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Beitrag vom 27.03.2013
Einfach die Wahrheit. Ausstrahlung am 28. März 2013, 20.15 Uhr, ARD
Nele Herzog
Ein etwa achtjähriges Mädchen in Großaufnahme auf einer Videoleinwand. In der Hand zwei Puppen, vor ihr auf einem Holztisch ein kleines Bett und ein Cremetopf. Was der Papa mit ihr gemacht habe...
... ob sie das mal vormachen könne, wird sie gefragt.
Und sie stellt nach, wie die eine größere und männliche Puppe die kleinere, weibliche Puppe auszieht und eincremt. In einem anderen Raum sieht eine sehr offiziell gekleidete Runde Erwachsender ihr dabei zu. Bevor das Mädchen viel expliziter werden muss, springt eine von ihnen auf, stürmt ins Nebenzimmer und lobt ihre Tochter für die mutige Aussage.
Im Fernsehfilm "Einfach die Wahrheit" geht um sexuellen Missbrauch im familiären Umfeld. Die ARD setzt in Tatort-Manier wieder einmal auf gesellschaftskritische Tabuthemen um zur besten Sendezeit am Gründonnerstag ZuschauerInnenaufmerksamkeit zu erregen. Daher wurden zur Pressevorführung des Filmes neben Hauptdarstellerin Katja Flint auch der Kinder- und Jugendtherapeut bei "Kind im Zentrum", Klaus Lemke, und die Leiterin der Geschäftsstelle des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Dr. Manuela Stötzel, geladen. Sie machten deutlich, dass sich sexueller Missbrauch von Kindern in allen sozialen Schichten abspielt und die TäterInnen oft gar nicht per se pädosexuell veranlagt sein müssen, um sich an Kindern zu vergreifen.
Im Film wird diese dramatische Problematik etwas klischeehaft in die deutsche Gesellschaftsmitte verlagert: Der geschiedene, sozial äußerst anerkannte Banker Roman Giesecke (Heiner Lauterbauch) hat ein krankhaftes, einseitig-zärtliches Verhältnis zu Tochter Laura. Bis es schließlich zum Missbrauch kommt.
Jedenfalls scheint es, als hätten sich die Dinge so ereignet, nachdem Gieseckes Exfrau Brigitte (Ursina Lardi) ihn angezeigt und Tochter Laura (Paula Hartmann) ihn beim Spiel mit den Puppen belastet hat. Staatsanwältin Charlotte Reinke (Katja Flint) hat jedoch Probleme mit der Wahrheitsfindung. Die ständig ausfallend werdende Brigitte Giesecke wird durch ihren Exmann beschuldigt, Laura die Aussage antrainiert zu haben. Tatsächlich zieht das Mädchen bei einer abermaligen Befragung ihre Aussage zurück und belastet stattdessen ihre Mutter. Alle Beteiligten verirren sich daraufhin in einem undurchdringlichen Dickicht aus Emotionen. Will die eifersüchtige, von ihrem Mann als "hysterisch" beschimpfte Ex-Frau nur das neue Familienglück des Noch-Ehemannes vereiteln und hat dabei zu drastischen Maßnahmen gegriffen? Oder ist Roman Giesecke ein gerissener Triebtäter, der das Gerichtsverfahren geschickt in diese Richtung manipulieren möchte, um von seinen Untaten abzulenken, sein Gesicht zu wahren? Staatsanwältin Reinke fällt es angesichts der Tatsache, dass Laura sie an ihre verstorbene Tochter erinnert, noch schwerer, objektiv zu bleiben.
