Malina. Ingeborg Bachmanns Roman, verfilmt von Werner Schroeter, erstmals auf DVD und Blu-ray - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 17.11.2011


Malina. Ingeborg Bachmanns Roman, verfilmt von Werner Schroeter, erstmals auf DVD und Blu-ray
Lisa Scheibner

Eine Künstlerin und ihre große Leidenschaft. Ein zweites Ich, das an Macht gewinnt. Ein mysteriöser Mord, der keine Spuren hinterlässt. Bachmanns vielstimmiger Roman in der...




...beeindruckenden Verfilmung mit Isabelle Huppert.

"Ich habe in Ivan gelebt und ich sterbe in Malina." Das Ich, die Protagonistin in Ingeborg Bachmanns Roman "Malina" führt eine seltsame Dreiecksbeziehung: sie lebt mit einem Gefährten namens Malina in Wien und sie scheint eine bekannte Schriftstellerin zu sein, die plötzlich und unaufhaltsam dem jüngeren Ivan verfällt.
Von neu erwachter Hoffnung durchströmt, plant Ich ein besonderes Werk, ein utopisches Buch, das die Kraft hat, die Welt zu retten. Denn diese scheint nur oberflächlich zu funktionieren, wobei sie in Wahrheit an vielerlei Erkrankungen leidet, die auch in Ichs Verletzungen aus der Vergangenheit ihren Ausdruck finden. Doch Ivan versteht nichts von Ichs allumfassender Passion, er ist überfordert und entzieht sich ihr.
Ichs Traumata kehren erstarkt zurück, und während sie von Alpträumen geplagt wird, entwickelt Malina eine neue, bedrohliche Qualität: er scheint ein Teil ihrer selbst zu sein, der die emotionalen Abgründe beseitigen und die Macht übernehmen will. Dafür muss jedoch eine hoher Preis gezahlt werden: das Ich beginnt, sich selbst aufzulösen, der letzte Satz des Romans lautet: "Es war Mord."

"Ich bin du. Und du bist ich. Als müsste mir immer ein anderer versichern, dass ich noch da bin."

"Malina" ist Ingeborg Bachmanns einziger zu Lebzeiten erschienener Roman, ein Teil ihres geplanten "Todesarten"-Projektes, von dem erst nach Bachmanns Tod die unvollendeten Teile "Requiem für Fanny Goldmann" und "Der Fall Franza" publiziert wurden. Die Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel beschreibt das umfangreiche Projekt Bachmanns als "rhizomartiges Geflecht", in dem die verschiedenen Prosatexte in enger Verbindung zueinander stehen, sich immer wieder überschneiden und gegenseitig beeinflussen.

Ingeborg Bachmann selbst bezeichnete "Malina" einmal als eine "geistige, imaginäre Autobiographie", was oft missinterpretiert wurde. Der durchkomponierte Roman handelt mitnichten lediglich von der Person Bachmann, sondern ist ein Geflecht aus Bedeutungen, Geschichten und Einflüssen, ein hochmusikalisches Verwirrspiel der widerstreitenden Identitäten und traumatischen Vergangenheiten im Kampf mit der Hoffnung und Utopie. Mit gutem Grund galt "Malina" lange als unverfilmbar.

Werner Schroeter gelang 1990 mit einem Drehbuch von Elfriede Jelinek dennoch ein filmisches Meisterwerk nach Bachmanns Roman. Schroeter interessierte sich für die Selbstauflösung der Hauptfigur Ich und die starken Bilder Bachmanns gewinnen bei ihm eine verstörend real-surreale Qualität: die herumrollenden Autos, die immer aus dem Nichts hervorschießen, sobald das Ich eine Straße betritt. Das Feuer, das erst tröstendes Licht ist und mehr und mehr ein alles verschlingendes Brennen wird. Die Alpträume, in denen Ich gegen ihre eigene Lähmung ankämpft und nicht zuletzt Ichs mysteriöse Beziehung zu Malina, ihrem anderen, männlichen Ich, der zwar Stabilität bietet, sich aber immer mehr zu einer Bedrohung für sie entwickelt.
Elfriede Jelinek zufolge behandelt "Malina" die Schwierigkeiten der weiblichen Kunstproduktion, nämlich "die Unmöglichkeit, Sexualität und Kreativität zugleich zu leben..."

