Eine Frau mit Kamera - Liselotte Grschebina. Deutschland 1908 - Israel 1994 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 03.04.2009


Eine Frau mit Kamera - Liselotte Grschebina. Deutschland 1908 - Israel 1994
Claire Horst

Der Martin-Gropius-Bau präsentiert vom 5. April bis zum 28. Juni 2009 die erste Retrospektive der Fotografin der Neuen Sachlichkeit, die 1934 nach Palästina emigrierte. Gezeigt werden 100 Fotos aus.




... dem Zeitraum zwischen 1929 und den 1960er Jahren.

Der Großteil davon wurde in Deutschland und Palästina / Israel aufgenommen.

Liselotte Grschebina, geb. Billigheimer, kam am 2. Mai 1908 in Karlsruhe als Tochter eines jüdischen Kaufmanns zur Welt. Als sie sechs Jahre alt war, fiel ihr Vater im Ersten Weltkrieg als Soldat des "Deutschen Reiches". Von 1925 bis 1928 studierte sie an der Badischen Landeskunstschule Karlsruhe (heute Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe). Nach Abschluss ihres Studiums 1929 unterrichtete sie dort bis 1931 selbst Werbefotografie. Diese war damals noch keine anerkannte Kunstrichtung – und unter dem Vorwand, es bestehe kein Bedarf an dem Fach, wurde ihre Anstellung dort schließlich aufgekündigt.

Grschebina begann zu einer Zeit mit der Fotografie, in der das sogenannte "Neue Sehen" großen Einfluss auf die Kunst hatte. Das Bauhaus war 1919 gegründet worden, eine klare und funktionale Formsprache zeichnete Architektur und bildende Kunst aus. Das "Neue Sehen" experimentierte mit Licht und Komposition und erteilte der reinen Darstellung eine Absage. Stattdessen wurde versucht, in der Fotografie die Dynamik und Kraft der Moderne auszudrücken. Diese subjektive und dennoch klare Sicht auf ihre Motive zeichnet auch Grschebinas Werk aus.

Dennoch sah sie sich nicht hauptsächlich als Künstlerin. Nach dem Ende ihrer Lehrtätigkeit eröffnete sie 1932 in Karlsruhe ein eigenes Atelier, mit dem sie sich auf Werbefotos und Kinderporträts spezialisierte, reine Gebrauchsfotografie also. 1933 musste sie ihr Studio schließen und emigrierte im März 1934 gemeinsam mit ihrem Mann Jacob Grschebin nach Palästina. Sie ließ sich in Tel Aviv nieder und eröffnete dort zusammen mit Ellen Rosenberg (später Auerbach) ein Atelier.

Ellen Auerbach war als Partnerin des FotografInnenduos ringl+pit bereits eine etablierte Künstlerin und wurde zu einer wichtigen Inspiration für Liselotte Grschebina. Der Nachlass Auerbachs befindet sich heute in der Akademie der Künste.

Vermittelt durch ihre Partnerin übernahm Grschebina 1934 eine Tätigkeit als offizielle Fotografin der "Women`s International Zionist Organization" (WIZO). In der aktuellen Ausstellung sind mehrere Fotos aus dieser Zeit vertreten. Sie zeigen Szenen aus dem Arbeitsalltag der Frauen, etwa in der Landwirtschaft, und ermöglichen so Einblicke in das Leben der Emigrantinnen.

Dass die Weiterentwicklung der professionellen Fotografie ihr ein ernsthaftes Anliegen war, zeigt Grschebinas Beteiligung an der Gründung des "Verbandes der Berufsfotografen", der 1941 eine Gruppenausstellung in Tel Aviv organisierte. Jedoch schloss Grschebina ihr Studio Mitte der Fünfzigerjahre, wahrscheinlich aufgrund der großen Konkurrenz. Nicht zuletzt waren es zahlreiche EmigrantInnen aus Deutschland, die mit der fünften Einwanderungswelle (Hebr. Aliyah) kamen und in Tel Aviv als FotografInnen tätig waren.

Da Grschebina in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens kaum noch fotografierte und die Werbefotografie zu ihren Lebzeiten nicht als Kunst anerkannt war, geriet ihr Werk in Vergessenheit. Erst durch ihren Sohn, Beni Gjebin, wurde ihr Nachlass wiederentdeckt. Im Jahr 2000 schenkte er die etwa 1.800 Fotos umfassende Sammlung der Fotoabteilung des Israel Museums in Jerusalem. Aus diesem Korpus wurden die 100 nun gezeigten Bilder ausgewählt.

