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Beitrag vom 02.12.2009
Caché - Ein Film von Michael Haneke mit Juliette Binoche und Daniel Auteuil
Lisa Erdmann
Der österreichische Regisseur trifft mit dem Film "Caché" sein Publikum aus einem anonymen Hinterhalt direkt ins Herz. Die ZuschauerInnen sind unfreiwillige VoyeurInnen, die zusehen müssen, wie aus...
...Vertrauen Argwohn wird und der Verlust von Privatsphäre unaufhaltsam zu einer greifbaren Bedrohung heranwächst.
Es sind nicht nur furchterregende Geräusche oder erschreckende Szenen, die Angst erzeugen können. Auch die unaufhörliche, bedrückende Stille kann lähmen, bestürzen und ein Grauen auslösen, das sich viel tiefer einnistet, als alles andere. Michael Haneke spielt das Spiel mit der Stille so gekonnt wie kein/e Zweite/r und zieht mit dem Thriller "Caché" seine ZuschauerInnen gnadenlos in seinen Bann.
Ein kleines Haus, irgendwo in Frankreich, mit schmalem Vorgarten, eingezwängt zwischen anderen Gebäuden, dahinter verschachtelte Bausünden die den Horizont verbergen, davor eine mäßig befahrene Straße. Es passiert kaum mehr als nichts, nur ein Radfahrer fährt vorbei und einige FußgängerInnen passieren die Straße. Dann kommt eine Person aus dem Haus, läuft zu einem Auto. Die ZuschauerInnen denken an Vorstadtidylle, die Bilder könnten als Aufzeichnungen einer Überwachungskamera interpretiert werden. Dann sind Stimmen aus dem Off zu hören, das Band wird zurückgespult. Das aktuelle Geschehen wird zur jungen Vergangenheit, die vermittelte Realität verschwimmt als Illusion, denn es gibt neben dem Publikum noch weitere BeobachterInnen der Staffage.
Die BewohnerInnen des behaglichen Hauses, das Ehepaar Georges (Daniel Auteuil) und Anne (Juliette Binoche) Laurent schauen sich die Szenerie auf ihrem Fernseher an. Die Videokassette mit dem zweistündigen Film fanden sie in einer Plastiktüte hängend am Gittertor vor ihrem Haus. Dass sie und ihr Domizil gefilmt wurden, wussten sie nicht. Die aufgezeichnete, ansehnliche Idylle erhält einen bitteren, voyeuristischen Beigeschmack.
Das Paar ist irritiert, verwirrt, versteht nicht, wer ihnen so etwas schicken könnte und erst recht nicht warum. Soll das eine Drohung sein? Will ihnen jemand Angst machen? Unsicher rätseln sie über "TäterIn" und "Motiv" und finden doch keine Antwort. Eindeutig ist nur, dass sie aus dem Verborgenen, heimlich ("caché") beobachtet wurden und der oder die BeobachterIn sie darüber informieren wollte.
Die Laurents sind ein typisches AkademikerInnen-Paar. Georges ist Moderator einer TV-Literatursendung, Anne ist Lektorin bei einem Verlag. Gemeinsam haben sie den Sohn Pierrot (Lester Makedonsky). Alles liegt ganz im Klischee, alles ist ein klarer Spiegel der Gesellschaft. Doch wenig später tauchen weitere Videokassetten auf und zerstören schleichend die pittoreske Harmonie.
Der Film "Caché" ist ein leiser, aber sehr kluger Psychothriller. Durch die immer wiederkehrende beklemmende Lautlosigkeit kriecht die Handlung bis ins Mark und lässt dabei fast alle Frage offen. Eine Familie wird durch die Videoaufnahmen einer/eines Fremden sukzessiv zerstört. Zusätzlich bricht Georges Verschweigen seiner Gedanken, Emotionen und seiner Vergangenheit die Basis der Partnerschaft, das Vertrauen. Der Druck nimmt spürbar zu und die Angst, durch die Videos könne sein privates und berufliches Leben in Gefahr geraten, pulsiert spürbar in dem Familienvater. Immer stärker aus seiner Rolle gedrängt, fehlt ihm in seiner zunehmenden Starre der Mut, über seine eigene, als Kind begangene Schuld zu sprechen – auch hier ist es wieder das von Haneke inszenierte Schweigen, das zermürbt und vernichtet.
Wichtig ist am Ende nicht mehr die Entlarvung der VerfasserIn der mysteriösen Videokassetten, sondern vielmehr die psychische Auseinandersetzung mit Schuld und Verdrängtem oder Vergessenem, die Aufarbeitung der Vergangenheit. Dabei ist in diesem speziell französischen Hintergrund ebenso die Historie des Algerienkrieges bedeutsam. Auch die politische Debatte des "Überwachungsstaates" kann, aufgrund der scheinbar urheberInnenlosen Aufnahmen, als Spiegel des Zeitgeistes interpretiert werden. Georges hölzerne Betäubung, von Daniel Auteuil authentisch und überzeugend gespielt, reflektiert den Zustand des Großteils der westlichen Gesellschaft, die als Reaktion auf Verunsicherung lieber erstarrt und verstummt, als zu sprechen.
Für den Film "Caché" wurde Michael Haneke 2005 während des "Festival De Cannes" der Preis der internationalen Filmkritik (FIPRESCI) und der Preis der ökumenischen Jury verliehen. Einen Tag später wurde Haneke in Cannes als "Bester Regisseur" ausgezeichnet. Ferner wurde "Caché" 2005 beim Europäischen Filmpreis 2005 fünffach ausgezeichnet, darunter als "bester Film" und für die "beste Regie".
AVIVA-Tipp: Hanekes Film kann sowohl als Thriller, Melodram, aber auch als politische Allegorie verstanden werden. Der Regisseur drückt keine festgelegte Meinung, kein Urteil über das Geschehen aus, sondern zeigt es nur auf und lässt den ZuschauerInnen viel Raum für eigene Interpretationen. Was jedoch bei allen BeobachterInnen übereinstimmen wird, ist der Schock über den erzwungenen, unaufhaltsamen Verlust an Privatsphäre und die Erschütterung über die lautlose Dynamik, die die Handlung immer stärker vorantreibt. Ein packender Psycho-Thriller, der unter die Haut geht, den Atem anhalten lässt und noch lange im Kopf nachhallt.
Caché
Frankreich, Österreich, Deutschland, Italien 2005
Regie: Michael Haneke
Label: EuroVideo
FSK: ab 12 Jahren
Bildformat: 1,78:1 / 16:9 anamorph
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Sprache: Deutsch, Französisch
Untertitel: Deutsch, Französisch
Anzahl Disks: 1
VÖ Verleih: 20. Juli 2006, Verkauf ab: 07. September 2006
Gesamtspieldauer: 119 Minuten
Bonusmaterial: Making of, Interview mit Michael Haneke, Original Trailer