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Beitrag vom 28.12.2009
Casa de los Babys
Claire Horst
Die Adoption von südamerikanischen Kindern durch kinderlose Paare aus dem globalen Norden ist ein großes Geschäft. Während die USA ihre Grenzen für mexikanische GastabeiterInnen schließen, werden...
... deren Kinder durch Adoption importiert.
Das ist die erste Perspektive, die der Film vermittelt. In einem namenlosen Land in Südamerika – dass es Mexiko ist, lässt sich nur aus dem Kontext erschließen - fängt die Kamera als erstes Straßenkinder ein, die beim Spielen und Herumhängen, beim Betteln und Langeweile schieben beobachtet werden. Armut und Obdachlosigkeit sind überall und stehen in scharfem Kontrast zur wunderschönen Landschaft.
Schnitt. Ein gepflegtes, weitläufiges Gebäude umgeben von Palmen, in dem eine alternde Schönheit und ihr kiffender, erwachsener Sohn westliche Touristinnen bedienen. Es gibt einen Swimmingpool, Obstplatten und gerösteten Schinken – und Gäste, die sich ständig beschweren. Die sechs weißen US-Amerikanerinnen, die in dem Gästehaus leben, sind keine gewöhnlichen Urlauberinnen. Sie warten auf "ihre" Kinder. So sehr sie der Wunsch eint, möglichst bald mit einem eigenen Baby in die Heimat zurückzukehren, so unterschiedlich sind sie in ihren Lebenseinstellungen und Persönlichkeiten.
Strenggläubige Evangelistin die eine, die schon über die bestmöglichen Bestrafungsmethoden für das noch unbekannte Kind nachdenkt, Fitnessfanatikerin die andere, bieten sie sich gegenseitig genug Stoff zum Lästern und Misstrauen. Eine von ihnen hat keinen Mann? Ob sie eine Lesbe ist? Darf die überhaupt ein Kind adoptieren? Und kann man Kinder aus armen Ländern tatsächlich in die eigene Familie integrieren – gibt es da nicht minderwertige Gene? Beim Belauschen der Gespräche, die sich um mangelnde Hygiene im Gastgeberland, ungenießbare Cocktails und die Korruption der SüdamerikanerInnen drehen, scheinen die Sympathien des Publikums schon fest vergeben. Ignorante, überhebliche und teilweise offen rassistische Luxusfrauen scheinen das zu sein, die meinen, mit ihrem Geld das Glück in Form von Kindern kaufen zu können.
Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Parallelhandlungen, die Regisseur und Drehbuchautor John Sayles mit leichter Hand nebenher erzählt. Ein arbeitloser Familienvater, der sich den Amerikanerinnen als Touristenführer anbietet, die Straßenkinder, die zum Einschlafen Dosenspray schnüffeln, aber auch die HotelbetreiberInnen, die Angestellten des Waisenhauses und eine jugendliche Mutter, die ihr Kind zur Adoption freigeben wird, sie alle haben ihren eigenen Blick auf die Adoptivmütter. Und der ist nicht gerade positiv gefärbt. Sie fühlen sich ausgenutzt und abhängig. Die Amerikanerinnen meinen, ihr Geld regiert die Welt, das ist der Tenor.
Und doch: Was anfangs so eindeutig scheint, ist es gar nicht. Die Beweggründe der Frauen werden aus ihren Gesprächen immer nachvollziehbarer. Dass es dramatische Erlebnisse sind, eine Tortur von Fehlgeburten, erfolglosen künstlichen Befruchtungsversuchen und Toden der eigenen Kinder, macht ihr Verhalten leichter verständlich. Für sie ist die Adoption die letzte Möglichkeit, eine Familie zu gründen. Einige der Frauen werden zu wirklichen Sympathieträgerinnen – während die Seite der MexikanerInnen immer undurchsichtiger erscheint. Nachvollziehbar wird so auch das Misstrauen der Frauen der südamerikanischen Bürokratie gegenüber, das nur zu berechtigt erscheint.
Ohne erhobenen Zeigefinger und ohne plakative Stellungnahme führt Sayles die verschiedenen Standpunkte vor und zeigt ein globales Ungleichgewicht, für das es keine einfachen Lösungen gibt. Der episodenhafte Aufbau des Films lässt die verschiedenen Personen in wechselnden Konstellationen auftreten und wirft spannende Fragen auf. Wie reagieren sechs Frauen unterschiedlichster Persönlichkeit aufeinander, wenn sie monatelang auf engstem Raum zusammensitzen? Wie fühlt es sich an, in abstrakter "guter Hoffnung" zu sein, auf ein Baby zu warten, zu dem es keinerlei Kontakt gibt? Nicht zuletzt wirft das globale Adoptionsgeschäft ein Licht auf das Nord-Süd-Gefälle und internationale Machtstrukturen.
AVIVA-Tipp: "Casa de los Babys" ist ein angenehm unaufgeregt gefilmtes Drama, das seine großartigen DarstellerInnen ruhig agieren lässt. In bewegenden Bildern erzählt John Sayles seine Geschichte, die eher aus einer einzelnen Situation besteht als aus einer Rahmenhandlung.
Zum Regisseur: John Sayles wurde 1950 in New York geboren. Er ist Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schauspieler. Seit den 1980er Jahren gilt er als einer der profiliertesten VertreterInnen des amerikanischen Independentfilms. Zudem arbeitet er als "script doctor" für die Verbesserung anderer Drehbücher und finanziert so seine eigenen Projekte.
Der Regisseur im Netz: www.johnsayles.com
Casa de los Babys
USA, Mexiko 2003
Regie, Buch und Schnitt: John Sayles
DarstellerInnen: Marcia Gay Harden, Susan Lynch, Daryl Hannah, Mary Steenburgen, Lili Taylor, Maggie Gyllenhaal, Vanessa Martinez, Angelina Peláez, Rita Moreno, Guillermo Iván, Martha Higareda
Länge: 95 Minuten
Sprache: englisch, spanische OmU
Peripher Filmverleih
Filmstart: 01.01.2010
Der Film im Netz: www.peripherfilm.de/casadelosbabys
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