Du sollst nicht lieben - Einayim Pkuchot - Eyes Wide Open. Ab 4. Oktober 2010 auf DVD - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 14.10.2010


Du sollst nicht lieben - Einayim Pkuchot - Eyes Wide Open. Ab 4. Oktober 2010 auf DVD
Nadja Grintzewitsch

Das Debüt des israelischen Regisseurs Haim Tabakman beleuchtet den inneren Konflikt eines koscheren Fleischers, der zwischen der Liebe zu einem Mann und der hingebungsvollen Liebe zu Gott...




...hin- und hergerissen wird. Der Film berührt somit ein äußerst brisantes Thema: Den Umgang mit Homosexualität im orthodoxen Judentum.

Homosexualität unter Männern gilt im Judentum als Verbrechen. Die Gesetze der Thora sind eindeutig, denn in Leviticus 18,22 steht klar geschrieben: "Du sollst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft - ein Gräuel ist das." Noch deutlicher wird es zwei Kapitel weiter: "Wenn ein Mann mit einem Mann schläft wie mit einer Frau - ein Gräuel haben beide verübt, sterben, ja sterben sollen sie, ihr Blut über sie!" (Lev. 20,13). Auch der Talmud bekräftigt, dass auf (männliche) Homosexualität die Todesstrafe stehe - vorausgesetzt, beide Partner handelten in gegenseitigem Einvernehmen. Vergewaltigung und Verführung Minderjähriger sind hierbei Ausnahmefälle und werden gesondert betrachtet. An anderer Stelle verkündet der Talmud jedoch, dass jüdische Männer grundsätzlich nicht unter Verdacht stünden, da Homosexualität unter Juden schlichtweg nicht existiere (bKidduschin 82a).

Wie also mit einem Thema umgehen, das grundsätzlich tabu und religiös gesehen nicht einmal existent ist? Es gibt bereits eine Reihe von israelischen Spielfilmen, die sich offen mit Homosexualität auseinander setzen, etwa "Keep not silent" von Ilil Alexander, "I shot my love" von Tomer Heymann, "Walk On Water" oder "Yossi und Jagger" (letztere von Regisseur Eytan Fox). Doch nur einer von ihnen legte bislang den Fokus auf den inneren Konflikt, dem ultraorthodoxe, homosexuelle Jüdinnen und Juden ausgesetzt sind. Der Dokumentarfilm "Keep not silent" erzählt von dem täglichen Kampf dreier religiös lebender, lesbischer Jüdinnen um ihr Recht, lieben zu dürfen, wen sie wollen.

Dass sich auch Orthodoxe ab und an in das gleiche Geschlecht verlieben, ist in der Tat keine Seltenheit. "Wenn du deine Zeit abgeschieden mit vielen anderen Jungs in einer Yeshiva (einer religiösen Schule) verbringst, passiert das ziemlich häufig", erklärt Regisseur Haim Tabakman. "Da geht es ständig um das Experimentieren und den Umgang mit allen möglichen Fragen der Sexualität." Doch innerhalb der orthodoxen Welt sei es völlig ausgeschlossen, Religiosität und homosexuelle Neigungen zu kombinieren. "Als religiöser Mann hat man zwei Möglichkeiten, die unvereinbar sind: Entweder man kämpft gegen die inneren Kräfte, oder man ist authentisch, akzeptiert sie und verliert dadurch seinen Bezug zur Religion."

Homosexualität als Prüfung

Diese Einstellung teilt auch Aaron Fleischmann (Zohar Strauss), Protagonist des Filmes "Du sollst nicht lieben". Innerhalb der jüdischen Gemeinde Jerusalems ist er ein hoch angesehener Mann und übt den Beruf des Schochet, eines koscheren Metzgers, aus. Dass er sich von Ezri (Ran Danker) angezogen fühlt, der in seiner Fleischerei aushilft, begreift er zunächst als Prüfung Gottes und wehrt alle Annäherungsversuche des jungen Yeshiva-Studenten ab. Doch schließlich kommt es ausgerechnet in der Kühlkammer zu einer ersten heißen Szene. Ein filmtechnisch interessantes Detail, denn die Assoziation zu "verdorbenem Fleisch" an diesem sterilen Ort bleibt nicht aus. Aaron begreift, dass er gegen seine Gefühle nicht länger ankämpfen kann und will.

