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Beitrag vom 29.11.2010
In Kürbislaune - der Gang nach Canossa führt über den Wochenmarkt
Isabell Serauky
Es ist Herbst und damit Marktzeit. Was liegt da näher, als aus marktfrischen Zutaten ein köstliches Mahl zu zaubern. Gedacht, getan. Allein, das wahnsinnige Markttreiben habe ich gnadenlos ...
... unterschätzt und das Unheil nahm seinen Lauf.
Letzten Samstag hatte ich die super Idee, liebe Menschen mal wieder daheim zu bekochen. Früher war dieser Impuls sehr stark ausgeprägt und ich schwang mit Begeisterung jeden Kochlöffel und Pfannenwender. Es gab damals Mitmenschen, die dieser Begeisterung angesichts der 186 Kochbücher in meinem Bücherschrank etwas Manisches andichteten. Unbestritten ist das Equipment meiner Küche phantastisch. Alles ist da: Vom effizient brutzelnden Crème Brûlée Brenner, einer hochtourigen, zwei Liter fassenden Eismaschine, bis hin zum handschmeichelnden Zestenreißer.
Nun sollte alles mal wieder zu Ehren kommen.
Ich simste sechs Einladungen und erhielt in wenigen Minuten flächendeckenden Zuspruch. Sieben hungrige Mäuler galt es nun zu stopfen. Nur womit? Es ist Herbst. Das ruft ganz klar nach Kürbissuppe, dann vielleicht ein lecker gefülltes Rinderfilet und als Abschluss Zimtparfait mit Burgunderpflaumen.
Ein Hoch auf die saisonale Küche und auf zum Wochenmarkt. Berlin hat phantastische Wochenmärkte. Ich peilte den Markt auf dem Kollwitzplatz an. Sicher sind hier mehr TouristInnen als VerkäuferInnen verortet, aber die Nähe des Marktes zur heimischen Küche ist ein nicht zu unterschätzendes Kriterium.
Gibt es nun etwas Schöneres, als am Samstagvormittag über einen Wochenmarkt zu schlendern? Alle sind in so wunderbar aufgeräumter Stimmung und haben so unendlich viel Zeit. Alles und jedes kann gewendet, erfragt, verkostet, ertastet und tiefgründig erörtert werden – der kommunikative Höhepunkt jeder Woche!
Nun ist es so, dass mein Kühlschrank eher ein Leichtgewicht ist – Milch, Orangensaft und eine verlässliche Flasche Sauvignon Blanc sind meine steten Begleiter. Vielleicht noch ein wenig Obst hier und da und fertig ist die Rundumversorgung eines Ein-Personen-Frauen-Haushaltes des neuen Jahrtausends.
An diesem sonnig herbstlichen Samstagvormittag hatte ich nun endlich mal wieder Gelegenheit, ordentlich zuzuschlagen. Meine erste Ausschau galt dem Gemüsehändler meines Vertrauens. Ein Kürbis von zwei bis drei Kilo sollte es sein, Tomaten, Pflaumen und, und, und. Ich baute mich vor dem Stand auf und begann ein geduldiges Warten. Vor mir ließ sich eine pausbäckige Blondine die Vorzüge unterschiedlichster Steinpilzzubereitungsarten vom überaus auskunftsfreudigen Händler erläutern. Ein lebendiges Hin und Her, ein quietschiges Lachen hüben und drüben folgten, währenddessen meine Arme, den Monster-Hokkaido-Kürbis umklammernd, lang und länger wurden…Alle Rezepthinweise gipfelten nach einer gefühlten Ewigkeit in dem allgemeinverbindlichen Mantra, "Bloß keine Zwiebeln dazu geben!" Irgendwann trug die Blondine dann doch tatsächlich 300 Gramm (!!!) litauische Steinpilze stolz von dannen. Ich staunte, dass diese mickrige Ausbeute dem Frohsinn des Steinpilzvirtuosen keinen Abbruch tat. Dann war ich am Zug. Ich hievte mein orangefarbenes Monster über den Tresen und verlangte meine Pflaumen, Kartoffeln und Tomaten. In nur zwei Minuten hatte ich alles beisammen und zahlte das zig-fache der blonden Schönheit. Zugegebenermaßen schwebte ich nicht wie sie in einer Wolke der Glückseligkeit davon. Das lag schlicht daran, dass ich mich partout nicht in die Fänge des redegewandten Gemüsejongleurs verwickeln lassen wollte.
In mir reifte langsam die unheilvolle Ahnung, dass mich mein lockeres, abendliches Beisammensein in einen Stress-Supergau manövrieren könnte.
