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Beitrag vom 26.11.2010
Don´t look back – Schatten der Vergangenheit. Ein Film von Marina de Van
Yasmine Georges
Die Schriftstellerin Jeanne führt ein geordnetes Leben mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern. Eines Tages beginnt sie Veränderungen zu bemerken, die außer ihr niemandem auffallen. Spielt ihr die...
... Wahrnehmung einen Streich oder ist sie das Opfer einer Verschwörung? Die französische Regisseurin Marina de Van erforscht in ihrem Thriller die Abgründe der menschlichen Seele.
Der Esstisch steht falsch. Als Jeanne (Sophie Marceau) sich das Video ansieht, das ihr Mann soeben aufgenommen hat, bemerkt sie es. Stand er immer schon parallel zur Fensterseite? Nein, entscheidet Jeanne und das ist nicht alles, was anders zu sein scheint, doch warum ist sie die Einzige, die diese Veränderungen wahrnimmt?
Eigentlich führt die Schriftstellerin ein normales Leben. Sie schreibt Biografien und lebt glücklich mit ihrer Familie in Paris. Nur der Gedanke an ihre Kindheit quält sie. Nach einem Autounfall leidet sie unter Teilamnesie, vor ihrem achten Lebensjahr ist alles schwarz. Um die verlorene Zeit wiederzubekommen versucht Jeanne sich an ihrer Autobiografie, doch ihr Verleger lehnt sie ab. Zu analytisch sind die Beschreibungen, es fehlen die Verknüpfungen und die Emotionalität. Jeanne gibt sich weiterhin stark, doch der Gedanke an ihre Kindheit lässt sie nicht los. Etwas nagt an ihr - Erinnerungsfetzen, Bilder – und dann verschiebt sich auf einmal alles. Anfangs bleibt es beim Esstisch, doch schon bald sind es die Straßen, die ihre Lage verändern. Jeanne muss mit ansehen, wie ihre Realität Stück für Stück auseinander fällt und das Leben, das sie bisher kannte, auseinander gerissen wird.
Der Film zeigt in verstörenden Bildern die Macht der Vergangenheit über die Gegenwart. Während Jeanne immer mehr an ihrem Verstand zweifelt und sich schließlich auf eine Reise in ihre Kindheit begibt, quälen die ZuschauerInnen Ungewissheit und Ratlosigkeit. "Don´t look back" ist auf der einen Seite sehr innovativ. Der Film folgt nicht den klassischen Vorgaben des Genres, sondern erfindet es für sich neu. Doch hier liegt auch seine große Schwäche verborgen. Statt einer langsamen, aber stetigen Auflösung des Rätsels präsentiert die Regisseurin ihre Lösung hastig am Schluss. Die langsam zunehmende Spannung, die man von den meisten Thrillern kennt, das Aufdecken aussagekräftiger Details und die beklemmende Ahnung, dass etwas passieren wird, fehlen Marina de Vans Film gänzlich. Die gelungene Storyline und die Hauptdarstellerinnen retten die Geschichte um eine Mutter auf der Suche nach ihrer Vergangenheit jedoch.
Sophie Marceau glänzt in der ersten Hälfte als verstörte, nahezu hysterische Schreiberin, die beginnt an ihrem Verstand zu zweifeln. Anfangs sieht man sie vor dem Badezimmerspiegel, alles scheint in Ordnung, und doch, ein beklemmendes Gefühl schleicht sich ein, das die Schauspielerin durch Mimik und Gestik gekonnt herbeizuführen weiß. Auch die Interaktion mit ihren Mitmenschen wirkt bizarr. Es sind alltägliche Gespräche, die sie mit der Mutter, dem Verkäufer und den Kindern führt, aber etwas scheint auch hier nicht zu stimmen. Als sich dann sogar ihr eigenes Gesicht verändert und sie weder ihre Mutter, noch ihren Mann wiedererkennt, macht sich Jeanne (jetzt Monica Belluci) auf nach Italien.
Angetrieben von einer Ahnung und einem alten Foto, lässt sie sich in einem kleinen Hotel nieder, auf der Suche nach ihrer Geschichte. Auch hier wirkt der Film übereilt. Die Zuspitzung zum Endkonflikt wird ohne spannungsaufbauende Vorbereitung gezeigt, die Erkenntnisse kommen zu rasch. Die Hast der letzten Szenen lässt die ZuschauerInnen unbefriedigt zurück. Überstürzt werden sie zum Ende geführt, die Antworten werden Schlag auf Schlag ohne wirkliche Verknüpfung aneinandergereiht, um zügig zum Schluss zu gelangen. Dabei verwirkt der Film sein Potenzial, denn viele Bilder entwickeln eine ungeheure Eigendynamik, die durch die schnelle Weiterleitung verloren geht. Nur in der letzten Szene verweilt die Kamera ein paar Augenblicke länger als nötig und fängt das Zusammenspiel des Duos Marceau und Belluci respektvoll ein, ein würdiger Abschluss für einen gehetzten, aber dennoch anrührenden Thriller.
AVIVA-Tipp: Die Geschichte um die Suche nach der verlorenen Vergangenheit ist nicht neu, doch hat Marina de Van einen interessanten Ansatz gefunden, der das Thema auf eine philosophische Ebene bringt. Was tun, wenn die Realität zerbricht? Ist die Wirklichkeit an die wir uns klammern wirklich so stabil, wie wir glauben oder reicht der Funke eines Zweifels um die Gewissheit zu zerstören? Was bleibt, wenn die bekannte Wahrheit zur Lüge wird?
Don´t look back
u. U. Ne te retourne pas
Frankreich 2009
Buch und Regie: Marina de Van
DarstellerInnen: Sophie Marceau, Monica Bellucci, Andrea Di Stefano, Brigitte Catillon, Thierry Neuvic, Didier Flamand, Myriam Muller, Thais Fischer u.a.
Verleih: Eurovideo
Lauflänge: 106 Minuten
DVD-Start: 3. November 2010
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.eurovideo.de
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"Auf der anderen Seite des Bettes", ein Film mit Sophie Marceau.
"Pippa Lee", ein Film mit Monica Bellucci.