Werner Schroeters "Malina" lebt von den hervorragenden DarstellerInnen, allen voran Isabelle Huppert als Ich, deren enigmatisches und zugleich verletzliches Gesicht die Figur lebendig werden lässt.
Der Film konzentriert sich auf die "Ausschließlichkeit der Liebe" (Elfriede Jelinek) Ichs, und ihren zunehmenden inneren Verfall. Es gelingt Schroeter und seinen DarstellerInnen, die inneren Zustände der Hauptfigur ins Außen zu übertragen: die merkwürdigen Menschen um sie herum, die emotionale Qualität der Räume, wie etwa der "Ungargasse", die für Ich zu einem heiligen Land wird, in dem sie mit Ivan verbunden ist.
Mathieu Carrière als Malina verkörpert wunderbar dessen freundliche Neutralität, die sich jedoch nie auf ein emotionales Terrain begibt. Von einem unauffälligen Beschützer mutiert er unmerklich zu einer gefährlichen Figur. Ivan, gespielt von Can Togay, ist ein gewöhnlicher Mann, der sich um sein eigenes Leben kümmert, seine Leidenschaft auf einer ganz anderen Ebene lebt als Ich und sie unmöglich begreifen kann.

"Wien brennt."

Herrlich sind auch die Räume und Effekte des Films: Ein Menschenchor mit Geiger scheint die Protagonistin zu verfolgen und vollführt absurde Tätigkeiten. Die riesige, fast leere Wohnung von Ich und Malina fängt Feuer und beginnt an immer mehr Stellen zu brennen. Die Schnitte hetzen Ich durch Wien und in der Ungargasse hin und her und bestärken das Gefühl, dass die Außenwelt eine Gefahr darstellt. "Malina" ist ein Gesamtkunstwerk aller Beteiligten, was sich auch in den zahlreichen Auszeichnungen zeigt, die der Film erhielt: er gewann Preise für Regie, Darstellerische Leistung und Schnitt (für Schroeter, Huppert und Cutterin Juliane Lorenz, Deutscher Filmpreis 1991), sowie für Kamera (Elfi Mikesch, 1992) und Produktion (Thomas und Steffen Kuchenreuther, 1990).

Dennoch stellt sich die Frage, bei Schroeters Film wie auch in der "Malina"-Rezeption insgesamt, warum es die Nervosität und Fahrigkeit der Hauptfigur ist, die im Vordergrund steht. Eine Frau zu zeigen, die an ihrer eigenen Empfindsamkeit zugrunde geht, ist zwar nicht falsch, aber wo bleibt die Utopie der Figur? Bachmanns Roman ist immer wieder ironisch und hat viele sehr humorvolle Stellen, in denen das Tragikkomische von Ichs Situation dargestellt wird. Wenn diese Hinweise übersehen werden, bleibt nur eine verwirrte oder gar verrückte Frau, die selbst der Auslöser ihres eigenen Unglückes ist. Dabei ist der Mord, oder gar sind die Morde, denn Ich hat schon einige überlebt, von der Gesellschaft begangen worden. Es war eine Ansammlung schleichender Verletzungen, die Ich zermürbt haben und ihr eine klare Identität verunmöglichen. Auch durch das Dialogische geht Ichs Perspektive, die sehr genau beschreibt, was in ihrer Welt vorgeht, zum Teil verloren. Aus Bachmanns Protagonistin "Ich" wird "Die Frau", und diese gerät immer wieder in eine Position, in der sie das Objekt einer Betrachtung ist, denn ohne Bachmanns Text zu kennen, kann mensch kaum erraten, warum sie sich so merkwürdig verhält.