Doch das Paar hält seine Verbindung geheim, jeden Abend kehrt Aaron zu seiner Familie zurück. Seine junge Frau Rivka lebt nach den Regeln der orthodoxen Gemeinde, ist fleißig, demütig und gehorsam. In der Öffentlichkeit verbirgt sie ihr schönes Haar unter einer Perücke, sie kümmert sich um die Erziehung der vier Kinder und bringt pünktlich die Mahlzeiten auf den Tisch. Das Codewort für Geschlechtsverkehr lautet stets: "Ich war in der Mikve" (dem rituellen Reinigungstauchbad), woraufhin die Betten zusammen geschoben werden. Wenn Rivka Verdacht schöpft, weil Aaron immer später nach Hause kommt, so äußert sie ihn jedenfalls nicht – denn sie wurde nicht dazu erzogen, zu widersprechen.

Mit weit offenen Augen

"Eyes wide open" (hebr. "Einayim Pkuchot") lautet der internationale Titel des Filmes. Und tatsächlich bleibt ihnen nichts unbemerkt, den NachbarInnen, Gemeindemitgliedern, KundInnen. Sie schauen aus den Fenstern, registrieren, wann Aaron heimkehrt und wie viel Zeit er mit Ezri verbringt - und auch, dass die Fleischerei neuerdings in der Mittagspause verschlossen ist. Denn diese Zeit nutzen Ezri und Aaron, um ihrer "verbotenen" Leidenschaft nachzugehen. "Ich war tot, nun lebe ich!" erklärt Aaron dem befreundeten Rabbi, der ihn zwar deckt, aber auf die offensichtlich gewordene Liebesbeziehung anspricht – und fängt sich dafür eine Ohrfeige ein. Wegen seiner Halsstarrigkeit oder weil seine Worte ein wenig an Jesus nach seiner Auferstehung im Neuen Testament erinnern – das bleibt offen. Ein Frevler ist Aaron in den Augen der Gemeinde in jedem Fall.

Die ersten Gerüchte kursieren, Prügel werden angedroht, Scheiben eingeschlagen. Schließlich kommt es zu Handgreiflichkeiten, die Aaron und Ezri eine Entscheidung abfordern...

AVIVA-Tipp: Mit "Du sollst nicht lieben" ist Haim Tabakman ein Meisterwerk an Regiearbeit gelungen. Nie fühlt sich die Zuschauerin als Voyeurin, immer kann sie in den entscheidenden Situationen mitfühlen, mitleiden. Tabakman erschafft durch Aneinanderreihung von stillen, bedrückenden Szenen eine klaustrophobische Atmosphäre, die einer/m den Atem raubt. Religiöse Homophobie und ständige Überwachung durch die Gesellschaft sind dabei keine Phänomene, die nur im orthodoxen Judentum auftreten - sie können jederzeit in andere Kulturen und Religionen übertragen werden.

Auszeichnungen: Palm Springs Filmfest "Bestes Spielfilmdebüt", Gent Film Fest "Grosser Preis", Shalom Europa "Bester Spielfilm", Jerusalem Filmfest "Bester Hauptdarsteller".

Du sollst nicht lieben. Die DVD
Originaltitel: Einayim Pkuchot / Eyes Wide open
ISR/FR/D 2009
Buch: Merav Doster
Regie: Haim Tabakman
Verleih: Edition Salzgeber
DarstellerInnen: Zohar Strauss, Ran Danker, Tinkerbell, Tzahi Grad, Isaac Sharry und andere
Ländercode 2
Disc-Type: DVD 5
Sprachen: deutsch, hebräisch
Untertitel: deutsch, englisch
Bildformat: 16:9
Lauflänge: 90 Minuten
Ton: Dolby Digital Stereo 2.0
EAN: 4040592003870
Bestellnummer: D536
DVD-Start: 4.10.2010
Preis: 19,90,- Euro

Weitere Infos finden Sie unter: www.dusollstnichtlieben.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Interview mit Ilil Alexander, der Regisseurin des Films "Keep not silent"

I shot my love

Walk On Water

Yossi und Jagger


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Beitrag vom 14.10.2010

AVIVA-Redaktion