Die Auswahl der Fotografien – es ist wirklich zu bedauern, dass nur so wenige Aufnahmen zu sehen sind – setzt inhaltlich keinen Schwerpunkt. Stattdessen ermöglicht sie einen Überblick über das Schaffen der Fotografin. Die Ausstellung reicht von Studiofotos von Kindern über Werbeaufnahmen, etwa für Zigaretten oder Damenstrümpfe, bis zu Architekturaufnahmen aus dem Tel Aviv der frühen Vierzigerjahre und wirkt damit etwas beliebig.

Ein besonderes Anliegen der AusstellungsmacherInnen ist es, die enge Verknüpfung und wechselseitige Beeinflussung von KünstlerInnen weltweit aufzuzeigen. Grschebina steht beispielhaft für unzählige FotografInnen, ArchitektInnen und MalerInnen, die unterschiedliche Einflüsse innerhalb der Moderne aufgriffen und weitertrugen. So spielte etwa das Bauhaus eine große Rolle bei der Entwicklung der israelischen Kunst und Architektur, da viele Bauhaus-ArchitektInnen in das Land gekommen waren. Einige von Grschebinas Aufnahmen zeigen Häuser des "international style" in Tel Aviv, Teil des UNESCO-Weltkulturerbes und Resultat des Bauhaus-Gedankens.

Eine politische Fotografin war Grschebina nicht. Die Dokumentation historischer Ereignisse lag nicht in ihrem Interesse. Stattdessen legte sie das Augenmerk auf das Wesentliche, auf die Schönheit des dargestellten Objektes - ob das eine porträtierte Frau ist, eine Schale Eier oder ein moderner Bahnsteig. Daher sind es vor allem Momentaufnahmen aus dem Alltag der jungen Nation Israel, die hier zu sehen sind.

Dass einige Bilder, insbesondere die Aufnahmen israelischer SportlerInnen aus den Jahren 1937-40, unangenehm an die Ästhetik einer Leni Riefenstahl erinnern, ist Grschebina nicht vorzuwerfen. Die Inszenierung des menschlichen Körpers gerann in den Dreißigerjahren zu einer nationalistischen Verherrlichung makelloser Kraft und Herrschaft, doch dafür ist sie nicht verantwortlich. Dennoch ist genau das der spannendste Moment in der Ausstellung. Denn hier zeigt sich tatsächlich die Verknüpfung historischer, politischer und ästhetischer Einflüsse, die international wirkten. Das Neue Sehen und auch der Körperkult wurden bis nach Israel exportiert.

AVIVA-Tipp: Grschebina ist unbeabsichtigt doch noch zur Dokumentatorin ihrer Zeit geworden. Aus ihren Fotografien lässt sich zweierlei ablesen. Erstens geben sie Einblick in unterschiedliche Aspekte der jungen israelischen Gesellschaft. Zweitens lässt sich an ihnen die Entwicklung der modernen Kunst ablesen und vielleicht nachvollziehen, wie die "Globalisierung" der Kunst sich vollzog. Folgerichtig war Grschebina bereits in der Ausstellung "Die Neuen Hebräer. 100 Jahre Kunst in Israel" (2005) im Martin-Gropius-Bau vertreten. Dass der Martin-Gropius-Bau im Sommer 2009 eine Bauhaus-Ausstellung zeigen wird, ordnet Grschebina in diesen umfassenderen Kontext ein.

Weitere Informationen:
Begleitend zur Ausstellung ist ein dreisprachiger Katalog (Englisch-Deutsch-Hebräisch) erschienen.
Eine Frau mit Kamera: Liselotte Grschebina. Deutschland 1908 – Israel 1994, The Israel Museum, Jerusalem, 2008, 12 Euro
ISBN 978 965 278 365 3
155 Seiten, mit 100 Foto-Reproduktionen Liselotte Grschebinas und Beiträgen von Yudit Caplan, James S. Snyder, Christoph Stölzl. Herausgeberin ist die Kuratorin Yudit Caplan.
Eintritt: 3 / ermäßigt 2 Euro
Gruppen (ab 10 Personen) p.P. 2 Euro
SchülerInnen- und StudentInnengruppen (ab 5 Personen) p.P. 2 Euro
Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre freier Eintritt

Veranstaltungsort: Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstraße 7 / Ecke Stresemannstr. 110
10963 Berlin
Telefon: 030 - 254 86-0, www.gropiusbau.de
Öffnungszeiten: 5. April bis 28. Juni 2009, täglich 10 – 20 Uhr

Veranstalter:
Berliner Festspiele. Eine Ausstellung des Israel Museum, Jerusalem.
Ermöglicht durch den Verein zur Förderung des Israel-Museums in Jerusalem e.V.,
Berlin

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Drei Fotografinnen. Eine Doku von Antonia Lerch
Ellen Auerbach. Das dritte Auge



Kultur

Beitrag vom 03.04.2009

Claire Horst