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Beitrag vom 18.02.2010
I shot my love - Ein Film von Tomer Heymann
Nadja Grintzewitsch
Diese sensible Dokumentation einer deutsch-israelischen Männerliebe berührt durch Authentizität und Detailgenauigkeit und ist nicht zuletzt eine Hommage des Regisseurs Tomer Heymann an seine...
...außergewöhnliche Mutter.
Die Geschichte an sich ist schnell erzählt: Homosexueller Regisseur, der für die Premiere seines neuen Films in die deutsche Hauptstadt gekommen ist, trifft Tänzer in einer bekannten Berliner Diskothek. Sie verlieben sich, der Tänzer folgt dem Filmemacher nach Israel und lernt dort dessen Mutter kennen. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten zieht das Pärchen schließlich zusammen nach Tel Aviv.
Damit würde frau diesem Glanzwerk jedoch bei weitem nicht gerecht werden. Es ist nicht die Story, die besticht, sondern vielmehr deren einzigartige Umsetzung. Die Aufnahmen sind vom Anfang bis zum Ende real, die Handlung nicht fiktiv, die DarstellerInnen herrlich ungekünstelt, da sie sich selbst verkörpern.
Geprägt von seinem Vater, der seine siebenköpfige Familie ein Leben lang mit der hauseigenen 8mm-Kamera aufgezeichnet hat, hält Regisseur Tomer Heymann beinahe zwanghaft alles in seiner Umgebung fest. Es vergeht scheinbar kein Augenblick, in dem er die Welt nicht durch den Sucher sieht. Aus diesen Aufnahmen entstand der Dokumentarfilm "I shot my love", der am 13. Februar 2010 auf der Berlinale seine Weltpremiere feierte.
Eine Begegnung, die das Leben verändert
Rückblende. Zur Vorstellung seines neuen Films "Paper Dolls", einer Dokumentation über philippinische Transvestiten, besucht Tomer Heymann gemeinsam mit seiner Mutter Noa die Filmhauptstadt.
70 Jahre zuvor waren seine Großeltern, die Eltern von Noa, aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Palästina emigriert. Nach der Vorführung spricht Heymann ein paar Worte und holt auch seine Mutter auf die Bühne. Noa ist Mitte 60, etwas füllig, mit einer schicken Kurzhaarfrisur und einer modischen Brille. Frau steht sofort im Bann des ursympathischen Energiebündels, das auf die Frage, ob ihr Sohn denn noch bei ihr wohne, in fröhlich–gebrochenem Deutsch erklärt: "Nein, der ist schon ein Großer," (Lacher im Publikum), "er wohnt in Tel Aviv und macht was er will, nicht, was ich will."
Nach der Premierenfeier lässt Tomer seine Mutter im Hotel und macht sich auf den Weg zu Elektroklängen in die Bergheim Panorama Bar. Dort lernt er einen jungen Tänzer kennen, mit polizeilich vollständigem Namen Andreas Josef Merk. Wie die erste Begegnung verläuft, bleibt unklar. Die nächste Szene spielt schon in einer Wohnung oder einem Hotelzimmer, Andreas ist ein blonder, schlanker, gut aussehender Jüngling mit einer Vorliebe dafür, Bertold Brecht-Lieder unter der Dusche zu singen. Sie verständigen sich auf Englisch. Die Frage, ob er stolz sei, ein Deutscher zu sein, beantwortet Andreas mit einem Schulterzucken. Es mache ihn jedenfalls nicht zu einem besseren Menschen. Untermalt ist dieses erste Miteinander von leisen Klaviertönen, Heymann geht in die Totale, macht Nahaufnahmen von Andreas´ Lippen. Wann sie sich wieder sehen ist ungewiss.
Eine ungewöhnliche Dreiecksbeziehung
Zurück in Tel Aviv. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist schon fast verstörend offen. Die Homosexualität des Sohnes ist kein Tabu, völlig selbstverständlich wird Noa in Heymanns Liebesleben eingebunden, darf ihre Meinung äußern. Andreas bleibt Thema. Ob sie ein Problem damit habe, dass er Deutscher sei? Noas schlichte Antwort: "Nicht alle Deutschen sind Nazis. Und nicht alle Juden sind nett."
