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Beitrag vom 07.07.2008
Madonnen und In den Tag hinein - von Maria Speth
Constanze Geißler
In den Mittelpunkt ihrer beiden Filme rückt die junge Regisseurin Maria Speth zwei Protagonistinnen, die auf eklatante Weise vor den Problemen des Alltags fliehen, aber nicht davonkommen.
Die junge Regisseurin und Drehbuchautorin Maria Speth hat mit ihrem 2001 entstandenen Spielfilm "In den Tag hinein" ihr Debut geliefert und ihr Sujet anhand einer jungen Frau gefunden, die genauso desillusioniert wie sie in einer Illusion lebt. Auch in dem sechs Jahre später gedrehten Film "Madonnen" bleibt Speth diesem Thema treu, wenn sie das Leben einer jungen Mutter charakterisiert, die sich und ihr Dasein nicht definieren kann, sondern beständig auf der Flucht bleibt.
Das Besondere an Maria Speths Filmen ist, dass sie weniger Erklärungsmuster bereithalten, sondern das Leben der ProtagonistInnen durchdringen und deren Fassade, bestehend aus Desinteresse und Abwehr, nicht zerstören. Einzelne Szenen sind wie Bilder, in denen die ZuschauerInnen nach Emotionen und Antworten suchen können, ohne dass sich diese auf den ersten Blick erschließen lassen.
In den Tag hinein
Lynn (Sabine Timoteo) schläft mit einem Profischwimmer - von einer Beziehung kann kaum die Rede sein -, jobbt in einer Kantine und tanzt des Nachts exzessiv in einem Techno-Club. Zu Hause bei ihrem Bruder und dessen Familie ist sie nicht willkommen. Nichts scheint ihr einen Halt zu geben. Nirgendwo will sie verweilen.
Dann kreuzt der Japaner Koji Lynns Weg und beeindruckt die junge Frau durch seine sensible Art, die ihrem Freund, dem Profischwimmer abgeht. In der Nacht der Großstadt fühlen sich die Beiden am Ehesten geborgen, weil im kahlen Licht des Alltags ihre Sehnsüchte untergehen. Dass Lynn und Koji, die unbeschwert und Träumer sind, dann auch zueinander finden, begründet das tragische Ende des Films.
Sabine Timoteo spielt die Rolle der Lynn trotzig und sanft zugleich und mit einem gewissen Understatement. Dabei entsteht zu keinem Zeitpunkt der Eindruck, ihre Figur könnte auch nur einen kleinen Kompromiss mit der Umwelt eingehen. "In den Tag hinein" zeigt die exorbitante Suche nach einem Leben, das es nicht gibt.
Madonnen
Rita (Sandra Hüller) hat fünf Kinder und will sich, ohne dass es ihr bewusst ist, an der eigenen Mutter wegen ihrer entbehrungswürdigen Kindheit rächen. Auf diese Weise ist Rita, bemerkenswert unemotional von Sandra Hüller gespielt, Opfer und Täter zugleich. Sie verweigert die Kommunikation und hält einschlägige Beleidigungen für ihren Freund und ihre Mutter bereit. Sie sucht ihren leiblichen Vater in Frankreich, lügt, landet in einem Frauengefängnis - und scheint die ganze Zeit wie unter einer Glasglocke zu existieren. Und wieder ergibt sich im emotionalen Konflikt der Protagonistin das Problem, eine stetige Beziehung zu einem Mitmenschen aufzubauen. Dabei ist es der U.S.-Soldat Marc (Coleman Orlando Swinton), der in der Neubauwohnung Ritas ein bescheidenes Familienleben initiiert, wenngleich er weiß, dass er in wenigen Wochen nach Amerika zurückgehen wird.
"Madonnen" schildert den Präzedenzfall einer allein erziehenden Mutter, die Verantwortung gegenüber ihren Kindern aufbauen will, diese aber zugleich strategisch von sich weist. Ihren fünf Sprösslingen tritt sie distanziert gegenüber auf und adaptiert dadurch die wenige Empathie der eigenen Mutter. Umso bemerkenswerter ist das Statement über Rita, das die hellsichtige und älteste Tochter Fanny formuliert: "Es fehlt etwas, wenn sie nicht da ist." Allein an diesem Punkt wird das emotional kühle Fahrwasser, in dem sich der Film stetig bewegt, gebrochen.
Zur Regisseurin und Drehbuchautorin:
Maria Speth wurde 1967 in Tittingen/Bayern geboren. Sie studierte an der "Konrad Wolf" Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg. Seit 1991 arbeitet sie als Regieassistentin an diversen Kino- und Fernsehfilmen. Seit 2001 freie Drehbuchautorin und Filmregisseurin.
AVIVA-Tipp:
Absolut überzeugend! Alle CineastInnen, die mit der "Berliner Schule" unkonventionelles AutorInnenkino verbinden, das (klein-) bürgerliche Lebenswelten transparent macht und dabei keinen Wert auf hochgestylte SchauspielerInnen, rasante Filmschnitte und peppige Filmmusik legt, all jene können mit "In den Tag hinein" und "Madonnen" von Maria Speth einen weiteren Beitrag zu dieser Formation des deutschen Kinos erleben.
"In den Tag hinein"
Deutschland 2001
DarstellerInnen: Sabine Timoteo, Hiroki Mano, Florian Müller-Mohrungen, Guntram Brattia, Sabina Riedel u.a.
Buch und Regie: Maria Speth
Kamera: Reinhold Vorschneider
Montage: Dietmar Kraus
Länge: 114 Minuten
Verleih: Filmgalerie 451. DVD-Release: 5. Juli 2008
DVD-Facts
Sprache: Deutsch. Untertitel: Englisch, Französisch, Niederländisch, Italienisch
DVD-Extras: Presse- und Fotoschau, Trailer
ISBN: 978-3-937045-85-6
Preis: 19,90 Euro
"Madonnen"
Deutschland 2007
DarstellerInnen: Sandra Hüller, Luisa Sappelt, Susanne Lothar, Coleman Orlando Swinton, Gerti Drassel, Olivier Gourmet, Ariana Lewis, Kenneth Uhle, Elli Götze, u.v.m.
Buch und Regie: Maria Speth
Kamera: Reinhold Vorschneider
Montage: Dietmar Kraus, Ludo Troch, Dörte Völz-Mammarella, Maria Speth
Länge: 120 Minuten
Verleih: Filmgalerie 451. DVD-Release: 5. Juli 2008
DVD-Facts:
Sprache: Deutsch. Untertitel: Englisch, Französisch
DVD-Extras: Presse- und Fotoschau, Interview, Trailer
ISBN: 978-3-937045-84-9
Preis: 19,90 Euro