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Beitrag vom 24.03.2010
Beeswax
Kristina Tencic
"Mitten drin statt nur dabei" könnte das Motto im authentischen neuen Film des angesagten Independent-Regisseurs Andrew Bujalski sein, der ihn nicht ohne Ironie als Justizthriller bezeichnet.
Rosa Farben, unbeschönendes Licht, viel Durcheinander und doch ein plüschiges familiäres Wohlgefühl im Second-Hand-Laden. So empfängt uns "Beeswax", der dritte Independant-Film von Andrew Bujalski, der auf der diesjährigen 60. Berlinale seine Premiere feierte. Besetzt ist er überwiegend mit LaiendarstellerInnen, wie auch dem Zwillingspaar Maggie und Tilly Hatcher. Als blond rotgesträhnte Jeannie spielt Tilly die seit ihrer Kindheit querschnittsgelähmte und verantwortungsbewusste Leiterin des kleinen Ladens für Alles und Jeden. Ihre dunkelhaarige gutgelaunte Zwillingsschwester Lauren wiederum geht durch ihr Leben als säße sie auf einer Wolke: Schlussmachen mit dem Freund, naja, keinen Job mehr – na, da kommt schon ein anderer!
Jeannie scheint dagegen sehr angespannt zu sein, sie macht sich viele Gedanken, und jedes Mal wenn frau denkt, ihren Charakter nun verstehen, in ihr Innerstes schauen zu können, verschließt sie sich wieder, bleibt seltsam unnahbar. Das mag mit dem aufkommenden Verdacht zu tun haben, dass ihre Geschäftspartnerin sie verklagen könnte, woraufhin sie sich Rat bei ihrem Ex-Freund holt. Der frischgebackene Jurist erkennt darin spitzbübisch seine Chance, die alten Zeiten wieder auferstehen zu lassen und mischt sich mehr in den drohenden Rechtsstreit ein, als es Jeannie lieb sein sollte.
Bienenwachs im Nuschelkern
"Beeswax" gehört in das vom Regisseur begründete Indie-Subgenre "Mumblecore". Diese Sparte zeichnet sich vor allem durch ihren semiimprovisierten Charakter, lebensnahe Dialoge, LaienschauspielerInnen und ihren offenen dokumentarischen Stil aus, der kein Ende, geschweige denn ein Happy-End kennt. Bujalski kommt den naturalistischen DarstellerInnen sehr nah, zeigt jede Falte im T-Shirt, eine Fliege auf dem Arm, eine Hand die über die ungeschminkten Augen fährt, so authentisch und unverblümt, dass frau sich als Zuschauerin so fühlt, als finde diese Szene gerade im eigenen Wohnzimmer statt. Die Dialoge sind dabei so echt und mitten aus dem Leben gegriffen, die engen Beziehungen im Film so lebensnah, dass man sie leichthin der Banalität einer Big-Brother-Folge bezichtigen könnte. Es geht irgendwie um nichts und doch um alles, wie es im Leben schon mal vorkommt, wenn man vor scheinbar unwichtigen Weggabelungen steht und einen Pfad wählt, der sich später als der richtungsgebende entpuppen soll. Dies als einen Justizthriller zu bezeichnen ist vielleicht ein bisschen gewagt, aber da sich Bujalski bewusst und sicherlich mit Humor für diese Bezeichnung entschieden hat, und den juristischen Aspekt betonen möchte, lernt man all diese soziologischen und ontologischen Gedankenspiele im Nachhinein zu lieben.
AVIVA-Tipp: Wer fernab von Hollywood kantige DarstellerInnen und Dialoge sucht, surrealistische Momente und eine subtile Ebene an Filmen schätzt, die wird mit "Beeswax" sicherlich ihre Freude haben.
Zum Regisseur: Andrew Bujalski wurde 1977 in Boston, Massachusetts, geboren und studierte am Department of Visual and Environmental Studies in Harvard. Der in den USA bereits mit seinen Filmen "Funny Ha Ha" (2002) und "Mutual Appreciation" (2005) bekannt gewordene Independent-Regisseur begründete das Indie-Subgenre "Mumblecore", zu dem auch Filmemacher wie Lynn Shelton, Aaron Katz oder Joe Swanberg gehören. "Beeswax" ist sein dritter Spielfilm.
Beeswax
USA 2009
Regie, Drehbuch, Schnitt: Andrew Bujalski
Kamera: Matthias Grunsky
DarstellerInnen: Maggie und Tilly Hatcher, Alex Karpovsky, Katy O’Connor, Anne Dodge u.a.
Spielzeit: 100 Minuten
FSK: ohne Angabe
Kinostart: 25.03.2010
Weitere Infos und den Trailer von Beeswax finden Sie unter:
www.beeswaxfilm.com
www.arsenal-berlin.de