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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 02.11.2008


Gerdas Schweigen – Der Film von Britta Wauer nach dem Buch von Knut Elstermann
Margret Müller

Nach jahrzehntelangem Schweigen spricht Gerda Schrage mit Knut Elstermann über ihren Weg durch den Holocaust, doch Reden und Zeit heilen nicht alle Wunden, vielmehr werden diese an die ...




...nachfolgenden Generationen weitergegeben.


Anfang der 1960er Jahre, als Knut Elstermann sechs Jahre alt war, kam Tante Gerda aus New York nach Ostberlin zu Besuch. Obwohl instruiert, NICHTS zum Tod des ersten Kindes der Tante in Auschwitz zu fragen, kann der Kleine nicht umhin, die Neugier übermannt ihn, er muss nach genau diesem Kind fragen. Was folgt, ist Schweigen. Stille. Ein Tabubruch.

Die Neugier ist ihm geblieben, vier Jahrzehnte später, mittlerweile Journalist, versucht Elstermann noch einmal, diesmal eindringlicher und bedachter, Gerdas Schweigen zu brechen. Er fährt zu ihr nach New York und möchte – kurz gesagt – ihre Lebensgeschichte hören, vor allem das, worüber sie nie zu sprechen vermochte. Sie stimmt zu, redet zum ersten Mal, zunächst zögerlich, bruchstückhaft und unzusammenhängend. Elstermann recherchiert, geht ihren Aussagen nach. Langsam bilden die Puzzleteile eine stringente Geschichte. Knut Elstermann veröffentlicht darüber im Jahr 2005 das Buch "Gerdas Schweigen", dann ein gleichnamiges Hörbuch, Gerda kommt nach Deutschland, es gibt Pressekonferenzen, bewegende Kritiken und eine Anfrage von Britta Wauer, ob sie den Film zum Buch drehen könne. Knut Elstermann: "Ich kannte ihre vorhergehenden Arbeiten, ich wusste, dass sie Grimme-Preisträgerin ist, und dachte, dass sie die Richtige sein könnte."

In dem Film "Gerdas Schweigen" werden die Begegnungen zwischen Knut Elstermann und Gerda noch einmal durchlebt, das Brechen des Schweigens, die langsame, schmerzhafte Erinnerungsarbeit. Beide beschreiben ihre Gefühle während dieser Zeit und Gerda erzählt nach und nach ihre Lebensgeschichte, ergänzt durch Knut Elstermanns Recherchen und Anmerkungen. Elstermann in der Rolle des Erzählers hilft, die unfassbare Grausamkeit von Gerdas (Über-)leben soweit möglich fühlbar zu machen. Sein Beschreiben der eigenen Gefühle und Fragen wecken auf, und lassen keine Möglichkeit, den Film unberührt vorbeiziehen zu lassen.

Das Buch hört nach Gerdas Bruch des Schweigens auf, der Film und Elstermanns Neugier geht noch einen Schritt weiter. Die Dokumentation zeigt, wie die Veröffentlichung ihrer Lebensgeschichte Gerda und die Beziehung zu ihrem Sohn veränderte.
Nein - Erleichterung, endlich den Grund des unfassbaren Schmerzes ausgesprochen zu haben, reicht nicht für ein Happy End aus, die Zeit heilt auch nicht alle alten Wunden. Reden mindert Gerdas Scham nicht, die sie mit sich trägt, die auf dem weiten Weg nicht leichter geworden ist.

Auch Gerdas Sohn lebt mit diesem Schweigen, schon über 50 Jahre lang, die Last seiner Eltern, die ohne Familie überlebten, ist seine eigene geworden. Er leidet, unter Gerdas Schweigen wie auch unter ihrem Sprechen. Niemand kann den Sohn zwingen, seine Mutter zu verstehen oder ihr zu vergeben, auch nicht die ZuschauerIn, der keine andere Möglichkeit bleibt, als Verstehen für das so hart wirkende Verhalten des Sohnes zu suchen. Spätestens an diesem Punkt verkriecht sich jedes Bedürfnis nach Harmonie vor der tiefen Erkenntnis, dass das Leid ganz und gar nicht vorbei ist und es vielleicht auch nie sein wird. Es lebt. In den Kindern und deren Kindern. Begreifbar ist dessen Umfang nicht.

AVIVA-Tipp: Der Film berührt. Nach Gerdas Brechen des Schweigens sind nicht etwa alle Fragen beantwortet, vielmehr tun sich ganz Neue auf. Elstermanns Schilderungen als Fragender und Mitsuchender integrieren die BetrachterInnen in den Verstehensprozess, lassen keine Abstumpfung zu.

Zum Autor des Buches: Knut Elstermann ist 1960 im Osten Berlins geboren und aufgewachsen. Er studierte Journalistik in Leipzig und arbeitete bei verschiedenen DDR-Medien. Inzwischen ist er freier Moderator und Filmkritiker, vor allem für ARD, 3Sat und arte. Sein Buch "Gerdas Schweigen" erschien 2005.

Zur Regisseurin: Britta Wauer wurde 1974 in Berlin geboren, lernte an der Berliner Journalistenschule. Während ihres Regie-Studiums an der Film- und Fernsehakademie Berlin drehte sie mehrere Kurzspielfilme, ihr Abschlussfilm "Die Rapoports" wurde u.a. mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Mit ihrer Firma Britzka Film realisierte sie u.a. den Dokumentarfilm "Berlin Ecke Volksbühne"(2005). Weitere Infos und Kontakt: www.britzka.de


Gerdas Schweigen
Ein Film von Britta Wauer nach dem Buch von Knut Elstermann
Deutschland 2008
90 Minuten
Verleih: Piffl Medien
Drehbuch und Regie: Britta Wauer
Kamera: Kaspar Köpke, Bob Hanna
Eine Gemeinschaftsproduktion der Zeitsprung Entertainment GmbH und dem Rundfunk Berlin Brandenburg.
Kinostart: 06.11.2008
Mehr Infos: www.gerdas-schweigen.de


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Beitrag vom 02.11.2008

AVIVA-Redaktion