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Beitrag vom 09.05.2012
Carte Blanche. Ein Film von Heidi Specogna und Sonja Heinzmann. Ab 10. Mai 2012 im Kino
Britta Leudolph
Erstmals begleitet ein Filmteam die Aufklärungsarbeit der ErmittlerInnen des Internationalen Strafgerichtshofes Den Haag. Sie bereiten die Anklage gegen den Rebellenführer Bemba vor,...
... dem vorgeworfen wird, seinen Rebellen einen Freibrief für die systematische Vergewaltigung und Tötung von ZivilistInnen in der Zentralafrikanischen Republik erteilt zu haben.
In einem Raum der Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag sitzt er, schaut unbeteiligt und kaut hin und wieder auf seinem Kaugummi herum. Vor ihm sitzen seine Verteidiger, auf der anderen Seite des Raumes seine AnklägerInnen. Es handelt sich um Jean-Pierre Bemba, Politiker, Geschäftsmann und Rebellenführer aus dem Kongo. Seine Familie ist eng verbunden mit dem kleptokratischen Mobutu-Clan, der Kongo jahrzehntelang beherrschte und ausbeutete. Als Mobutu 1997 gestürzt wird, geht Bemba zunächst ins Exil. Doch schon 1998 gründet er eine gegen den neuen Machthaber Kabila gerichtete Rebellenbewegung, das "Mouvement de Libération du Congo" (MLC). Mit dem MLC kontrollierte er letztlich annähernd ein Drittel des Kongo.
Als sich 2002 der Präsident des Nachbarlandes, der Zentralafrikanischen Republik, Patassé an Bemba wendet und ihn um Unterstützung im Kampf gegen einen Putschversuch bittet, schickt Bemba seine Rebellen los und erteilt ihnen eine "Carte Blanche" - einen Freibrief zum Plündern, Töten und Vergewaltigen.
Für die Bevölkerung der Zentralafrikanischen Republik beginnt ein Martyrium. Kinder, Frauen und Männer werden vor ihren Familien mehrfach vergewaltigt, gedemütigt, entmenschlicht. Ganze Gemeinschaften sind für Generationen traumatisiert.
Die Dokumentation "Carte Blanche" begleitet die Anklagevorbereitungen des Internationalen Strafgerichtshofs über einen Zeitraum von vier Jahren. Der Film lässt die Opfer zu Wort kommen, wie etwa Maurice, der weder seine Frau noch seine drei Töchter vor den kongolesischen Rebellen schützen konnte. Die Täter hatten die Holztür des Hauses eingetreten und die Mauern zu den Schlafzimmern eingerissen. Maurice sagt, dass nur Gerechtigkeit ihn von seiner Schuld und seiner Scham befreien könne.
Ein ebenso schweres Schicksal erlitt die zweiundzwanzigjährige Amzine. Ihre fünfjährige Tochter Fane ist ein Kind aus einer Vergewaltigung. Amzine weiß nicht wie sie ihr Kind ernähren oder es in die Schule schicken soll. Kein Mann würde sie je in ihr Haus aufnehmen, für ihr Dorf sei sie eine Schande. Der Blick in die Augen dieser Menschen lässt den Terror erkennen, dem sie ausgesetzt waren.
"Carte Blanche" zeigt die Arbeit des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs und seiner vielen MitarbeiterInnen - StaatsanwältInnen, ErmittlerInnen und ForensikerInnen - die in mühevoller Kleinarbeit stichhaltige Beweise für Bembas Schuld und Verantwortung für die Greueltaten seiner Rebellenarmee sammeln. Immer wieder zeigt sich, wie schwer es ist, einem Befehlshaber derartige Taten nachzuweisen, zudem ist die Vorbereitung der Anklageschrift eine große psychische Belastung für alle Beteiligten.
Nebenbei erhält die Zuschauerin auch Einblicke in das Leben einzelner Verfahrensbeteiligter, wie Gloria Atiba Davies, einer Expertin für ZeugInnenbefragung. Sie war selbst viele Jahre Staatsanwältin in Sierra Leone, musste aber mit ihren Kindern fliehen, als ein von ihr angeklagter Armeeoffizier während des Prozesses aus dem Gefängnis befreit wurde und die Macht zurück eroberte. Vor der Kamera erzählt sie, wie sie mit ZeugInnen umgeht und wie sie die Gespräche verarbeitet.
Die Dokumentatiin "Carte Blanche" ist Gewinner des 3-Sat-Dokumentarfilmpreises Duisburger Filmwoche 2011.
Zur Regisseurin: Heidi Specogna wurde 1959 in der Schweiz geboren, studierte von 1982 bis 1988 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) in Berlin. Seit 2003 unterrichtet sie Dokumentarfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. 2007 gewann ihr Film "Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez" den Schweizer Filmpreis für den besten Dokumentarfilm.
Weitere Infos unter: www.heidispecogna.de
AVIVA-Tipp: Die Dokumentation von Heidi Specogna erzählt mit nüchternem Blick die Geschichte eines großen Verbrechens und dessen Aufklärung. Sie gibt den Opfern und ihren Geschichten Raum und erklärt, warum es oft Jahre dauert, bis genügend Beweise gesammelt sind, um die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. "Carte Blanche" liefert authentische Einblicke in die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, lässt StaatsanwältInnen, ErmittlerInnen und auch den diensthabenden Forensiker zu Wort kommen, lässt sie erklären, was sie motoviert und wie sie diese Arbeit aushalten können. "Carte Blanche" ist in dieser Form eine einzigartige Dokumentation, da erstmals ein Filmteam Zugang zu der Arbeit des Internationalen Gerichtshofes erlangen konnte.
Carte Blanche
Schweiz 2011
Ein Film von Heidi Specogna
Co-Autorin: Sonja Heinzmann
Produzent: Peter Spoerri
Laufzeit: 91 Minuten
Farbe, 35 mm, 1:1,85 Dolby Stereo
Kinostart: 10. Mai 2012
www.carteblanche-thefilm.com