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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 29.09.2009


Menachem und Fred - Ein Film von Ofra Tevet und Ronit Kertsner
Iella Peter

Ein wahres Meisterstück ist den beiden Regisseurinnen mit diesem bemerkenswerten und zu Herzen gehenden Dokumentarfilm über das tragische Schicksal zweier jüdischer Brüder aus dem Örtchen...




...Hoffenheim gelungen.

"Menachem & Fred" ist die Geschichte einer Familie und gleichzeitig zweier Menschen, die ganz unterschiedliche Lebenswege einschlugen, um mit den Traumata ihrer Kindheit fertig zu werden.

Die Brüder Menachem und Fred hießen früher Heinz und Manfred Mayer. 1938, zur Reichspogromnacht, wurde die jüdische Familie aus ihrem Haus in Hoffenheim vertrieben und 1940 in das Konzentrationslager Gurs in Süd-Frankreich deportiert. Die Zustände im Lager waren katastrophal und als sich, dank einer jüdischen Hilfsorganisation, die Möglichkeit bot, die Kinder in einem französischen Waisenhaus unterzubringen, entschieden sich die verzweifelten Eltern für die Trennung von ihren Söhnen.

Im Film berichten Menachem und Fred von den letzten Minuten mit ihren Eltern. Der Vater trug Manfred, dem Älteren, auf, sich um Heinz zu kümmern. Ein Satz, der bei Fred auch heute noch kaum zu ertragene Emotionen hervorholt. Manfred war zu diesem Zeitpunkt zwölf und Heinz neun Jahre alt.

Während der Jahre im Waisenhaus standen die Eltern mit Hilfe des Roten Kreuzes in Briefkontakt mit ihren Söhnen. Die Briefe, die im Film auszugsweise von den Brüdern vorgelesen werden, zeugen von der verzweifelten Hoffnung der Mutter, ihre Söhne vielleicht noch einmal wieder zu sehen. Sie versuchte die Normalität aufrecht zu erhalten, fragte nach, ob die Jungen genug Kleidung hätten und sich gut vertragen würden. Für die ZuschauerIn ist es zutiefst beklemmend, diese Zeugnisse der Liebe und aussichtslosen Hoffnung zu hören. Im August 1941 kam der letzte Brief der Mutter, kurz vor dem Transport nach Auschwitz, wo die Eltern in den Gaskammern starben.

Nach Kriegsende brach der siebzehnjährige Manfred sein Versprechen, ließ seinen jüngeren Bruder Heinz in der Schweiz zurück und ging nach Amerika, wo er sich in Frederick Raymes umbenannte. Er verbarg seine jüdische Identität und gründete später eine Familie, in der die jüdische Religion heute keine Rolle mehr spielt. Heinz dagegen wanderte nach Israel aus und nahm den hebräischen Namen Menachem an. Für ihn steht der jüdische Glaube im Mittelpunkt seines Lebens. Seine Kinder leben als SiedlerInnen in der Westbank, er in Jerusalem.

Zwei völlig verschiedene Lebensentwürfe, um die Traumata der gemeinsamen Kindheit zu verarbeiten und ein neues Leben zu beginnen. Letztlich ist Menachems und Freds Entwicklung eine Auseinandersetzung mit ihren kulturellen und religiösen Wurzeln.

Erst nach sechzig Jahren waren die Brüder bereit, sich dem Trauma ihrer Vergangenheit zu stellen. Bei einem Umzug entdeckte Fred die Briefe seiner Eltern aus dem Konzentrationslager und schickte sie seinem Bruder Menachem, mit dem er jahrzehntelang keinen Kontakt mehr gehabt hatte. Im Rahmen der Aufnahmen zu diesem Film sehen sich die beiden das erste Mal wieder und begeben sich gemeinsam auf Spurensuche in Europa.

Die Distanz zwischen Menachem und Fred ist zu Beginn des Films noch sehr spürbar. Die Regisseurinnen filmen ein Abendessen der beiden. Die Kamera befindet sich vor dem Fenster, die Stimmen der Brüder sind nicht zu hören. In einem Voice-Over-Kommentar erläutert eine der Regisseurinnen ihre Wahrnehmungen. Weil Fred nicht mehr deutsch reden kann, sprechen die Brüder englisch. Ein Zustand, der für Menachem schwer zu ertragen ist und noch mehr Distanz schafft.

So ist er es auch, der mit den Menschen in Hoffenheim über die Erinnerungen an die 1930er Jahre spricht. Als er einen Landwirt fragt, ob er etwas darüber wisse, verneint dieser. Seine Frau schließlich wiegelt das Gespräch barsch ab und behauptet, die Situation der Deutschen während des Krieges sei mit den Erlebnissen der jüdischen Bevölkerung vergleichbar. Sie spricht sich für einen Schlussstrich aus, für ein Vergessen.

Einen vollkommen anderen Weg gehen die Geschwister Hopp. Ihr Vater, Emil Hopp, war in den 1930er Jahren angesehenes SA-Mitglied in Hoffenheim und verantwortlich für die Vertreibung der Familie Mayer im Jahre 1938. Die Geschwister fühlen sich schuldig für die Verbrechen ihres Vaters und setzen sich aktiv für eine Bewahrung der Erinnerungen ein. Für die Dreharbeiten zum Film sind sich Menachem und Fred und die Geschwister Hopp wieder begegnet und zur Überraschung, nicht zuletzt ihrer eigenen Familien, Freunde geworden.

AVIVA-Tipp: Dieser beeindruckende Film ist ein Muss! Ofra Tevet und Ronit Kertsner, die beiden Regisseurinnen, nähern sich ihren Protagonisten auf sehr einfühlsame Weise und offenbaren so das kaum fassbare Schicksal Menachem und Freds.

Menachem & Fred. Wiedersehen in Hoffenheim.
Deutschland/Israel 2008
Buch und Regie: Ofra Tevet, Ronit Kertsner
Verleih: Filmlichter GmbH
Lauflänge: 91 Minuten
Kinostart: 01. Oktober 2009

Weitere Infos finden Sie unter: www.menachem-und-fred.de


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Beitrag vom 29.09.2009

AVIVA-Redaktion