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Beitrag vom 25.03.2012
Fliegende Fische müssen ins Meer. Ein Film von Güzin Kar. Ab 23. März 2012 gibt es den Gewinner des Max-Ophüls-Preises 2011 auf DVD
Marie-Luise Wache
Die dreifache Mutter Roberta, gespielt von Meret Becker, scheint ihren jugendlichen Eifer nicht nur in Sachen Männern nie verloren zu haben, hingegen wirkt ihre 15-jährige Tochter Nana schon...
... allzu erwachsen. Ein skurriler Rollentausch in einer Mutter-Kind-Beziehung, der das Chaos vorprogrammiert.
Roberta (Meret Becker) stürzt sich immer wieder in neue Liebesabenteuer von kurzer Dauer, die weder für sie noch für ihre Kinder gut sind. Die jeweiligen Herren lernt sie bevorzugt während ihrer Arbeit auf einem Ausflugsdampfer kennen, der den Grenzfluss zwischen Schweiz und Deutschland befährt. Roberta vertraut in die Versprechen der Männer, mit ihr und ihren Kindern die große, weite Welt zu bereisen, wird aber immer wieder enttäuscht. Da sich ihre Mutter in Zukunftsträumen verliert, muss die älteste Tochter, die 15-jährige Nana (Elisa Schlott) für die Familie sorgen. Täglich arbeitet sie als Schleusenwärtin beim Wasserkraftwerk, erledigt die Einkäufe und bringt ihre Geschwister ins Bett.
Als sich das Jugendamt bei Roberta meldet und droht, die Kinder ins Heim zu geben, falls sie ihre Rolle als dreifache Mutter nicht ernster nimmt, verspricht sie Besserung. Da sich die Kinder darauf nicht verlassen wollen, begeben sich Nana und ihre Geschwister erst mal auf die Suche nach einem geeigneten Mann und eventuellem Familienvater. Doch dann verliebt sich die 15-Jährige selbst in einen der Anwärter, den jungen und attraktiven Arzt des Dorfes (Barnaby Metschurat).
Als Kulisse für die tragik-komische Familiengeschichte dient ein Grenzdorf zwischen Deutschland und der Schweiz. Umgeben ist das provinziale Städtchen von Wiesen aus sattem Grün, die vielleicht die seltenen TouristInnen zu Begeisterungssprüngen rühren, jedoch nicht Roberta und ihre Familie. Die kleine Gemeinde ist genau so, wie frau sich einen Ort am Ende der Welt vorstellt. Die BewohnerInnen leben nach konservativen Wertvorstellungen, Hausfrauen und Verkäuferinnen treffen sich einmal wöchentlich zum Singen im Chor, es gibt genau eine Fleischerei, einen Supermarkt und vor allem viel zu wenig Abwechslung.
Nicht nur durch ihre Arbeit und Lebensweise sticht so die Eigenbrötlerin Roberta aus ihrem Umfeld heraus, sondern auch optisch. Die Regisseurin Güzin Kar inszeniert ihre Hauptperson in knallig-bunten, kurzen Kleidern und die Wohnung der Familie als einen wilden Mix aus Möbeln und Mustern, die so den Patchwork-Charakter verdeutlichen. Aber auch Nana, im Gegensatz zu ihrer Mutter schlicht gekleidet, lebt in einer bunten Welt. Ihre Tagträume, die als ironische Zwischenepisoden im Film auftauchen, handeln phantasievoll und mit satten Farben von ihren Vorstellungen eines bürgerlicheren Familienlebens.
"(Ich wollte) einen bunten, farbenfrohen Film machen, der Nanas Perspektive diente, die trotz aller Alltagssorgen eine kindlich-verspielte ist." so die Regisseurin im Interview mit der betreuenden Presseagentur "Cinemaids".
Die Farbenpracht und die witzigen, filmischen Einschübe dienen außerdem dazu, "Fliegende Fische müssen ins Meer" von einem Drama in eine tragische Komödie umzulenken. So wird zwar die Situation einer alleinerziehenden Mutter detailliert behandelt, Spaß und Charme allerdings nicht außen vor gelassen.
Meret Becker verkörpert Roberta als lebenslustige, etwas durchgeknallte Frau, die hin- und hergerissen ist zwischen dem Verlangen, auszubrechen und Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. Dem herausragenden Spiel Beckers ist es zu verdanken, dass die Figur nicht ins Lächerliche abfällt, wenn sie im kurzen Minirock und rot-gepunkteten, viel zu hohen Pumps Songs wie Madonnas "Like a Virgin" für die TouristInnen und Bankkaufmänner auf dem Ausflugsdampfer dahinhaucht.
Elisa Schlott als Nana, deckt mit ihrem Spiel mehrere weibliche Facetten so überzeugend ab, dass frau ihr die hart arbeitende Schleusenwärterin, die fürsorgliche "Mutter" oder auch die verführerische Diva, die sie verkörpert, belustigt und fasziniert zugleich abnimmt. 2010 war die talentierte Jungschauspielerin bereits in einer deutschen Kinoproduktion zu sehen: An der Seite von Bruno Ganz und Corinna Harfouch spielte sie die Rolle der Jessica in "Giulias Verschwinden".
Zur Regisseurin: Güzin Kar wurde 1971 in der Türkei geboren und ist in der Schweiz aufgewachsen. Nach dem Gymnasium in Basel begann sie in Zürich ein Germanistikstudium und arbeitete zwischenzeitlich als Jugendarbeiterin, Deutschlehrerin für Hausfrauen und Manager sowie als Frisurenmodell. Von 1994 bis 1999 studierte sie an der Ludwigsburger Filmakademie mit Schwerpunkt Drehbuch. Seit über zehn Jahren macht sie Filme, schreibt Kolumnen und Bücher, die zu Bestsellern wurden. Zu ihren Werken gehört unter anderem das Drehbuch zu "Die wilden Hühner" nach dem gleichnamigen Kinderroman von Cornelia Funke. Zurzeit lebt Güzin Kar in Zürich.
AVIVA-Tipp: Ein Film, der die ZuschauerInnen ähnlich wie ein Märchen in seinen Bann zieht. Mit viel Witz und Farbe behandelt die Regisseurin die Tücken der ersten Liebe und die Schwierigkeiten des Lebens in der Provinz sowohl für pubertierende Erwachsene als auch für "erfahrenere" Teenager.
Fliegende Fische müssen ins Meer
Schweiz/Deutschland 2011
Drehbuch und Regie: Güzin Kar
DarstellerInnen: Meret Becker, Elisa Schlott, Barnaby Metschurat, Hans-Peter Müller-Drossaart
Label: Movienet Film GmbH
Filmlänge: ca. 86 Min
Sprachen Deutsch Untertitel: keine
Extras: Trailer
VÖ 23. März 2012 (VÖ Rental: 9. März 2012)
FSK ab 0 Jahren
Bestellnummer 28408387 EAN 4250128408387
Vertrieb Lighthouse Home Entertainment
www.movienetfilm.de
(Quelle: Cinemaids)