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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 06.10.2010


Gainsbourg. Der Mann, der die Frauen liebte
Marie Heidingsfelder

Ein Film voller Lügen, wie Regisseur Joann Sfar freimütig zugibt - und doch unglaublich nah an dem Genie, den Exzessen, den Leidenschaften und den Ängsten des berühmten französischen Chansonniers




Leider sind Pressevorführungen oft Vormittags. "Gainsbourg" fiel noch dazu auf einen Mittwoch, den Tag also, der in beiden Richtungen des Zeitstrahls am weitesten vom Wochenende entfernt ist - dabei ist Joann Sfars Biografie eindeutig ein Film über Abende, an denen man den kommenden Morgen vergisst. Ein Film durch den die Gerüche unzähliger Freitag- und Samstagnächte ziehen: Bars, Bier, Bettlaken und natürlich die schweren, undurchsichtigen Nikotinwolken, die Serge Gainsbourg pausenlos ein- und ausatmet. Ein Film, nach dem man lieber in dunklen Kneipen etwas trinken gehen möchte, als sich von der Mittagssonne blenden zu lassen. Nun gut, Mittwoch-Mittag kann man immerhin eine Lederjacke kaufen gehen.

"Gainsbourg" erzählt das moderne Märchen eines "vie héroique" wie es im Untertitel des französischen Originals heißt. Das so gar nicht klassisch heldenhafte Leben von dem jüdischen Jungen, der als Lucien Ginsburg in Frankreich den Krieg und die deutsche Besatzung überlebte und als einer der einflussreichsten und meist bewunderten Chansonniers kurz vor seinem 63. Geburtstag an einem Herzinfarkt starb. Der deutsche Untertitel spielt auf den zweiten Aspekt von Serge Gainsbourgs Berühmtheit an: Die Affären mit berühmten Frauen, die sein Leben mit der gleichen Beharrlichkeit wie die Musik und der Zigarettenrauch durchziehen - Insgesamt hinterließ er vier Kinder von drei Frauen. Im Film treten unter anderem Juliette Gréco (gespielt von Anna Mouglalis), Brigitte Bardot(Laetitia Casta) und Jane Birkin (Lucy Gordon) auf - ohne dass es im Film Raum für Pornografie, Anstößigkeiten oder Obszönitäten gibt, wie der Regisseur in einem Interview betonte.

Doch der als Comiczeichner bekannt gewordene Joann Sfar zeigt mehr als den stetig unsympathischer werdenden Frauenhelden, der zum Ende seiner Karriere so gut wie nie nüchtern auftrat und 1984 in einer Talkshow 500 Franc verbrannte. Vielmehr zeigt er einen Sänger, der zeitlebens von Ängsten und Selbstzweifeln geprägt war und der - im Gegensatz zum Regisseur - die Auseinandersetzung mit seinen jüdischen Wurzeln stets scheute, ohne ihr entgehen zu können. Dieser Blick hinter die Maske gelingt mit Hilfe eines tollen Kunstgriffes - Joann Sfar lässt die Maske selbst, als überdimensionales Pappmaschee-Alter-Ego, auftreten.

Dazu der Regisseur: "Ich möchte nicht hingehen und in Gainsbourgs Privatleben herumschnüffeln, um herauszufinden, wer er wirklich war. Die Wahrheit könnte mir gar nicht gleichgültiger sein. Ich liebe Gainsbourg viel zu sehr, um ihn ins Reich der Realität zurückzuholen. Ich möchte einen Kultfilm machen, keinen journalistischen Bericht über sein Leben abliefern."


Zum Regisseur: Joann Sfar ist ein jüdisch-französischer Comiczeichner: Er wurde 1971 in Nizza geboren und machte dort einen Magisterabschluss in Philologie, bevor er an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts de Paris Kunst studierte. "Gainsbourg" ist sein erster Film, bekannt und berühmt wurde er als Zeichner - unter anderem mit seiner Comicserie "Die Katze des Rabbiners", in der er das Judentum im Maghreb thematisiert. Sein Zeichentalent prägt auch seinen Debütfilm, besonders das Alter Ego Gainsbourgs wirkt, als sei es geradewegs aus den Seiten eines Comics gesprungen. Joann Sfar arbeitet mit anderen Comiczeichnern wie Tronchet und Emmanuel Guibert in einem gemeinsamen Atelier, wo er Serien für Kinder und Erwachsene entwirft.
Am "Festival International de la Bande Dessinée d´Angoulême" wurde er 1998 mit dem Prix René Goscinny für das Album La Fille du professeur ausgezeichnet und gewann dort 2002 ebenfalls den Grand Prix de la Ville d´Angoulême für sein Lebenswerk.
Weitere Infos zu Joann Sfar finden Sie unter: www.toujoursverslouest.org

AVIVA-Tipp: "Gainsbourg. Der Mann, der die Frauen liebte" ist die unvollständige und phantastische Biographie eines exzentrischen Genies, eines legendären Verführers und vor allem eines verletzlichen Antihelden. Ein Film, der Lust macht mit dem Rauchen anzufangen und in eine Bar zu gehen - das Echo der Chansons noch im Ohr, das Herz zwischen Melancholie und Leichtigkeit und der Verstand weit weg von Métro-Boulot-Dodo.

Gainsbourg
Der Mann, der die Frauen liebte

Drehbuch und Regie: Joann Sfar, 2009
DarstellerInnen: Éric Elmosnino, Lucy Gordon, Laetitia Casta, Anna Mouglalis und andere
Länge: 121 Minuten
Verleih: PROKINO
Kinostart: 14. Oktober 2010
www.gainsbourg-derfilm.de


Weiterlesen und Weiterhören auf AVIVA-Berlin:

"Die Katze des Rabbiners" von Joann Sfar

"IRM" (2009) von Charlotte Gainsbourg



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Beitrag vom 06.10.2010

AVIVA-Redaktion