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Beitrag vom 13.08.2013
Hilma af Klint - eine Pionierin der Abstraktion
Judith Wolff
Mit rund 200 Arbeiten wurden in einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, bis 6. Oktober 2013 die wichtigsten abstrakten Werke sowie bisher noch nie ausgestellte Gemälde und Papierarbeiten der schwedischen Künstlerin (1862 - 1944) gezeigt. Der Begleitkatalog ist im Verlag Hatje Cantz erschienen. Testamentarisch ...
... verfügte sie, dass ihre ungegenständlichen Arbeiten erst zwanzig Jahre nach ihrem Tod dem Publikum zugänglich gemacht werden sollen, da sie annahm, dass ihre ZeitgenossInnen noch nicht in der Lage waren, deren volle Bedeutung zu erfassen.
Erst ab Mitte der 1980er Jahre wurden einzelne Stücke ihres Werks – insgesamt über eintausend Gemälde, Skizzen und Aquarelle - ausgestellt. Nach einer vollständigen Sichtung des Nachlasses präsentiert die Ausstellung des Moderna Museet, Stockholm, in Zusammenarbeit mit der Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, dem Museo Picasso, Málaga, und dem Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek, nun in Berlin eine erste umfassende Retrospektive, die den ganzheitlichen Zusammenhang des Werkes aufbereitet.
Unbekanntes über ein künstlerisches Doppelleben
Früher noch als Kandinsky, der als Begründer der abstrakten Malerei gilt, begann Hilma af Klints Arbeit an und mit der Gegenstandslosigkeit. Ihre Bedeutung als "Pionierin der abstrakten Kunst", wie es die Werkschau und der dazu erscheinende Katalog treffend formulieren, konnten bis heute nur einigen KennerInnen erahnen. Die Fortschrittlichkeit Schwedens ermöglichte der jungen Frau zwischen 1882 und 1887 eine künstlerische Ausbildung an der Königliche Akademie der Schönen Künste - zu einer Zeit, in der Frauen in der Kunstszene der Zugang zum künstlerischen Genie weitgehend abgesprochen wurde. Die Akademie stellte ihr auch Atelierräume, im Herzen der Kunstszene Stockholms – Edvard Munch zeigt hier 1984 sein Werk - zur Verfügung. Der Öffentlichkeit präsentierte sich Hilma af Klint zeitlebens nur mit naturalistischen Landschafts- und Porträtbildern. Dagegen beginnt sie ab 1906 ihre Arbeit an abstrakten, symbolisch aufgeladenen Werken, die sie geheimhält und an der sie nur Eingeweihte teilhaben lässt.
"Über meiner Staffelei sah ich das Jupiterzeichen, das kräftig beleuchtet war und sich mehrere Sekunden lang zeigte. Unmittelbar danach begann ich mit der Arbeit."
Die geistige Dimension spielt in Hilma af Klints abstrakten Werken, in denen sie zunächst eine vorwiegend organische, später eine geometrische Formensprache der Symbolik entwickelte, eine entscheidende Rolle. Wie auch Kandinsky und viele weitere KünstlerInnen und Intellektuelle ihrer Generation, interessierte sie sich lebhaft für Theosophie und Anthroposophie. Sie war überzeugt, dass es jenseits der sichtbaren Welt eine geistige Realität gäbe, zu der sie Kontakt und die sie in ihren Bildern zu visualisieren suchte. Die Teilnahme an spiritistischen Séancen und die Auseinandersetzung mit okkulten Lehren waren impulsgebend für ihr künstlerisches Schaffen. Diese geistige Inspiration nährte sich auch aus den Treffen der von af Klint 1896 gegründeten Frauengruppe "De Fem" ("Die Fünf"), bei der auch ihre ehemalige Komillitonin und lebenslange Freundin Anna Cassel Mitglied war. Die Ergebnisse der Séancen hielt die Künstlerin in zahlreichen in Ausstellung und Begleitkatalog dokumentierten Notizbüchern fest, aus denen sich auch ihre Nähe zu Rudolf Steiner, mit dem sie sich mehrfach austauschte und dem sie als Einzigen ihre abstrakte Kunst zur Ausstellung anbot – vergeblich.
Meist in Werkgruppen und Serien arbeitete die von Kindheit an natur- und mathematikbegeisterte Künstlerin mit einer Verwebung von Kunst, Theosophie bzw. Anthroposophie und Naturwissenschaften an einer alternativen wissenschaftlich-künstlerischen Weltanschauung. Der zentrale Werkkomplex "Gemälde zum Tempel", der zwischen 1906 und 1915 entstand, ist der Vereinigung der Gegensätze und Dualismen gewidmet: Von männlichem und weiblichem Prinzip, von Gedanke und Gefühl, von Hell und Dunkel. Ihr Schaffen kann insgesamt als Versuch verstanden werden, ein tieferes Verständnis der Welt und der menschlichen Existenz zu erlangen.
Der ausführliche Begleitkatalog bietet mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Hintergrundtexten und Interviews nicht nur denen, die nicht in den Genuss der Ausstellung im Hamburger Bahnhof kommen konnten, einen fundiert aufbereiteten Überblick und Impressionen zum Leben und Schaffen Hilma af Klints.
Hilma af Klint – Eine Pionierin der Abstraktion
HerausgeberInnen: Iris Müller-Westermann, Jo Widoff
Text: David Lomas, Iris Müller-Westermann, Pascal Rousseau, Helmut Zander
Gestaltung: Patric Leo
Broschur, 296 Seiten, 272 farbige Abbildungen
Verlag: Hatje Cantz, erschienen 2013
ISBN 978-3-7757-3489-9
39,80 Euro
www.hatjecantz.de
Weitere Informationen:
www.smb.museum
www.axsonjohnsonfoundation.org
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Gudrun Schury – "Ich Weltkind. Gabriele Münter. Die Biografie"
Brigitte Salmen – "Marianne von Werefkin. Leben für die Kunst"
(Quelle: Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart)