AVIVA-Berlin >
Kultur
AVIVA-BERLIN.de im November 2024 -
Beitrag vom 17.07.2009
Erzähl mir was vom Regen von Agnés Jaoui - Kinostart: 30.07.2009
Anna Opel
Eine Feministin wird beim Wahlkampf in der Provinz mit den Unvorhersehbarkeiten des echten Lebens konfrontiert. Und mit ihren verschütteten Sehnsüchten.
Buntes Beziehungsgeflecht
Die energische Feministin Agathe (Agnés Jaoui) will sich in der Politik einen Namen machen und reist zum Wahlkampf ins beschauliche Südfrankreich, an den Ort ihrer Kindheit. Sie trifft die Familie ihrer Schwester Florence (Pascale Arbillot), die dort geblieben ist, und die algerische Haushälterin Mimouna (Mimouna Hadji), die schon seit Jahrzehnten den Haushalt führt.
Deren erwachsener Sohn Karim (Jamel Debbouze), latent widerständig gegen all die kleinen Demütigungen, die ihm als Migrant ständig widerfahren, tritt mit einem Dokumentarfilmprojekt an sie heran, obwohl er Agathe nicht ausstehen kann. Die Idee zu diesem Film ist auf dem Mist seines Freundes Michel (Jean-Pierre Bacri) gewachsen.
Der schusselige TV-Reporter will sich mit einem Porträt von Agathe, das in der Reihe "erfolgreiche Frauen" laufen soll, wieder ins Gespräch bringen. Der sympathische Michel leidet unter der Tatsache, dass er nach der Scheidung seinen Sohn so selten sieht. Er hat ein Verhältnis mit der in ihrer langweiligen Ehe frustrierten Florence. Agathe ist in Begleitung ihres Freundes Antoine (Frédéric Pierrot) angereist. Als sie zwischen zwei Handytelefonaten unüberlegt in das Filmprojekt einsteigt, haben die beiden allerdings kaum noch Zeit füreinander und Antoine reist genervt ab.
Lose Handlungsstränge
Obwohl August ist, bleibt das Wetter schlecht. Es regnet und auch sonst kommt vieles anders als gedacht. Inmitten des unübersichtlichen Figurenknäuels kristallisieren sich nach und nach zwischen kleinen Begegnungen und wunderbar beiläufigen Dialogen ein Handlungsstrang und die Hauptfiguren heraus: Karim, Michel und Agathe treffen sich jetzt regelmäßig zu ihren kruden Film-Sessions. Immer kommt jemand zu spät, immer ist Agathe genervt, weil es zu lange dauert, meistens behält sie die Contenance trotz unübersehbarer Unzulänglichkeiten des angeblichen TV-Profis Michel. In und um dieses Trio, dessen Einzelindividuen sehr unterschiedliche Motive verfolgen, schwappt das Privatleben ständig ins Professionelle hinein.
Bei einer ungeplanten Filmvorführung erfährt Agathe, dass Karim sie für eine unausstehliche Domina hält. Karim erfährt unterdessen, dass der Produzent noch gar nichts vom Film weiß und dass Michels große Klappe nicht immer hält, was sie verspricht. Michel dagegen erfährt beim gemeinsamen Joint, dass Agathe sich die Politik anders vorgestellt hat. So lernt man sich kennen.
Bruchstellen, Wendungen
Alle drehen sich in einem trubeligen Karussell und man hat Mitleid, wenn die verkniffene Florence beim sommerlichen Baden von einer Freiheit redet, die sie vermutlich nicht einen Tag lang aushalten könnte. Das Film-Team macht einen Ausflug, an die Stelle, von der aus angeblich ganz Frankreich zu sehen ist und endet, vom Regen durchnässt, auf einem Bauernhof, Agathe findet heraus, dass sie tatsächlich von der verstorbenen Mutter bevorzugt behandelt wurde. Agathe, ist die Figur, die sich am deutlichsten entwickelt. Sie befreit sich von ihrem starren Profi-Korsett und öffnet sich den charmanten, aber offen unvollkommenen Zeitgenossen, die sie umgeben. Es wird verziehen, sich selbst und anderen und die Dinge kommen in Bewegung.
Am täglichen Scheitern wachsen
Agnés Jaoui und ihr Film- und Lebenspartner Jean-Pierre Bacri haben das Drehbuch für diesen wunderbaren, beschwingten Film über das heilsame Chaos des Lebens geschrieben. Es ist ein Film, der kleinteilig, aber in langen Einstellungen vom täglichen Scheitern erzählt, von der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit und davon, wie mühsam Veränderungen oft sind. Michel und Florence sind hier die Figuren, die am offensichtlichsten das gar nicht können, was zu wollen sie vorgeben. Aber auch alle anderen geraten immer wieder bedrohlich ins Schlingern. Will Agathe wirklich in die Politik? Will Karim treu bleiben?
AVIVA-Tipp: Das Duo Jaoui/Bacri ist in der liebevollen und zugleich schonungslosen Darstellung menschlicher Unzulänglichkeiten und Chancen vielleicht so etwas wie die französische Antwort auf Woody Allen.
"Erzähl mir was vom Regen" präsentiert seine Figuren so unfertig und schwankend, suchend und verletzlich, dass man nach Herzenslust lachen und weinen kann.. Und wo bleibt der Feminismus, für dessen Sache die erfolgreiche Agathe kämpft? Er wird mit feiner Selbstironie auf die Schippe genommen, denn alle Ideen und Vorhaben stehen in diesem Film auf dem Prüfstand des persönlichen Vermögens ihrer UrheberInnen.
Erzähl mir was vom Regen
(OT: Parlez-moi de la pluie)
Frankreich 2008
Buch und Regie: Agnés Jaoui
DarstellerInnen: Agnés Jaoui, Jean-Pierre Bacri, Jamel Debbouze u.a.
Verleih: Alamode
100 Minuten
Kinostart: 30. Juli 2009
www.erzaehl-mir-was-vom-regen.de