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Beitrag vom 27.11.2007
Ausgerechnet Bulgarien - Angelika Schrobsdorff und ihre Familie
Silvy Pommerenke
"Jeder Mensch ist eine ganze Welt", sagt Angelika Schrobsdorff, womit sie unbedingt Recht hat. Nur sind diese einzelnen Welten eben unterschiedlich groß, und die von Schrobsdorff anscheinend...
...besonders groß.
Im wahrsten Sinne des Wortes, denn es gibt wohl kaum ein Land auf dieser Erde, das sie nicht bereist hat, in manch einem hat sie schon gelebt. Zu dieser geographischen Lebenslandkarte gesellt sich im Dezember ihr stolzes Alter von achtzig Jahren, in denen sich viele Menschen, Erinnerungen und Begebenheiten angesammelt haben. Seit über vierzig Jahren lässt sie die Öffentlichkeit an ihrem Leben teilhaben und schreibt einen Bestseller (u.a. "Du bist nicht so wie andre Mütter") nach dem anderen. Kaum eine versteht es so fesselnd Autobiographisches niederzuschreiben, kaum jemand hat so eine bewegte Lebensgeschichte, der man nur all zu gerne über die Lettern nachgeht.
Nun hat sich der bulgarische Dokumentarfilmer Christo Bakalski der Welt Angelika Schrobsdorffs angenommen und dafür einen ganz bestimmten Ort herausgesucht: Ausgerechnet Bulgarien. Dieses Land, das in der Vergangenheit im Leben der Familie Schrobsdorff eine besondere Rolle gespielt hat und immer noch spielt, wie der Regisseur in seinen stillen und distanzvollen Bildern aufzeigt.
1939: Angelikas Mutter, deutsche Jüdin, muss vor den Nazis fliehen und emigriert dank einer Scheinheirat mit ihren beiden Kindern nach Bulgarien. Bettina, die ältere Tochter, wird dort später als "Faschistin" in ein Arbeitslager interniert, Angelika glücklicherweise von ihrer Mutter so gut beschützt, dass ihr nicht das gleiche Schicksal geschieht. Während die ältere Schwester nach Kriegsende in dem kommunistischen Regime bleibt, wird die jüngere zu einer ruhelosen Weltenbummlerin und Erfolgsautorin.
Der Dokumentarfilm stellt zwar Angelika Schrobsdorff in den Mittelpunkt, zeigt aber, dass niemand – wie viel Erfolg er oder sie auch haben mag – unabhängig von seiner Familie und anderen Menschen ist. Einen besonderen Bezug hat "Angeli" (wie sie liebevoll von ihren Verwandten genannt wird) vor allem zu ihrer Nichte Evelina, die mittlerweile auch schon Ende fünfzig ist und als erfolgreiche Ärztin in Bulgarien arbeitet. Die beiden Frauen lösen Stück für Stück die einzelnen Puzzlestücke der Vergangenheit heraus und werden dabei vom Neffen, dem Schwager, dem Enkel und – wenn auch nur für eine kurze Sequenz – von der Schwester Bettina unterstützt.
Jede Familie hat ihre Geheimnisse. Die Schrobsdorffs ungleich mehr, da der Holocaust, Emigration, Flucht und Exil unweigerlich zu ihrer Geschichte dazu gehören, Narben hinterlassen und die Menschen geschliffen hat. Dass diese Geheimnisse in ein behutsames Licht getaucht werden, dafür hat Christo Bakalski einen langen Atem bewiesen. Fünf Jahre haben die Vorarbeiten für diesen Film verschlungen. Nun ist das Werk vollendet, und zu guter Letzt schließt sich auch für Angelika Schrobsdorff ein Kreis: Sie ist zurückgekehrt nach Deutschland, dem Land, aus dem sie vor fast siebzig Jahren geflohen ist. Sie sagt, es ließe sich hier bequemer als in Jerusalem sterben. Hoffen wir, dass sie diesen Beweis erst in vielen, vielen Jahren erbringen – oder widerlegen - wird.
Mehr Infos gibt`s auf www.ausgerechnet-bulgarien.com
Weitersehen: Ein Leben lang Koffer - Erinnerungen von Angelika Schrobsdorff, Regie Irmgard von zur Mühlen, Deutschland 1997
AVIVA-Tipp: Der bulgarische Filmemacher Christo Bakalski hat die schwierigen Familienverhältnisse Angelika Schrobsdorffs einfühlsam und sensibel eingefangen. Unaufdringlich nimmt er die ZuschauerInnen mit auf diese cineastische Vergangenheitsbewältigung der Bestsellerautorin und ihrer bulgarischen Familie, und zeigt dabei die Zerrissenheit der Einzelnen, die aber eines miteinander verbindet: "Jeder Mensch ist eine ganze Welt."
Ausgerechnet Bulgarien
Angelika Schrobsdorff und ihre Familie
Dokumentarfilm
Originaltitel: Bulgaria Of All Places
Bulgarien/Deutschland 2007
Verleih: fdk Filmverleih
Buch und Regie: Christo Bakalski
DarstellerInnen: Angelika Schrobsdorff, Evelina Stanischeff, Bettina Stanischeff, André Stanischeff, Pentscho Pentscheff, Andrej Pentscheff,
Produktion: Filmtank.
Lauflänge: 94 Minuten
Kinostart: 29. November 2007