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Beitrag vom 04.08.2010
Mademoiselle Chambon
Katharina Liese
Ein Ehepaar wird aus seiner Familienidylle gerissen, als Jean der Grundschullehrerin des Sohnes begegnet. Zwischen den Beiden entflammt etwas Besonderes. Lohnt es sich, dafür das...
...bisherige Leben aufzugeben?
Jean (Vincent Lindon) ist ein fürsorglicher Vater und liebevoller Ehemann. Er lebt mit seiner Frau Anne-Marie (Aure Atika) und ihrem gemeinsamen Sohn Jérémy (Arthur Le Houérou) in einem schönen Haus mit Garten in einer französischen Provinzstadt. Jean kümmert sich darüber hinaus rührend um seinen Vater (Jean-Marc Thibault), indem er ihm im Alltag unter die Arme greift.
Eine ganz normal glückliche Familie
Jean ist Maurer und arbeitet schwer, doch seine Arbeit macht ihm Freude. Sein Vater, ebenfalls Maurer, führte ihn schon in seiner Kindheit in das Metier ein. Jean führt ein solides Leben, das er sich mit seiner Frau aufgebaut hat und er scheint glücklich zu sein. Doch eines Tages wird sein bisheriges Leben durch eine wundersame Begegnung durcheinander gewirbelt und gar in Frage gestellt.
Der Grund für das Durcheinander ist die neue Grundschullehrerin seines Sohnes Véronique Chambon (Sandrine Kiberlain), die in sein Leben tritt und dort eine ganz besondere Rolle einnehmen wird.
Mademoiselle Chambon bittet den Vater ihres Schülers darum, den Kindern in einer Projektwoche von seinem Beruf zu erzählen. Nach dem Vortrag kommen Beide ins Gespräch. Die Lehrerin erzählt ihm, dass in ihrer Wohnung ein Fenster so marode sei, dass man es komplett auswechseln müsste, woraufhin Jean ihr selbstverständlich anbietet, es zu erledigen...wie sollte es auch anders sein.
So nehmen die Dinge ihren Lauf
Ein verheiratetes Ehepaar, ein gemeinsamer Sohn und eine unverhofft in das Familienleben tretende Frau, die den Ehemann in ein Gefühlschaos stürzen lässt ... mehr ist zur Handlung eigentlich nicht zu sagen.
Aber so banal die Geschichte, basierend auf dem Roman von Éric Holder (erschienen bei den Éditions Flammarion), vielleicht daherkommt, umso intensiver und beeindruckender hat sie Regisseur Stéphane Brizé umgesetzt. Er verzichtet auf große Dialoge, Diskussionen und laute Anschuldigungen, Erklärungen und Wutausbrüche. Vielmehr setzt er den Fokus auf die Wirkung der Bilder. Und dort knüpft er an das großartige Talent der SchauspielerInnen an, die aus der Geschichte ein Feuerwerk der Gefühle machen, was zwar nie offensichtlich zu sehen ist, sich aber durch deren Blicke, Gestik und Mimik ausdrückt.
Der sonst eher wortkarge Jean taucht ein in eine Welt voller Virtuosität. Die begabte Geigenspielerin verzaubert ihn mit klassischer Musik. Und Jean hingegen beeindruckt Véronique (die von ihm jedoch konsequent mit Mademoiselle Chambon angesprochen wird) mit seinem handwerklichen Geschick. Ist Jean bereit, seine Familie zu betrügen oder gar sein bisheriges Leben aufzugeben?
Gegensätze ziehen sich an
Beide lernen sehr unterschiedliche Welten kennen, in denen sie sich jeweils sehr wohl fühlen. Auf den ersten Blick scheint die zwei vom Schicksal Zusammengeführten nicht viel zu verbinden und doch ist es viel mehr, als man zunächst annimmt.
Was dem Regisseur mit "Mademoiselle Chambon" gelungen ist, ist ungewöhnlich: eine Dreiecksgeschichte ohne erhobenen Zeigefinger. Die ProtagonistInnen sind starke Persönlichkeiten, die sich durch eine Begegnung plötzlich mitten in einer Krise befinden, doch keine/r ist die/der Böse. Der Film zeigt die involvierten Personen, ohne die das Gefühlsdilemma zu bewerten.
Die SchauspielerInnen Vincent Lindon (Jean) und Sandrine Kiberlain (Mademoiselle Chambon) sind im wahren Leben verheiratet, leben jedoch getrennt. Die beiden ProtagonistInnen verbindet etwas, das die ZuschauerInnen intensiv in den dialogarmen Szenen sieht und spürt. Entweder liegt diese beeindruckende Intensität zwischen ihnen an ihrem unumstrittenen Talent oder an ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Letzteres wird in einem Film wie diesem ohne Zweifel eine Rolle spielen.
AVIVA-Tipp: "Mademoiselle Chambon" ist anders als erwartet ein recht ruhiger Film, der nicht durch Worte, sondern vielmehr durch die Mimik das innere Gefühlsleben der ProtagonistInnen zum Ausdruck bringt und somit den ZuschauerInnen Interpretationsspielraum lässt. Der Regisseur Stéphane Brizé setzt bei seinem Melodram auf Zurückhaltung und präsentiert uns damit einen Liebesfilm, für den es sich lohnt, wieder einmal ins Kino zu gehen.
Mademoiselle Chambon
Frankreich 2009
101 Minuten
Regie: Stéphane Brizé
Drehbuch: Stéphane Brizé, Florence Vignon
DarstellerInnen: Vincent Lindon, Sandrine Kiberlain, Aure Atika, Jean-Marc Thibault, Arthur Le Houérou
Verleih: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 12. August 2010
Der Film im Netz: www.arsenalfilm.de/mademoiselle-chambon