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Beitrag vom 06.04.2017
ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND... basierend auf den semiautobiographischen Romanen von Michel Bergmann. Kinostart 6. April 2017
Sharon Adler, Judith Kessler
Regisseur Sam Garbarski inszeniert mit großer Sensibilität die berührende wie kraftvolle Geschichte um die Menschen aus "Die Teilacher" und "Machloikes", Holocaustüberlebende in Frankfurt am Main. Ein Film zum Lachen und zum Weinen. Einfach grandios!
David Bermann, der lebenskluge "Teilacher" (jiddisch/berlinerisch: Einzelhandelsvertreter) und seine Freunde waren entwurzelte Menschen, die oft als Einzige ihrer Familie überlebt haben und entweder aus einem Lager oder vom Todesmarsch oder aus Shanghai in ihre Heimatstadt zurückgekehrt waren, oder womöglich gerade dem ersten Nachkriegspogrom in Polen entkommen, auf dem Weg von Nirgends nach Nirgends hier gestrandet waren, in einem DP-Lager. Bergmann erzählt die Geschichten dieser Fajinbrots und Szoros´, Holzmanns und Verständigs, Krautbergs und Fränkels – die statt Arzt oder Anwalt geworden zu sein, unter protekzje der Amerikaner nun Weißwäsche verkauften und alle im wahrsten Sinne "displaced persons" waren.
"Wir sind die jüdische Rache – Hitler ist tot, aber wir leben noch!" – David Bermann
Bye bye Germany
Frankfurt am Main, 1946. David Bermann (Moritz Bleibtreu) und seine jüdischen Freunde sind dem Naziregime nur knapp entkommen und träumen jetzt wie viele andere Holocaust-Überlebenden von der Ausreise nach Israel, vor allem aber nach Amerika. Doch wie das nötige Geld in diesen kargen Zeiten dafür aufbringen? Dem eloquenten Geschäftsmann kommt im DP-Lager die zündende Idee: Was brauchen die Deutschen jetzt am meisten? Feinste Wäsche aller Art, hübsch verpackt in unglaubliche Geschichten. Gemeinsam ziehen die sechs begnadeten Entertainer von Haus zu Haus und preisen den deutschen Hausfrauen mit hinreißender Chuzpe ihre Ware an, so dass die geschmeichelten Damen gar keine andere Wahl haben, als bei diesem einmaligen Angebot zuzugreifen. Doch die Freunde sind nicht nur Komiker wider Willen, vielmehr bringt jeder von ihnen seine eigene Geschichte mit, die des Traumas derer, die ihre Familie verloren und selber überlebt haben.
"Wir haben ein schlechtes Gewissen, weil wir hier sind, in diesem Land" - Emil Verständig
Das Geschäft floriert, die schöne, neue Zukunft naht. Doch bald holt Bermann seine Vergangenheit ein: Warum hatte er damals einen zweiten Pass? Und was hatte es mit seinem Besuch auf dem Obersalzberg auf sich? Hat er womöglich mit den Nazis kollaboriert? Die kluge und unnahbar schöne, aber unerbittliche jüdische US-Offizierin Sara Simon (Antje Traue) wurde auf ihn angesetzt, genau das herauszufinden. Ein Jude auf dem Obersalzberg ist wohl kaum vorstellbar … Der Holocaustüberlebende, dessen Familie von den Nazis ermordet wurde, wird zum Verhör geladen und erzählt nun in einzelnen "Sitzungen" seine Geschichte. Die Offizierin lässt bei den Verhören nicht locker, sie nimmt ihm eben diese Geschichte nicht ab und will dem wahren Kern von Bermanns Erinnerungen auf die Spur kommen. Seiner Fabulierkunst begegnet sie mit eiserner Unerbittlichkeit und ohne die Miene zu verziehen. Doch es fällt ihr zunehmend schwerer, sich seinem Charme und seiner Chuzpe zu entziehen…
"Wir haben so viel durchgemacht, dass wir es manchmal nicht mal selbst glauben, was war und was nicht" - David Bermann
Regisseur Sam Garbarski (IRINA PALM, DER TANGO DER RASHEVSKIS) inszeniert die melancholische und berührende Nachkriegskomödie mit viel Chuzpe und jüdischem Humor als bewegende Feier des Lebens.
Zum Cast
Als charmantes Schlitzohr David Bermann brilliert Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle. Special Agent Sara Simon (Antje Traue, "DIE FRAU IN GOLD"), die ihn als möglichen Nazi-Kollaborateur verhört, füllt ihre Rolle mit einem coolen Pokerface glänzend aus. Bermanns Händlerfreunde, die "Teilacher", sind ebenfalls mit einem erstklassigen internationalen Darstellerensemble besetzt: Tim Seyfi (GEGEN DIE WAND), Mark Ivanir (SCHINDLERS LISTE), Anatole Taubman (JAMES BOND 007 – EIN QUANTUM TROST), Hans Löw (TONI ERDMANN), Pál Mácsai und Václav Jakoubek.
