn schon habe ich mich damit in die Zwickmühle manövriert und werde darin gnadenlos zermahlen.
Nach diesem Tag voller Nackenschläge dämmert es mir, dass das Leben mit Bestsellern wie "Moppel –Ich", "Liebe Dich selbst und es ist egal, wen du heiratest" und "Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken" auch kein schlechtes war.
Die Autorin Isabell Serauky ist Rechtsanwältin und arbeitet in einer Kanzlei im Berliner Prenzlauer Berg, www.jurati.de.
Nächstes Thema: Frühjahrsputz
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