Katja Flint spielt eine erfolgreiche Juristin mit emotionalem Ballast. Gerade aus dem Wirtschaftsressort zur Sitte gewechselt, hat sie dort nicht nur mit ihrem ersten Fall, sondern zeitgleich auch in ihrer privaten Beziehung zu Lebensgefährten Rainer (Hannes Jaenicke) zu kämpfen. Der Charakter Hannes Jaenickes wirkt, genau wie die Tatsache, dass Reinke bei jeder Gelegenheit Yoga macht, um ihre Nerven zu beruhigen, etwas notdürftig, farblos und klischeebehaftet. Die instabile Psyche der Staatsanwältin, das Organ der absoluten Objektivität, wird aber geschickt als Stilmittel benutzt, um die besondere Brisanz der Situation zu unterstreichen. Je weiter die Handlung fortschreitet, desto weniger ist sich Charlotte Reinke sicher, ob sie ihren Intuitionen noch vertrauen kann. Als ihr Vorgesetzter sie schließlich von dem Fall abzieht, weil sie Laura zu nahe gekommen sei, findet Reinke ein Indiz dafür, das ihre Theorie zum Fall bestätigt und dem Ausgang der Situation eine mehr oder weniger überraschende Wendung gibt. Obwohl die finale Szene des Gerichtsverfahrens etwas vorhersehbar geraten ist, fallen in ihr vor allem die Leistungen Flints und Hartmanns auf. Eine verzweifelt um Objektivität ringende Staatsanwältin, die in einer 360-Grad-Sequenz ein äußerst persönliches Plädoyer hält und ein kleines Mädchen, das zwischen die Fronten gezwängt und von Schuld und Leid geplagt ist, sehen sich mit der doch gar nicht so einfachen Wahrheit konfrontiert. Und die ZuschauerInnen wissen nicht, wo mit dem Betroffensein anzufangen ist.
Nach den Dreharbeiten entschied Katja Flint sich dazu, die Kampagne "Kein Raum für Missbrauch" des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung zu unterstützen. Im Pressegespräch verwies sie auf Statistiken, die besagten, dass es theoretisch in jedem Kindergarten oder Mietshaus Kinder gibt, die sexuell missbraucht werden:
"Das heißt, überall um uns herum passiert das!"
Weiterhin hoffe sie, der Sendetermin um die Feiertage werde vielleicht als Anlass genutzt, damit Eltern mit ihren Kindern sprechen könnten. Dr. Stötzel wies darauf hin, dass die Kampagne der Bundesregierung "eine unaufgeregte, sachliche Sensibilisierung" für das Thema Missbrauch verfolge. Die ExpertInnen riefen dazu auf, dass Betroffene und Interessierte die Beratungsangebote von vor allem Sorgenhotlines wahrnehmen sollten.
AVIVA-Tipp: "Einfach die Wahrheit" unterscheidet sich in Setting und Besetzung kaum von der durchschnittlichen Abendunterhaltung öffentlich-rechtlicher Sender. Wenn auch etwas klischeehaft, verweist er aber auf einen Aspekt an sexueller Gewalt gegen Kinder, der wohl kaum jemandem vorher bewusst gewesen sein wird: SexualstraftäterInnen sind oft nicht psychisch pädosexuell veranlagt. Letztlich schaffen es vor allem Paula Hartmann, die in der Rolle des Opfers brilliert, und der geschickt gezeichnete Charakter der Staatsanwältin, zu den ZuschauerInnen durchzudringen.
Zur Regisseurin: Vivian Naefe wurde 1953 in Hamburg geboren. Sie schrieb zu Beginn ihrer Berufskarriere Filmkritiken für die Münchner Abendzeitung. Während des Besuchs der Deutschen Journalistenschule in München moderierte sie gleichzeitig ein Kinomagazin. Nach Abschluss ihrer Ausbildung an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen dreht sie 1982 ihren ersten Film "Zuckerhut", erhielt 2001 den Bayerischen Fernsehpreis für eine "Tatort"-Folge und den Adolf-Grimme-Preis für"Einer geht noch".
Ausstrahlung: ARD, 28. März 2013, 20:15 Uhr
Einfach die Wahrheit
Deutschland 2013
Regie: Vivian Naefe
Buch: Hardi Sturm
Drehbuchvorlage: Peter Lohner
DarstellerInnen: Katja Flint, Heiner Lauterbach, Hannes Jaenicke, Ursina Lardi, Paula Hartmann
Weitere Infos:
www.kein-raum-fuer-missbrauch.de
www.kind-im-zentrum.de
www.nummergegenkummer.de