Zur Autorin: Ingeborg Bachmann wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt (Österreich) geboren. Berühmt wurde sie 1953 mit dem Gedichtband "Die gestundete Zeit". In den folgenden Jahren bis zu ihrem Tod am 17. Oktober 1973 erschien eine Vielzahl weiterer Gedichte, Hörspiele, Erzählungen und Romane. Für ihr Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet, darunter 1953 mit dem Preis der Gruppe 47, 1964 mit dem Georg-Büchner-Preis, 1968 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur. Sie ist Namensgeberin des Ingeborg-Bachmann-Preises, einer der wichtigsten Literaturpreise, der seit 1977 beim Klagenfurter Literaturwettbewerb verliehen wird. Mehr Infos: www.suhrkamp.de

Zum Filmteam: Werner Schroeter (1945 - 2010) war ein deutscher Film-, Theater- und Opernregisseur, die Liebe für diese verschiedenen Medien wird auch in Malina deutlich. Er drehte über 40 Filme und gewann zahlreiche Preise. Elfriede Jelinek, geboren 1946, ist eine österreichische Schriftstellerin und Dramatikerin. Für ihre provokanten Texte wird sie sowohl heftig verehrt wie angegriffen. 2004 erhielt sie den Literaturnobelpreis. Auf ihrer Webseite kann ihr literarisches und politisches Treiben aktuell verfolgt werden. www.elfriedejelinek.com
Isabelle Huppert, geboren 1953, ist eine Ikone des französischen Kinos. Seit über 40 Jahren ist sie als Film- und Theaterschauspielerin tätig und wurde vielfach für ihr Schaffen ausgezeichnet, zuletzt 2011 mit dem Ehrenleopard für ihr Lebenswerk.

AVIVA-Tipp: Schroeters Version von Ingeborg Bachmanns "Malina" ist ein herausragender Film. Isabelle Huppert verkörpert die Protagonistin mit hinreißender Leidenschaft und Verletzlichkeit, die Schnitte und opulenten wie absurden Elemente des Films versetzen die Zuschauerin in einen Sog, wobei die Handlung wie im Roman oft rätselhaft bleibt. Trotz der inhaltlichen Beschränkung auf einige Handlungsstränge der Vorlage ein MeisterInnenwerk, das die Gefahr der rückhaltlosen Liebe und die Schwierigkeiten weiblicher Kunstproduktion verhandelt. "Malina" wurde zu Recht vielfach prämiert und ist auch 22 Jahre nach seinem Erscheinen noch überaus sehenswert.

Malina
Deutschland/Österreich, 1990
Lauflänge: 121 Min. + 20 Minuten Bonusmaterial
Bildformat: 1,78:1 (16:9)
Tonformat: Dolby Digital 1.0
Sprachen: Französisch und Deutsch, Untertitel auf Deutsch oder Englisch und ausblendbar.
Bonusmaterial: Neuer- und Original-Kinotrailer sowie ein Interview mit Elfriede Jelinek
Regie: Werner Schroeter
Drehbuch: Elfriede Jelinek, nach dem Roman "Malina" von Ingeborg Bachmann
Kamera: Elfi Mikesch
Schnitt: Juliane Lorenz
Musik: Giacomo Manzoni
Produktion: Thomas und Steffen Kuchenreuther
Architektur und Ausstattung: Herta Pischinger-Hareiter
Mit: Isabelle Huppert, Mathieu Carrière, Can Togay und vielen anderen
Deutsche Synchronstimme für Isabelle Huppert: Lisa Kreuzer
Vertrieb: Concorde Home Entertainment
Kauf-Release: ab 10. November 2011 auf DVD/Blu-ray
www.concorde-home.de


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Beitrag vom 17.11.2011

AVIVA-Redaktion