Fünf Sterne - Ein Film von Annekatrin Hendel mit Ines Rastig. Ausgezeichnet mit dem Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung auf der 67. Berlinale. Kinostart am 11. Mai 2017 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 03.05.2017


Fünf Sterne - Ein Film von Annekatrin Hendel mit Ines Rastig. Ausgezeichnet mit dem Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung auf der 67. Berlinale. Kinostart am 11. Mai 2017
Lisa Baurmann

Zwei eng befreundete Künstlerinnen, ein noch engeres Hotelzimmer an der Ostsee, vier Wochen Aufenthalt. In diesen zeichnet Hendel ("Vaterlandsverräter") ein filmisches Portrait ihrer todkranken Freundin, das ohne Klischees auskommt, und dabei...




... sowohl zu beeindrucken als auch zu bedrücken vermag.

Der Dokumentarfilm ist ein gemeinsames Projekt der Künstlerinnen und langjährigen Freundinnen Ines Rastig und Annekatrin Hendel. Er ist auch das letzte. Auf der 67. Berlinale im Februar 2017 stellte Hendel den Film alleine vor. Zu diesem Zeitpunkt war Rastig bereits gestorben – an Lungenkrebs. Die Aufnahmen, die Hendel, stets hinter der Kamera, von Rastig im Zimmer des Fünf-Sterne-Hotels "The Grand" Ahrenshoop gemacht hat, entstanden zwei Monate nach der Diagnose, vier Monate vor ihrem Tod.

"Ich seh´ das eigentlich nicht ein."

Im ganzen Film gibt es nur wenige Szenen, in denen der Krebs eine Rolle spielt. In einer davon betrachtet Ines Rastig ihr von der Chemotherapie gezeichnetes Gesicht im Badezimmerspiegel und zieht Bilanz: "Ich werd´ total bestraft. In jeder Hinsicht. [...] arm wie ´ne Kirchenmaus, krank, todkrank und entstellt. Also ich [...] weiß überhaupt nicht, womit ich das verdient habe." "Denk mal drüber nach!", scherzt Hendel, beide lachen. Die Freundin entgegnet noch trotzig: "Nö. Ich seh´ das eigentlich nicht ein." Das ist einer der wenigen Momente, in denen die Nähe der beiden Freundinnen zueinander zum Vorschein tritt. Meist spricht im Film nur Ines Rastig. Und geraume Zeit sehen wir sie einfach nur vor ihrem Laptop sitzen, obwohl wenige Schritte vom Hotel die malerisch-winterliche Ostsee wartet. Seit Jahren spielt sich fast ihr gesamtes Sozialleben online ab, auf Facebook.

Wenn wir Rastig reden hören, scheint sie vieles nicht einzusehen. Warum sie den Kontakt zur Tochter verloren hat, warum sie aus ihrer Wohnung geworfen wurde, warum sie nicht mehr in Mitte leben soll, dem angeblich hippsten und teuersten Viertel Berlins. Dabei ist das der Ort, an dem sie aufgewachsen ist und sich zuhause fühlt – im Gegensatz zu "Krethi und Plethi aus Wanne-Eickel". Wo ihr trockener Berliner Humor durchscheint, wirkt die Künstlerin sympathisch. Vielleicht hatte sie mehr davon, bevor sie sich aus der Kunstszene zurückgezogen hat, bevor ihre Familie auseinanderbrach und sie anfing, sich in die Welt von Facebook zu flüchten.

"Ich wollte einfach, dass Ines in diesem Film immer Recht hat."

Die nun todkranke, offensichtlich Facebook-süchtige, womöglich depressive Ines Rastig ist schwer zu ertragen. Über einen Ausfall des Wi-Fi im Hotel regt sie sich derart auf, dass nur eine Zigarette auf dem Balkon sie beruhigen kann. Beim Gespräch über die schwierige Zeit, die sie hinter sich hat, wird sie ungehalten, irrational, unterbricht die vorsichtig fragende Freundin. Wir erfahren die Ereignisse ausschließlich aus ihrer Perspektive. Das ist so gewollt. Hendel sagt: "Ich wollte einfach, dass Ines in diesem Film immer Recht hat."

Das entstehende Portrait ist fast schmerzhaft authentisch. Trotzdem ist der Blick der Zuschauerin stets distanziert. Der Film lässt uns nicht in die Welt Rastigs eintauchen. Es gibt keine Handlung oder zusammenhängende Erzählung, die uns in ihren Bann ziehen könnte, und Hendels Präsenz hinter der Kamera bleibt immer bewusst.

