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Beitrag vom 25.10.2007
Odette Toulemonde
Tatjana Zilg
Eine Verkäuferin findet in den Büchern eines Bestseller-Autors ein Lebenselixier, das sie die kleinen Schönheiten im grauen Alltag erkennen und jeden Tag mit ansteckend guter Laune begehen lässt.
Die Sehnsucht nach dem Glück und ein weites Spektrum an intensiven Emotionen spiegeln sich in den Büchern des französischen Schriftstellers Eric-Emmanuel Schmitt. Seine Bücher "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran", "Die Schule der Egoisten" und "Mein Leben" wurden zu immer wieder gerne gelesenen und zitierten Bestsellern.
Jetzt wagte er den Wechsel der künstlerischen Werkzeuge: Nicht für den puren Lesegenuss ersann er die Geschichte von der bewundernswert charmanten Odette Toulemonde (Catherine Frot). Die visuelle Inszenierung auf der Leinwand war diesmal sein Ziel. Das Reich der Phantasie ist dabei wichtiger Bestandteil. Zum einen steht seine Heldin mit beiden Beinen fest auf den Boden, wenn sie morgens zu ihrer Arbeit in einem Kaufhaus geht und den KundInnen freundlich und hilfsbereit begegnet. Nach dem Feierabend näht sie als Zuverdienst Federn auf Bühnenkostüme und sorgt für ihre beiden, sehr unterschiedlichen Kinder, die zwar schon erwachsen sind, aber noch bei ihr wohnen.
Zum anderen kann sie hoch in den Himmel entschweben, wenn sie an die Romane von ihrem Lieblingsautor Balthazar Balsan (Albert Dupontel) denkt. Ihre ganz persönliche Lebensweisheit hat sie aus seinen Worten herausgefiltert. Sie ist fest davon überzeugt, dass ihr Schwarm aufzeigen will, wie auch im tristesten Alltag Lebensfreude und Glück gefunden werden kann. Tatsächlich begegnet sie ihrer Umgebung mit einer fröhlichen Neugierde und überschwänglichen Optimismus.
Eines Tages nimmt sie all ihren Mut zusammen und fährt mit einem Liebesbrief in der Tasche zu einer Signierstunde von Balthazar Balsan. Vor Ort versagt ihr die Stimme. Der Autor ist nicht besonders an ihr interessiert und schenkt ihr nur wenig Aufmerksamkeit. Etwas enttäuscht fährt Odette nach Hause, aber ihrer positiven Lebenseinstellung schadet dieses Ereignis nicht.
Dem Bestseller-Autor hingegen geht es schlechter als es den äußerlichen Anschein hat. Erreicht hat er alles, wovon er je geträumt hat. Er bewohnt mit seiner sehr attraktiven Ehefrau und seinen Sohn ein schönes Haus. Vom Schreiben kann er nicht nur leben, sondern er ist davon überdurchschnittlich reich geworden. Aber die Fassade trügt: In seinem Inneren zweifelt er an sich selbst, die Ehe ist von Distanz gekennzeichnet.
Da verwundert es nicht, dass seine Welt zusammenbricht, als sein neuster Roman von einer Kritiker-Koryphäe verrissen wird.
Wenig später kann Odette ihren Augen nicht trauen, als es an ihrer Wohnungstür klingelt. Niemand anderes als ihr großes Idol steht auf ihrer Fußmatte und bittet sie, ein paar Tage bei ihr wohnen zu dürfen.
Die Teilzeit-Tagträumerin muss sich nun mit der Realität auseinandersetzen. Ihr Schwarm sitzt in Fleisch und Blut auf ihrer Couch, aber er wirkt depressiv und ist manchmal kaum ansprechbar. Langsam nähern sich die beiden gegensätzlichen Menschen aneinander an und erkennen, dass sie viel voneinander lernen können. Doch zuvor geht Balthazar durch seine eigene ganz persönliche Hölle. Manches, was Odette so liebt, erscheint ihm kitschig und banal. In diesen Momenten sieht er ihre Bewunderung als Kränkung.
Odette hingegen beginnt zu verstehen, warum sie einen Menschen, der eigentlich so fern ist, so extrem wichtig für ihr Leben werden ließ.
Dem Regisseur und Autor gelang es, die Wandlung und Annäherung dieser beiden konträren Charaktere unterhaltsam, feinsinnig und alltagsphilosophisch auf Zelluoid zu bannen. Mit Catherine Frot ("Das Mädchen, das die Seiten umblättert"), die in Frankreich schon seit längerem eine sehr beliebte Schauspielerin ist, fand er die perfekte Besetzung für die Rolle der Odette, die auch in den surrealen Momenten, wo sie hoch in die Luft entschwebt, in der Badewanne plötzlich von einem Dschungel umhüllt wird oder mit einem Schneebesen in der Hand singend und tanzend durch die Wohnung wirbelt, glaubhaft und überzeugend bleibt.
AVIVA-Tipp: Dem Leben Freude einhauchen, gerade dann, wenn es scheint, dass es trostlos und grau ist: Das ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Wer hier gerne amüsanten und anregenden Nachhilfeunterricht erhalten will, sollte sich Madame Jedermann (= französisch Toulemonde) nicht entgehen lassen.
Odette Toulemonde
Frankreich / Belgien 2007, 100 Minuten
Regie: Eric-Emmanuel Schmitt
Verleih: Senator
Filmstart: 25.10.2007
HauptdarstellerInnen: Catherine Frot, Albert Dupontel, Jacques Weber, Fabrice Murgia, Nina Drecq
Der Film im Web: www.odette.senator.de/