Die FBW bewertete "ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND…" mit dem Prädikat "besonders wertvoll":
"Neben der Geschichte von David Bermann und seinen Freunden fasziniert auch der inszenatorische Stil des Films. Wie ein Western wirkt er oft stark stilisiert, arbeitet mit dramatischen Auf- und Abtritten, mit großen Szenen der Konfrontation. Doch dann erzählt er auch wieder ganz sanft und sensibel von kleinen zwischenmenschlichen Momenten innerhalb des überzeugend aufspielenden Ensembles, welches Moritz Bleibtreu als Bermann mit einer beeindruckenden Mischung aus gerissenem Geschäftsmann, immer zu Streichen aufgelegtem Clown und traumatisiertem Kriegsüberlebenden anführt. Der augenzwinkernde Witz ist in der Geschichte, trotz der großen tragischen Tragweite, immer präsent, ob als Galgenhumor oder als letzter Schutz gegen die Verzweiflung. Zusammen mit den sympathischen und vielschichtigen Figuren ist dies eine große Stärke des Drehbuchs. Die Kamera liefert herrliche Bilder voller Filmzitate, Ausstattung und Setting erschaffen ein authentisch wirkendes Nachkriegsmilieu. ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND... ist eine bittersüß unterhaltsame und berührende Geschichte über das jüdische Überleben in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs."
Zum Autor: Michel Bergmann, als Kind jüdischer Eltern in einem Internierungslager in Basel geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Paris, seine Jugend in Frankfurt am Main. Bergmann absolvierte eine Ausbildung bei der Frankfurter Rundschau, wird freier Journalist, später Autor, Regisseur und Produzent, er verfasst Drehbücher für Film und Fernsehen. Bekannt wurde er vor allem mit seiner wundervollen Romantrilogie "Die Teilacher" (2010), "Machloikes" (2011) und "Herr Klee und Herr Feld" (2013). Zahlreiche Filmpreise, Beiträge in diversen Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien. Michel Bergmann lebt in Berlin.
Mehr Infos unter: www.michelbergmann.de
Zum Regisseur: Sam Garbarski geboren 1948 als Sohn jüdischer Eltern, die eigentlich aus Deutschland weg wollten, wuchs in Bayern auf und wanderte mit 22 Jahren nach Belgien aus. Nach mehr als 20 erfolgreichen Jahren an der Spitze seiner eigenen Werbeagentur begann er 1997, selbst Werbespots zu drehen. Von seinen mehr als 50 Spots wurden viele mit Preisen ausgezeichnet. Sein Film IRINA PALM mit Marianne Faithfull als Witwe, die im Rotlicht-Milieu das Geld für die lebensnotwendige Operation ihres Enkel verdient, war 2007 auf der Berlinale für den "Goldenen Bären" nominiert, DER TANGO DER RASHEVSKIS um eine Familie in Frankreich und die Suche nach der Bedeutung ihres jüdischen Erbes war 2004 in Frankreich der Überraschungserfolg des Jahres und gewann beim Jerusalem Film Festival 2004 den Preis der Stadt Jerusalem. Sam Garbarski lebt heute als belgischer Staatsbürger in Brüssel.
Mehr Infos unter: www.imdb.com
AVIVA-Tipp: Danke, Michel Bergmann für die wundervolle Trilogie um die Teilacher, und Sam Garbarski, für die großartige filmische Umsetzung der Buchvorlage! "ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND..." ist ein Film voller seltener Momente, intelligenter Dialoge, Wortwitz und melancholischem Humor. Erzählt wird eine bislang wenig beleuchtete Geschichte, nämlich die über die Rückkehr von Juden, die sich nach 1945 ausgerechnet wieder in Deutschland, dem Land der Täter niederließen. Der bis in die kleinste Nebenrolle großartig besetzte Film gibt den Teilachern ein unvergessliches Gesicht.
ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND...
Deutschland / Luxemburg / Belgien 2017
Regie: Sam Garbarski
Drehbuch: Michel Bergmann, Sam Garbarski
Mit: Moritz Bleibtreu, Antje Traue, Tim Seyfi, Hans Löw, Mark Ivanir, Anatole Taubman, Pál Mácsai, Vaclav Jakoubek u.v.a.
Kamera: Virginie Saint-Martin
Schnitt: Peter R. Adam
Musik: Renaud Garcia-Fons
Kostüm: Nathalie Leborgne
X-Verleih
Länge: 101 Min.
Kinostart: 6. April 2017
Mehr zu "ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND..." unter:
www.facebook.com/eswareinmalindeutschland
ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND… ist eine Produktion von Jani Thiltges, Samsa Film, gemeinsam mit Sébastien Delloye, Entre Chien et Loup und Roshanak Behesht Nedjad, IGC Films in Ko-Produktion mit dem ZDF, Redaktion Gabriele Heuser. Unterstützt wurde der Film von der Mitteldeutschen Medienförderung, dem Medienboard Berlin-Brandenburg, der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, der Filmförderungsanstalt, dem Deutschen Filmförderfonds, Eurimages, Filmfund Luxembourg sowie Bruxellimage.
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Michel Bergmann - Herr Klee und Herr Feld. Der letzte Teil der Teilacher-Trilogie
Der Autor erzählt in seinen im Abstand von einem Jahr erschienen drei Romanen "Die Teilacher", "Machloikes" und "Herr Klee und Herr Feld" die Geschichte jüdischer Existenz im Deutschland nach 1945 aus einer lupenscharfen Mikroperspektive. (2013)
Michel Bergmann-Die Teilacher
Auf der Leipziger Buchmesse wurden sie gefeiert - die Neuerscheinungen des Literatur-Frühjahrs. Und der erste Roman von Michel Bergmann hat es auf Anhieb auf Platz Zwei der mitreißendsten Romane im Frühjahr 2010 geschafft!
"Der Teilacher, als Vertreter des Einzelhandels, ist das kleinste spaltbare Teilchen, das Atom der Kaufmannswelt. Was den Teilacher vom herkömmlichen Handlungsreisenden unterscheidet: Der Teilacher ist Jude. Oder er gibt sich als solcher aus!" (2010)
Quellen: X-Verleih, AVIVA-Berlin