Andreas in Tel Aviv. Die nächsten Szenen sind harmonisch, ein kunterbunter Zusammenschnitt von gemeinsamen Ausflügen und Aktivitäten. Herumgealber am Strand, an der Klagemauer zwischen orthodoxen Juden, Händchen haltend durch die Stadt. Man sieht immer nur den blonden Deutschen vor der Kamera, Heymann filmt, ganz in der Rolle des Regisseurs. Schließlich eine Szene in der heimatlichen Küche, Andreas Pfannkuchen wendend vor dem Herd. "Ich sah es in einem Film, als ich klein war, und dann war es immer mein Ziel es zu können [...] und an einem bestimmten Punkt in meinem Lebens sagte ich mir: Tu es einfach. Und du darfst nicht zögern, weißt du? Wenn du zögerst, fällt er runter." Es klingt fast nach dem Lebensmotto des jungen Deutschen. Auch er hat nicht gezögert, seinem Geliebten in ein fremdes Land zu folgen.
Hommage an die Mutter
Und dazwischen immer wieder Noa Heymann.
Nach und nach erfährt man, dass die resolute Frau nur einen einzigen Mann in ihrem Leben hatte, mit dem sie fünf Söhne groß zog. Nach 33 Jahren Ehe ließen sie sich schließlich scheiden. Szenen aus altem Filmmaterial, Aufnahmen des Vaters. Man sieht Familienidylle, Tomer und seine Brüder beim Tischtennisspielen, Pessachfeiern, eine jüngere Noa Heymann mit noch nicht ergrautem Haar. Schließlich Abschiede. Drei ihrer Söhne ziehen nach Amerika, einer reist fortan durch die Welt. An der Wand hängen vier Uhren mit vier verschiedenen Uhrzeiten: Oregon, Colorado, Texas, Israel. Noa und Tomer bleiben alleine zurück. Vielleicht erklärt das die innige Beziehung zwischen der Mutter und ihrem Regisseursohn. Mit Andreas spricht Noa Deutsch. Sie scheinen gut miteinander auszukommen. Unvergessen die Szene, in der er ihr anlässlich ihres 65. Geburtstags die "Erinnerung an Marie A." von Bertold Brecht vorsingt.
Eine neue Beziehung kommt für Noa Heymann nicht in Frage, das ist kein Weg aus der Einsamkeit. ("Wieso sollte ich jetzt einen alten Mann haben wollen?" )
Selbst als sie für eine schwere Beinoperation ins Krankenhaus muss, bleibt ihr Humor ungebrochen. Sie scherzt mit dem russischen Krankenpfleger, will ihm das hebräische Wort für "Hintern" beibringen. "An dieser Stelle brauchen wir Hintergrundmusik!" ruft sie lachend ihrem Sohn zu, als die Männer der Ambulanz sie durch die Krankenhausflure fahren. Denn Tomer weicht ihr nicht von der Seite, dokumentiert auch ihre ersten Gehversuche.
Vor Schmerzen weint Noa nicht ein einziges Mal. Erst als sie, wieder daheim, Besuch von einem ihrer Söhne bekommt – und er nach einiger Zeit wieder abreist. Es will einem schier das Herz zerreißen.
Unüberbrückbare Gegensätze?
Andreas beherrscht die ersten hebräischen Worte, verständigt sich aber weiterhin mit seinem israelischen Liebhaber auf Englisch. Er lernt nach und nach Tomers gesamte Familie kennen. Zu Weihnachten führt er Ferngespräche in die Heimat, seine Eltern sprechen mit stark süddeutschem Akzent. Es wird deutlich, dass er sich zwar mehr und mehr an die Lebenswelt Heymanns anpasst, aber nicht die Möglichkeit hat, etwas aus seiner eigenen Umgebung in die Beziehung einzubringen. Dies führt nach etwa zwei Jahren schließlich zu einer ersthaften Auseinandersetzung.
Zum ersten Mal äußert Noa sich kritisch zu der Beziehung ihres Sohnes. Fragt ihn geradeheraus, ob sie womöglich mehr auf Sex als auf Freundschaft basiere. Weist auf die kulturellen Unterschiede und die Verständigungsprobleme hin. "Ich denke, du weißt, was du willst – aber ich bin mir nicht sicher, ob das auch richtig ist", mahnt sie an.
AVIVA-Tipp: Eine spannende, aus dem Leben gegriffene Liebesgeschichte und gleichzeitig das Portrait einer starken Frau. Ein Film voll unbewusster Poesie, natürlichem Humor und einem großartigen Titelsong, die deutsche Version von Andreas Merk eingesungen. Die überraschenden Wendungen, die schlussendlich zum Happy End führen, werden jedoch nicht verraten. Bleibt nur zu hoffen, dass "I shot my love" demnächst im deutschen Verleih im Kino und auf DVD erscheint.
Weitere Infos finden Sie unter:
www.ishotmylove.com und www.heymann-films.com
I shot my love
Label: Heymann Brothers Films, ET 2010
Format: PAL
Sprachen: Englisch, Deutsch, Hebräisch
Untertitel: Englisch
Anzahl Disks: 1
Gesamtspieldauer: 70 Minuten
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