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Beitrag vom 18.07.2009
The Edge of Love. Was von der Liebe bleibt
Claire Horst
Der kitschige deutsche Untertitel ist ebenso irreführend wie das Kinoplakat, auf dem die beiden Hauptdarstellerinnen aussehen wie zwei Barbiepüppchen – makellose Schönheiten. Genauso falsch ...
...wäre es allerdings, den Film als Biopic über den walisischen Dichter Dylan Thomas zu bezeichnen.
Das alles sind Elemente von "Edge of Love", doch der Film ist mehr als das. Sicherlich, Keira Knightley und Sienna Miller sind tatsächlich makellose Schönheiten. Und sicherlich, Dylan Thomas ist eine der Hauptfiguren des Films. Eigentlich geht es aber um etwas ganz anderes: um die tiefe und instinktive Freundschaft zwischen zwei Frauen.
Der Film setzt ein mit der großartigen Musik von Angelo Badalamenti, der mit seiner Arbeit für den Regisseur David Lynch bekannt wurde. Vera Williams (Keira Knightley), ist eine junge Sängerin, die unter anderem vor britischen Soldaten auftritt. Sie verschmäht die Komplimente eines Soldaten, der sich anscheinend in sie verliebt hat – er folgt ihr von einem Auftrittsort zum nächsten. Dabei wird schnell deutlich: Konventionen sind ihr herzlich egal. Vera ist eine für ihre Zeit unglaublich selbstbewusste und unabhängige Frau, die weiß, was sie will – und was sie nicht will: sich in einen Mann verlieben, der im nächsten Moment von einer Bombe zerrissen wird.
Als Vera in einer Bar ihren Jugendfreund Dylan Thomas (Matthew Rhys) wieder trifft, scheinen die vergangenen Jahre wie weggeblasen. Sie sind sich so nah wie eh und je und verabreden sich nach einem Abend voll Zuneigung und Flirten für den nächsten Tag. Doch Dylan kommt in Begleitung: Caitlin Thomas (Sienna Miller) ist seine Frau. Obwohl sie allen Grund zur Eifersucht hätten, befreunden sich die beiden Frauen schnell miteinander. Die Liebe zu Dylan, einem charismatischen Dichter, Säufer und Weiberhelden, verbindet sie, anstatt sie gegeneinander aufzubringen. Der Regisseur John Maybury erklärt dazu: "Die Geschichte handelt eigentlich von einer Liebesaffäre [...] zwischen zwei Frauen. Und hier besonders von der Art und Weise, vor allem in dieser Zeitepoche, was aber auch für die heutigen Zeiten gelten kann, wie Frauen ihre sehr innigen Freundschaften zugunsten der Männer in ihrem Leben opfern."
Vera nimmt das Paar bei sich auf, als die beiden einen Wohnort suchen. Caitlin unterstützt den jungen Soldaten William (Cillian Murphy) bei seinem Werben um Vera, die sich erweichen lässt und ihn heiratet. Als William – wie von Vera befürchtet – an die Front muss, gehen die drei Freunde gemeinsam nach Wales, wo sie ihre Kinder großziehen. In hinreißenden Bildern zeigt der Kameramann Jonathan Freeman die Schönheit der rauen und kargen walisischen Landschaften. "Edge of Love" ist ein Kostümfilm, eine wunderbare Spielart des Popcorn-Kinos: Die vierziger Jahre erstehen zumindest ästhetisch auf, wenn die Frauen in herben Wolljacken über geblümten Kleidern, mit Gummistiefeln an den Füßen, mit ihren Kindern über den Strand spazieren. Dass die NachbarInnen mit der Lebensweise des Trios nicht einverstanden sind, wundert niemanden – und doch macht es das Leben schwer erträglich. Als William schwer traumatisiert aus dem Krieg heimkehrt, hat das Paar sich entfremdet. William weiß nicht, was er von Veras Beziehung zu Dylan halten soll, kann mit seinem neu geborenen Sohn nichts anfangen.
Die langsame Annäherung zwischen den beiden wird ebenso sensibel und still erzählt wie die Belastung der Freundschaft zwischen Vera und Caitlin. Als es zur großen Katastrophe kommt, gelingt es dem Regisseur, die gefährlichen Klippen des Kitsches zu umrunden. Was in der Nacherzählung wie ein bürgerliches Eifersuchtsdrama klingt, ist in Wirklichkeit eine Erzählung von Freundschaft und Vertrauen, von der Sehnsucht nach einem glücklichen und selbstbestimmten Leben ohne Abhängigkeiten.
Der Film basiert auf wahren Begebenheiten. Die Produzentin des Films, Rebekah Gilbertson, ist die Enkeltochter von Vera Phillips und William Killick: "Seit ich ein kleines Mädchen war, wusste ich, dass meine Großmutter eng mit Dylan Thomas befreundet war. Sie waren zusammen in Swansea aufgewachsen, waren Nachbarn, gingen zusammen zur Schule und verbrachten ihre Ferien miteinander."
Wie ein griechischer Chor durchziehen die intensiven und pathetischen Gedichte von Dylan Thomas den Film. Ob als Liebesgaben an seine Frau oder als Propagandabeiträge für den britischen Rundfunk, immer sind sie voller ausdrucksstarker Metaphern und dem Herzblut des Dichters, den Matthew Rhys als vollkommen Ich-fixierten und dennoch liebenswerten Bohemien spielt.
AVIVA-Tipp: Die großzügige Ausstattung des Films, in dem von Kostümen über die Maske bis zu den Drehorten alles perfekt zusammenpasst, macht einfach Spaß. Zum Vergnügen trägt auch die wunderbare Filmmusik bei – auch dank ihr wird die eigentlich melodramatische Geschichte niemals wirklich melodramatisch. Und die SchauspielerInnen geben ihre Rollen derart eindringlich, dass man ganz vergisst, welche Stars man hier vor sich hat und sich tatsächlich im Wales der Vierziger zu sein glaubt – allen voran der großartige Cillian Murphy und tatsächlich Keira Knightley, die ihre naive Schönheit hier völlig hinter sich lässt und sogar – man glaubt es kaum – einigermaßen überzeugend singt. "Edge of Love" ist ein wunderbarer Film, um die Gegenwart für zwei Stunden zu verlassen und sich in die tiefen Kinosessel fallen zu lassen, am besten mit einer Tüte Popcorn vor sich. Und wer weiß, vielleicht führt der Film zu einem Revival der Texte von Dylan Thomas? Verdient hätten sie es definitiv.
Zum Regisseur: John Maybury hatte seinen ersten großen Erfolg mit "Love is the Devil" (1998) über die zum Scheitern verurteilte Beziehung zwischen dem Maler Francis Bacon und seinem Liebhaber George Dyer. Als Maler, Schriftsteller und Regisseur begann John Maybury seine Arbeit in Londons Punkszene. Während er seiner Karriere als Film- und Videokünstler nachging, organisierte er auch zahlreiche internationale Gemäldeausstellungen und führte bei vielen Musikvideos Regie. Er inszenierte so namhafte Künstler wie The Smiths, The Jesus and Mary Chain, Cyndi Lauper, Boy George, Marc Almond, Neneh Cherry und Morrissey.
Edge of Love. Was von der Liebe bleibt
UK 2008
Regie: John Maybury
DarstellerInnen: Keira Knightley, Sienna Miller, Cillian Murphy, Matthew Rhys
110 Minuten, DF und OmU
Filmstart: 23.07.09
Verleih: Koch Media