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Beitrag vom 17.11.2011
Halt auf freier Strecke. Kinostart 17. November 2011
Nina Breher
Wie leben, wenn der Tod mitten in das eigene Leben eingreift? Ein kluger Film von Andreas Dresen beleuchtet den Verlauf einer tödlichen Krankheit. Ohne wegzusehen und ohne Pathos regieren zu lassen.
"Ich bin Frank. Ich habe einen Gehirntumor. Wie sage ich es meinen Kindern?" Frank Lange spricht mit seinem iPhone. Das Handy wiederholt seine Worte mit einer verzerrten, albernen Stimme. Frank hat Krebs – inoperabel. Die Ungläubigkeit über die Diagnose wird der Körper schon bald eingeholt haben. Weder die Selbstheilungs-CDs seiner Mutter noch die Psychologinnen, die er gemeinsam mit seiner Frau aufsucht können etwas dagegen ausrichten. Er wird sterben, das weiß er so gut wie seine Angehörigen. Wie organisiert sich eine Familie, wenn der Tod so gewiss und durch die rasche Verschlechterung des Gesundheitszustandes so spürbar ist?
Von Beginn an ist der Tod Gewissheit und die Herausforderung ist, damit zu leben. Minutiös schildert der Film den Krankheitsverlauf von Frank und ebenso den Versuch seiner Frau Simone (Steffi Kühnert) und seiner Kinder Lilli (Talisa Lilli Lemke) und Mika (Mika Nilson Seidel), damit umzugehen. Dabei bewegt sich "Halt auf freier Strecke" gekonnt in einem Grenzbereich zwischen Spielfilm und Dokumentation. Ungebremst realistisch fokussiert die Kamera genau die Bruchstellen und die Szenen, die am meisten weh tun, zwingt uns, Momente auszuhalten und widersetzt sich doch aller Melodramatik.
Der Film öffnet die Darstellung der tödlichen Krankheit auch für Themen, die ansonsten höchstens am Rande behandelt werden. Die Schwierigkeiten der einzelnen Familienmitglieder kommen nicht zu kurz und auch Humor hat seinen Platz – der Gehirntumor von Frank schafft es sogar in die Harald Schmidt-Show. Tragik und Galgenhumor geben sich in dieser nicht alltäglichen Situation, die doch zunehmends zum Alltag wird, die Hand.
Von der Diagnose an bis zum Sterbebett von Frank begleiten die ZuschauerInnen die Familie Lange auf dem Weg, dessen Verlauf immer die Krankheit bestimmt. Der Zustand von Frank verschlechtert sich zunehmends – erst ist es gelegentliche Vergesslichkeit, dann das Laufen, das schwer fällt, hinzu kommen Krampfanfälle und am Ende ist selbst Sprechen kaum mehr möglich. Als die Familie sich um das Krankenbett herum versammelt, um ein letztes Weihnachten zu feiern, versucht Frank, das Wort zu ergreifen: "Das Leben...das ist..." Was das Leben ist, bleibt unausgesprochen oder sogar unbegreiflich. Es gibt keinen Raum für Pathos oder für große Abschiedsworte, die filmisch zwar wirkungsvoll, von der Realität aber weit entfernt wären.
AVIVA-Tipp: "Halt auf freier Strecke" kommt er der Realität näher als die meisten Dramen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Vorsichtig und doch brutal tastet der Film das Leben mit dem Tod im Kopf ab – weniger traurig als einfach nur schmerzhaft und vor allem eines: echt.
Halt auf freier Strecke
Deutschland 2011
Regie: Andreas Dresen
DarstellerInnen: Milan Peschel, Steffi Kühnert, Talisa Lilli Lemke, Mika Nilson Seidel, Ursula Werner, Otto Mellies, Christine Schorn, Inka Friedrich, Thorsten Merten, Marie Rosa Tietjen, Bernhard Schütz
Verleih: Pandora Film
Lauflänge: 110 Minuten
Kinostart: 17. November 2011
www.halt-auf-freier-strecke.de
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