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Beitrag vom 10.10.2007
Verfolgt – Ab 22. Oktober 2007 auf DVD
Jana Muschick
Elsa und Jan zelebrieren eine Leidenschaft, die nicht alltäglich ist. Regisseurin Angelina Maccarone überrascht mit einem tiefsinnigen Blick auf den Sadomasochismus – eine turbulente Sehnsucht.
Elsa Seifert (Maren Kroymann) arbeitet seit längerer Zeit als engagierte Bewährungshelferin. Sie versucht, jungen StraftäterInnen den Weg in die Legalität und Unabhängigkeit zu erleichtern. Auch in ihrem Privatleben läuft alles nach Plan – bis ihre Tochter Daniela auszieht. Elsa lebt nun allein mit ihrem Mann Raimar (Markus Völlenklee) – die tägliche Routine behagt ihr nicht. Elsa beginnt in ihrem Privatleben Fragen zu stellen und Dinge anders zu sehen.
Dass sich ihr Leben mit Jan (Kostja Ullmann), einem jungen Straftäter, der aus dem Jugendgefängnis entlassen wurde, völlig verändern würde, hat sie noch nicht gedacht, als sie ihn auf seinem ersten Weg aus dem Gefängnis begleitet.
Jan ist sehr angetan von der dominanten Stärke seiner Aufseherin. Als er auf einer Brücke balanciert, sagt sie: "Komm da sofort runter". Er springt vor ihre Füße, kommt ganz nahe an ihr Gesicht heran und fragt: "Ich habe getan, was Sie von mir wollten. Und jetzt?"
Die 52-jährige Elsa Seifert lässt sich auf ein Verhältnis mit dem hübschen 16-jährigen Teenager ein. Doch die beiden vertreiben sich die Zeit nicht nur mit "normalem" Sex sondern mit einer Form des Sadomasochismus. Elsa befiehlt und Jan gehorcht. Es ist kein Sex in Lack und Leder. Vielmehr erleben die beiden in der Auslebung ihrer Gefühle eine neue Welt. Sie betreten einen fremden Kosmos und inszenieren dort ihre Sehnsüchte. Als die Nahestehenden der zwei ungleichen PartnerInnen davon erfahren, werden auch sie vor ein bisher unbesprochenes Tabu gestellt. Der Mann von Elsa und auch die Freunde von Jan können mit der neuen Situation nicht umgehen.
Mit dem Film "Verfolgt" wollte Regisseurin Angelina Maccarone ("Fremde Haut") ein eindringliches Bild zweier Menschen zeichnen, die sich einer tiefen Sehnsucht, der Angst vor dem Leben und auch ihrer persönlichen Begierden stellen. Sie selbst sagt über ihre Bestimmung, den Film in Schwarz-Weiß zu machen: Die Entscheidung, den Film in schwarz/weiß zu drehen eröffnet andere Wege der Sinnlichkeit. Statt voyeuristischer Fleischbeschau gibt es eine Überhöhung dessen, was an Körperlichkeit passiert, und eine Konzentration auf die beiden Hauptfiguren.
Durch das Spiel von Licht und Schatten ohne jegliches Beiwerk von Farbe wirkt der Film schlichter und teilweise auch antiquierter. Es scheint, als ob ein tabuisiertes Thema, das schon seit Ewigkeiten praktiziert aber auch ignoriert wird, neu bearbeitet werden muss. Sadomasochismus ist eine Form der sexuellen Praktiken, in der sich nicht jede/r auskennt. Doch warum soll neben all den unverhüllten Sexszenen, die sich uns täglich im TV oder im Kino bieten, nicht auch das Thema Sadomasochismus diskutiert und verbildlicht werden?
Anfangs wirkt der Film anstrengend. Die Figuren reden wenig und scheinen überarbeitet, belastet von dem täglichen Trott und der grauen Welt. Doch mit der Zeit kommt Leben in die Spielenden – sie bewegen sich um einander herum wie in einem Bolero und finden nur durch Schläge zu einander. Die Filmschnitte springen immer schneller. Die Schläge von Elsa, die sie ihrem Jan auf den Hintern verpasst, wirken zärtlich, fast ungewollt doch voller Begierde.
Die Schläge, die Jan später von seinen FreundInnen einstecken muss, haben nichts mit dieser Sehnsucht zu tun und sind eher aggressive Zeichen des Hasses gegen das Andere. Angelina Maccarone schaffte es gekonnt, die Grenzen zwischen Liebe und Schmerz, Hingabe und Abhängigkeit verschwimmen zu lassen.
Der Film "Verfolgt" wurde von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden mit dem Prädikat "besonders wertvoll" ausgezeichnet. Eine der Begründungen war: Dem wagemutigen Drehbuch von Susanne Billig und der souveränen Inszenierungskunst Angelina Maccarones gelingt es meisterhaft, eine unglaublich facettenreiche, aber niemals überfrachtete Ausgangssituation zu schaffen und diese den ganzen überaus atmosphärisch dichten Film hindurch ständig weiter anzureichern.
Zur Hauptdarstellerin: Maren Kroymann wuchs in Tübingen auf. Nach ihrem Studium spielte sie bereits am Theater und kam nach Auslandsaufenthalten in den USA und Paris 1971 nach Berlin. Ende 1993 erhielt die renommierte Schauspielerin eine eigene Comedy-Show in der ARD mit dem Namen: "Nachtschwester Kroymann". Diese Show wurde abgesetzt, als die verhandelten Themen den zuständigen RedakteurInnen zu brisant wurden. Im selben Jahr brachte Kroymann ihr lesbisches Coming out in der Zeitschrift Stern. 2000 erhielt sie für ihr Werk als Kabarettistin und Schauspielerin und ganz besonders für ihr mutiges und wegweisendes feministisches Kabarett den Berliner Frauenpreis.
"Verfolgt" wurde 2006 der Goldenen Leopard im Wettbewerb Cinéastes du présent des 59. Filmfestivals von Locarno verliehen.
AVIVA-Tipp: "Verfolgt" ist auf mehreren Ebenen lesbar – als Geschichte der Grenzüberschreitung des Erwachsenwerdens, als Suche nach dem eigenen Ich oder als Parabel auf eine eingerostete Gesellschaft. Durch die exzellente Kameraführung von Bernd Meiners wirkt der Film nicht voyeuristisch – die ZuschauerInnen sind involviert, ohne sich einer Fleischshow hinzugeben. Ein einfühlsamer Film, der mit einem ungewöhnlichen Thema konfrontiert, um es tief und emotional aufzuarbeiten. "Verfolgt" sollte frau gesehen haben.
Verfolgt
Originaltitel: Hounded
Deutschland 2006
87 Minuten
Regisseurin: Angelina Maccarone
HauptdarstellerInnen: Maren Kroymann, Kostja Ullmann
DVD-Erscheinungstermin: 22. Oktober 2007
FSK: ab 16 Jahren freigegeben
Studio: MMM Film GmbH
Technische Angaben:
Sprache: Deutsch, Dolby 5.1
Untertitel: Englisch
Ländercode: 2 PAL
Extras: Originaltrailer, Kapitelwahl
Typ: DVD 5
Format: Anamorph, Dolby, PAL, Surround Sound, Widescreen
Bildseitenformat: 16:9
Anzahl Disks: 1
ASIN: B000W1TNS2
EAN Code: 42 800000129 99
Preis: 19,99 Euro
Weitere Infos: www.verfolgt-der-film.de