Es hingen auf einmal zu viele, zu fröhliche, zu tranige und viel zu ausgeglichene Zeitgenossen auf dem Markt rum. Was wollten die alle hier? Die meisten ließen nur zufrieden ihre Blicke schweifen und schlenderten entspannt von Stand zu Stand, ohne auch nur einen klitzekleinen Kaufimpuls erkennen zu lassen!
Ich kämpfe mich weiter durch die glücklich, taumelnde Masse in Richtung Käsestand. Nach einem beherzten Sprung zur Seite, um der Schussbahn eines fidel radelnden Dreijährigen zu entkommen, dem immerwährenden Umrunden knutschend, kuschelnder Paare und dem strammen Überwinden der touristischen Schleichhorden erreichte ich, unterdessen stimmungsmäßig leicht angeknackst, den Käsetempel. Ein Hoffnungsschimmer tat sich auf, nur eine Person drängte sich noch zwischen mich und den Blauschimmelkäse. Ich trat näher und das Grauen erfasste mich erneut. Allein die euphorische Stimmfärbung bedeutete pures Unheil: "Ich hätte gern eine Käseplatte für acht Personen. Was können Sie mir da so empfehlen?" Meinen Hokkaido ließ ich dann mal vorsorglich fallen und versuchte, nicht die ganze Tiefe des sofort aufflammenden Käsefachgesprächs mitzubekommen. Bereits nach zehn Minuten hatte man sich dann auch schon darauf verständigt, dass die Platte nur mit Käse aus der Schweiz und Österreich bestückt werden soll…Irgendwann war ich dann dran. Keine Ahnung, wie ich die Zeit zwischen der regionalen Verortung der Käsescheiben und dem Ausrufen meiner Bestellung überlebte. Irgendwie hat es jedenfalls geklappt. "Bitte 300 Gramm von dem da" (Finger drauf). Mehr kommunikatives Pulver war nicht mehr drin. Wir verstanden uns auch so.
Was blieb war das Rinderfilet. Ich hatte mich in den letzten 60 Minuten bis zur Mitte des Marktes vorgekämpft. Das fleischliche Seelenheil war nur noch fünf Marktstände entfernt. Ich griff den Hokkaido und den Rest der Beute und schleifte alles die paar Meter hinter mir her. Am Fleischstand wartete allein die entzückende Servicekraft auf mich. Ich atmete durch und verlange 1,5 Kilogramm Rinderfilet. Daraufhin bewegte sie sich keinen Millimeter. Sie setzte hingegen ihrem Lächeln noch eins drauf: "Das tut mir leid. Aber wir führen hier kein Rinderfilet. Das kaufen doch alle im Supermarkt. Wir verkaufen hier nur besondere Fleischsorten. Wie wäre es mit einer schönen Rinderkeule oder mal ein Filet vom Strauß?" Sprachlosigkeit ist eine mir völlig unbekannte Eigenschaft – sie traf mich daher mit voller Wucht. Wortlos raffte ich meine Sachen zusammen und schlug mich seitwärts aus dem Marktgetümmel.
Wie eine Oase tat sich plötzlich der Supermarkt vor mir auf. Alle meine Wünsche konnten hier Erfüllung finden – ohne viel Gebrabbel, einfach nur nüchtern in den Korb gehauen. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich alles zusammen und schleppte das Zeug die drei Treppen hoch.
Ich stapelte die ertrotzte, hart erkämpfte und erlittene Beute auf meinen Küchentisch und atmete durch. Wie konnte ich nur der Illusion erliegen, dass ein monströser Einkauf auf dem samstäglichen Wochenmarkt ein sinnhaftes Unternehmen sein könnte? Es ist einfach unmöglich, in dem orientierungslosen Gewusel die uns antrainierte Effizienz anzuwenden. Langsam kletterte ich von meiner Palme runter und begann zu kochen. Die brodelnde Rührseligkeit stellte auch bald wieder mein inneres Gleichgewicht her. Letztlich hatten wir einen tollen Abend mit gutem Essen.
Aber so kampflos werde ich meine Marktniederlage nicht hinnehmen. Nächsten Samstag werde ich das Lager wechseln. Plaudernd und seelenruhig werde ich von Stand zu Stand tingeln und ganz, ganz viel Zeit im Schlepptau haben. Vielleicht kann ich dabei den einen oder anderen hektischen, dünnhäutigen Mitmenschen beobachten. Ich muss zugeben, dabei wäre mein Vergnügen offenkundig. Das gönne ich mir dann einfach mal.
Die Autorin Isabell Serauky ist in ihrem anderen Leben Rechtsanwältin und hat eine Kanzlei im Berliner Prenzlauer Berg.
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