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Beitrag vom 04.07.2011
Von wegen - Urlaubszeit, schönste Zeit
Isabell Serauky
Wer freut sich nicht auf die schönsten Wochen im Jahr! Ausgelassen wollen wir diese Zeit genießen – zur Not mit Gewalt. Alles wird generalstabsmäßig geplant, damit nichts der versprochenen...
... Glückseligkeit dem Zufall überlassen bleibt.
Eigentlich sind wir BerlinerInnen in Dauer-Urlaubs-Stimmung. Denn wir leben dort, wo andere Urlaub machen. Vergessen sind Ballerman & Co. Berlin ist das Sehnsuchtsziel schlechthin. Gehe ich vorbei an den gastronomischen Knotenpunkten in Prenzlauer Berg oder Mitte, ist ein schrilles Sprachgewirr zu vernehmen. Ein Mix aus englischen, französischen und auch zunehmend spanischen Klängen. Das sind Momente, in denen man sich als Gast in der eigenen Stadt fühlt. Dennoch zieht es eine/n oder manche/n vielleicht auch gerade deswegen weit weg. Urlaub, es beginnt die schönste Zeit des Jahres!
Unsere Erwartungshaltung wird über Monate aufgebaut, die es nun zu stemmen gilt
Regelmäßig beginnt die Odyssee mit der unschuldigen Frage: Wohin soll die Reise gehen? Es formiert sich augenblicklich die Fraktion der BergliebhaberInnen und die der Wasserratten. Dazwischen liegt ein tiefer Graben. Wehe dem, die/der eine/n PartnerIn der anderen Fraktion an seiner Seite hat. Da hilft nur noch die Vernunft namens Kompromiss. Um den zu umschiffen heißt es: Augen auf bei der PartnerInwahl! Denn, was helfen die wunderbarsten blauen Augen, wenn man in diese nur in dünner Bergluft versinken kann, man aber doch viel lieber Meeresrauschen als Untermalung hätte? Und in Zeiten von Paarship & Co. ist es doch so simpel, die eigene Präferenz mit dem Objekt der Suche abzustimmen! Ein Häkchen an der richtigen Stelle und schon ist ein Riesenpotential an Ärgernissen ausgeblendet. Hoch lebe die effiziente PartnerInwahl in Zeiten des World Wide Webs!
Wenn diese Hürde nun genommen ist, muss als nächster, nicht unproblematischer Schritt, das Land – der Sehnsuchtsort - erwählt werden. Hier sind kulturelle, landschaftliche, kulinarische und sprachliche Gesichtspunkte entscheidend. Und bekanntlich klaffen auch hier die Welten auseinander. Demokratische Geister in der Paar-Welt wechseln jährlich das Vorschlagsrecht. So hat jede/r mal die Chance zum Murren und der andere trägt die Last der Fehlentscheidung. Austarierte Chancengleichheit.
Nun, wenn irgendwann das "Wohin" geklärt ist und man sich immer noch vorstellen kann, die heilige Urlaubszeit mit der besseren Hälfte zu verbringen, stehen die Zeichen auf Aufbruch.
Um dann eine weitere Stolperfalle zu vermeiden, sollte jede/r den Koffer alleine packen. Kein Mann in diesem Universum wird je verstehen, warum Frau für zwei Wochen sechs Paar Schuhe benötigt und keine Frau wird das schludrige Reinwürgen der Klamotten eines Mannes ertragen können. Muss auch keine/r.
Nach weiteren unvermeidlichen Höhepunkten der Hochspannung: Sie liest die Karte. Er pflegt seine "sportliche" Fahrweise. Man steht im Mega-Stau. Der Flug ist gestrichen. Das Hotel ist eine Baustelle. Der Chef ist im selben einquartiert. - Kommen wir irgendwann an.
Endlich Ruhe, Erholung und Zeit für Zweisamkeit
Doch während ich mich in der Sonne aale, überkommen mich regelmäßig seltsame Gedanken. Für mich sind nicht die Stunden um den Jahreswechsel die Schicksalsstunden. Nein, traditionell sind es ruhige Urlaubsmomente, die meine Standortbestimmung herausfordern. Zuviel Entspannung hat eben auch Nachteile! Ich liege in den schönsten Gegenden rum und grüble. Wo haperte es im letzen Jahr? Hat sich etwas bewegt? Wo muss ich nun ran?
Melancholie unterm Sonnenschirm
Dennoch, der ganze Stress scheint sich zu lohnen. Denn kaum sind wir auf der Rückfahrt, verklärt sich schon der Blick auf die süßen Tage des Nichtstuns. Und augenblicklich setzt die Vorfreude auf das nächste Jahr ein. Immer und immer wieder.
Die Autorin Isabell Serauky ist Rechtsanwältin und arbeitet in einer Kanzlei im Berliner Prenzlauer Berg, www.jurati.de
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