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Beitrag vom 27.08.2009
Evet, ich will
Claire Horst
Eine Hochzeit planen alle ProtagonistInnen dieses Films – wenn auch mit unterschiedlichen Vorzeichen. Emrah liebt Tim, während seine Eltern ihn mit einem türkischen Mädchen verheiraten möchten.
Günay und Coskun wollen, wie die beiden Männer auch, heiraten - doch ihnen stehen ebenfalls die Eltern im Weg. Denn Coskuns Eltern sind streng religiöse KurdInnen, Günays Vater ist liberal und wehrt sich dagegen, seine Tochter in eine "Talibanfamilie" zu geben. Ein anderes Problem haben Dirk und Özlem. Dirks Eltern sind aus Überzeugung unverheiratet geblieben und können seinen Wunsch, die Ehe einzugehen, kaum nachvollziehen. Özlems Eltern dagegen bestehen auf der Konversion und Beschneidung ihres Schwiegersohns.
Dann gibt es noch Salih, der eigentlich gar nicht heiraten möchte. Doch seine Familie will nach Deutschland ziehen. Um diesen Weg freizumachen, soll er in Berlin eine Frau finden. Die letzte Heiratswillige ist Sülbiye. Sie ist sehr schüchtern, sehnt sich aber nach einer romantische Liebesgeschichte. Ihren Eltern fällt nur der Weg über eine Heiratsvermittlerin ein, um ihr zu helfen.
All diese Geschichten werden parallel erzählt und überschneiden sich an einem Ort: In dem Berliner Hochhaus, in dem einige der Beteiligten wohnen. Dabei prallen komplett gegensätzliche Einstellungen aufeinander und führen zu komischen Momenten. So entschließt sich Coskun, seine Freundin zu entführen – so wie es auch sein Großvater gemacht hat. Allerdings funktioniert das nicht mehr so einfach wie vor fünfzig Jahren auf dem Dorf. Die Rettung ist schließlich der Schlüsseldienst...
Komisch in ihrer Verzweiflung sind auch die Versuche von Tim, seinen Freund Emrah "aktiv" zu outen. Als "bester Freund" des Sohnes ist er in der Familie beinahe täglich zu Gast. Emrah ringt er das Versprechen ab, ihn beim gemeinsamen Grillen zu küssen. Tims erwartungsvoll vorgereckte, gespitzte Lippen interpretiert der Vater dann als Reaktion auf das scharf gewürzte Grillfleisch.
Regisseur Sinan Akkuş scheut sich nicht, auch kontroverse Themen ins Visier zu nehmen – Scheinehen und arrangierte Hochzeiten, Gewalt in der Familie und Vorurteile auf allen Seiten sind die wichtigsten Bestandteile seines temporeichen Films. Leider verschenkt er dabei eine große Chance. Seine Darstellung der Stereotypen nimmt in Kauf, dass Vorurteile zementiert werden, anstatt sie aufzulösen. Dass etwa Tim und Emrah optisch dem Klischee eines höchst attraktiven schwulen Pärchens entsprechen, dass der türkischstämmige Emrah im Blaumann in der Autowerkstatt schafft, während der große blonde Tim Jura studiert, ist etwas zu plakativ ausgefallen.
Überhaupt wirken sämtliche "StudentInnen" in dem Film ein wenig zu alt, um wirklich als StudentInnen durchzugehen. Oliver Korittke etwa, der den Dirk gibt, ist immerhin 41 Jahre alt. Und dass Sülbiye als "hässliche" Frau eingeführt wird, die der potentielle Heiratskandidat Salih als "dicke Tonne" bezeichnet, löst eher Lacher auf ihre Kosten aus anstatt ein fragwürdiges Frauenbild aufzuzeigen. Damit wirkt die Aussage des Films etwas oberflächlich.
Für diese Schwächen entschädigt die sehr gute Darstellung einzelner SchauspielerInnen, so etwa die von Heinrich Schafmeister (bekannt aus "Comedian Harmonists"), der Dirks Vater als wunderbar verklemmten Öko-Pedanten gibt, und Ingeborg Westphal in der Rolle von Dirks Mutter. Ihre Helga trägt ein Kopftuch, um sich bei der – komplett kopftuchfreien – Familie der zukünftigen Schwiegertochter vorzustellen, und führt auf der endlich geglückten Hochzeit einen weniger geglückten Bauchtanz vor. Ein weiteres Highlight ist, zumindest für Literaturfans, die Nebenrolle der Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar als Wahrsagerin. Auch Sänger Muhabbet hat einen Gastauftritt. Er wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als er ein Lied mit Außenminister Steinmeier und seinem französischen Kollegen Kouchner einstudierte.
Zum Regisseur: Sinan Akkuş wurde 1971 in Erzurum, Türkei geboren. Seit 1973 lebt er in Deutschland. Er studierte visuelle Kommunikation mit dem Studienschwerpunkt Film und Fernsehen an der Hochschule der bildenden Künste Kassel. Neben seiner Arbeit als Autor und Regisseur ist er auch als Schauspieler tätig. Für seine Kurzfilme wurde er mehrfach ausgezeichnet. "Evet, ich will!" ist sein erster Spielfilm.
AVIVA-Tipp: Dem Ensemble ist die große Spielfreude anzumerken, und das ist ein großes Plus dieses Films. Auch die Leichtigkeit, mit der existentielle Probleme aufgegriffen und humorvoll bearbeitet werden, ist dem Regisseur hoch anzurechnen. Und doch bleibt ein leiser Zweifel: Lassen sich derart tief liegende Konflikte wirklich so einfach auflösen? Genügt der Verzicht auf die Vorhaut, um zum geliebten Schwiegersohn aufzusteigen? Und ist es realistisch, dass der Chef der Autowerkstatt mit allem einverstanden ist – so lange er keine Küsse sehen muss? Etwas unentschieden.
Evet, ich will! Hochzeit auf deutsch-türkisch
Buch und Regie: Sinan Akkuş
DarstellerInnen: Oliver Korittke, Lale Yavaş , Heinrich Schafmeister, Ingeborg Westphal, Idil Ãœner, Tim Seyfi, Hülya Duyar, Mickey Hardt, Eralp Uzun, Pinar Erincin u.a.
Kamera: Peter Nix
Musik: Ali N. Askin
Creative Producer Annette Niehues
ProduzentInnen: Gudrun Ruzickovà -Steiner, Claudius Lohmann, Produzent Nikolaus Lohmann
Eine Produktion von Luna Film GMBH und Nikolaus & Claudius Lohmann in Koproduktion mit CINEMENDO GMBH und RBB/ARTE gefördert durch MEDIENBOARD BERLIN BRANDENBURG und DEUTSCHER FILMFÖRDERFONDS