Das Ergebnis des gemeinsamen Projekts – und so will Annekatrin Hendel es auch verstanden wissen – ist gleichzeitig Prozess des Abschiednehmens und ein Denkmal für die Freundin. Es entspricht dabei keinen Erwartungen. Es fehlen nostalgisches Schwelgen in Erinnerungen, genüssliches Auskosten letzter schöner Stunden, Exzesse, Zusammenbrüche, bewegende Musik und sonstige Klischees, mit denen andere Filme aufwarten, in denen jemand mit der Nachricht konfrontiert ist, nicht mehr geheilt werden zu können. Zu sehen, wie sich ein Mensch derartig von allem in der echten Welt zurückzieht, und daran auch eine Krebsdiagnose nichts ändert, macht den Film schwer verdaulich. Er bietet auch keine Lösungen an. Die Banalität des Lebensendes, seine Ereignislosigkeit, verstören. Wer einen Hoffnungsschimmer sucht, findet ihn womöglich darin, dass einzig die Freundschaft der beiden Künstlerinnen über all die Widrigkeiten hinweg Bestand hat.

Nach den zusammen verbrachten Wochen, in denen die Freundinnen die 36m² des Hotelzimmers so gut wie nicht verlassen haben, muss Ines Rastig wieder zur Chemotherapie. Danach, so verrät uns der Ausblick, verbringt sie den Rest ihres Lebens im "The Grand", wo es immer frisches Obst zum Frühstück und freundlichen Service gibt. Der Film, der einen Ausschnitt aus ihren letzten Lebensmonaten dokumentiert, wurde mit dem diesjährigen Heiner-Carow-Preis der DEFA-Stiftung ausgezeichnet.

AVIVA-Tipp: Leichte Kost ist "Fünf Sterne" keinesfalls. Die Dokumentation hat keinen Unterhaltungswert, informiert nicht, rüttelt nicht auf. Indem Hendel und Rastig mit stilistischen und inhaltlichen Konventionen brechen, schaffen sie ein filmisches Experiment, das zunächst irritiert, aber letztlich wichtige Fragen stellt, nach dem eigenen Leben und Lebensende, nach dem Stellenwert von Familie und Freundschaft, nach Nähe und Distanz im virtuellen Raum. Antworten werden keine mitgeliefert, und das zeichnet den Film aus.

Ines Rastig ist in Ostberlin aufgewachsen. Sie war langjährig in der dortigen Kulturszene als Malerin, Sängerin, Kostüm- und Bühnenbildnerin tätig. In ihren letzten sieben Lebensjahren zog sie sich aus dem Kunstbetrieb zurück und konzentrierte sich ausschließlich auf die Fotografie, mit der sie ihr Umfeld dokumentierte. Sie veröffentlichte einen Großteil ihrer Arbeiten auf Facebook, in Bilderserien, die erzählerische Elemente zur eigenen Interpretation enthalten. Ihre letzten Monate verbrachte die Künstlerin im Hotel "The Grand" Ahrenshoop. Mit ihrem Tod im Mai 2016 hinterließ sie eine große Zahl fotografischer Arbeiten, von denen eine Auswahl im August und September 2016 im "The Grand" ausgestellt wurde.
Mehr Infos unter: itworksmedien.com – Zur Ausstellung "Ines Rastig Fotografie"
www.facebook.com/ines.rastig – Ines Rastig auf Facebook

Zur Regisseurin: Annekatrin Hendel ist ebenfalls in Ostberlin aufgewachsen und Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin. Nach Abschluss eines Designstudiums arbeitete sie freiberuflich als Szenenbildnerin am Theater und für Filme. 1999 hatte sie ihr Regiedebut mit dem Kurzfilm "Chiquita for Ever". 2004 gründete sie die Filmproduktionsfirma "It Works! Medien GmbH". Zu ihren jüngsten Werken als Regisseurin und Produzentin gehören "Vaterlandsverräter" (2011) und "Anderson" (2014), Dokumentationen über zwei ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, die als Teile eine Trilogie über Verrat konzipiert sind. "Vaterlandsverräter" ist 2013 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. 2015 erschien ihre Dokumentation "Fassbinder" über den Filmemacher Rainer Werner Fassbinder anlässlich dessen 70. Geburtstags. Der Dokumentarfilm "Fünf Sterne" von Annekatrin Hendel war in der Vorauswahl für den Deutschen Filmpreis 2017 und erhielt den Heiner-Carow-Preis auf der 67. Berlinale. All ihre Regiearbeiten hatten ihre Uraufführung auf der Berlinale und auf der IDFA Amsterdam. Hendel ist Mitglied der Deutschen Filmakademie.
Mehr Infos unter: www.filmportal.de – Komplette Filmografie
itworksmedien.com – "It Works! Medien" Produktionsfirma

Fünf Sterne
DE 2016
Regie: Annekatrin Hendel
Verleih: Edition Salzgeber
Länge: 79 Minuten
Kinostart: 11.05.2017
Website mit Trailer: www.fuenfsterne-film.de
Facebook: www.facebook.com/fuenf.sterne.dokumentarfilm

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Beitrag vom 03.05.2017

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