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Beitrag vom 11.06.2002
Being different - Teil 2 des Interviews
Sharon Adler
Nicola Galliner, die Leiterin des 9. Jewish Film Festivals, im Gespräch mit AVIVA über Anderssein, Hoffnungen und Ziele des Festivals
AVIVA: Gibt es etwas, was die Filme verbindet?
Nicola Galliner: Das Jüdische. Oder in diesem Jahr das Anderssein, denn dieses Jahr müssen wir den palästinensischen Film, Ford-Transit, mit dazurechnen.
Er zeigt auf sehr witzige und teilweise sehr ironische Art einen Teil der palästinensischen Stimmen. Und er ist auch nicht unkritisch den eigenen Leuten gegenüber. Die Mehrzahl der palästinensischen Filme sind doch sehr propagandaartig. Künstlerischer Wert: gleich Null. Man kann nur hoffen, dass sich da jetzt langsam, langsam etwas bewegt. Denn: Sie müssen miteinander auskommen. Es muss irgendein Konsens gefunden werden, sonst ist es ein Gegenseitiges bis zum Geht-nicht-mehr Niedermetzeln. Diese schwierige Lage zeigt auch Primetime War II sehr deutlich.
AVIVA: Einer der diesjährigen Filme ist "Secret Lives: Hidden Children & their Rescuers during World War II" von Aviva Slesin.
Nicola Galliner: Ja, es ist auch die eigene Geschichte der Filmemacherin. Diese Geschichten werden zu häufig vergessen.
AVIVA: Wie ist Ihre Geschichte?
Nicola Galliner: Ich bin nach dem Krieg geboren. Meine Eltern sind aus Deutschland nach England emigriert. Meine Mutter hat die Kindertransporte begleitet, weil sie einen englischen Pass hatte, da sie in England geboren wurde. Sie wuchs aber in Berlin auf, wie mein Vater auch. Meine Mutter war vorher auch eine Zeitlang in Palästina und in Frankreich. Die beiden haben sich kurz vor dem Krieg in England kennen gelernt.
AVIVA: Sie sind aufgewachsen in einer sehr jüdischen Ecke Londons?
Nicola Galliner: Ja, im Nordwesten von London. Es ist noch jüdischer geworden. Wenn man da am Shabbat durchfährt wird man recht böse angeguckt, aber damals war es noch nicht ganz so religiös. Aber trotzdem: es war eine sehr, sehr jüdische Umgebung. Dann hat man auch ein anderes jüdisches Selbstbewusstsein, als wenn man das einzige jüdische Kind in der Schule ist.
AVIVA: A propos jüdisches Leben in London - Sie sind ja auch Herausgeberin des Wegweisers "Jüdisches Berlin".
Nicola Galliner: Der Wegweiser wurde wunderbarerweise durch die Politik überholt und ist jetzt völlig veraltet, aber ich finde, man müsste so etwas eigentlich regelmäßig machen.
Und nicht erwarten, dass alle Mitglieder der jüdischen Gemeinde wissen, wo was ist. Die wissen es nicht. Und es ist so eine große Gemeinde, dass die Leute sich teilweise überhaupt nicht mehr zurecht finden. Damit man auch nicht an bestimmten Berliner Ecken unwissend vorbeigeht. Da kann man vielleicht ab und zu mal zwei Minuten an Stellen stehen bleiben und daran denken, was da früher mal war.
AVIVA: Sie sagten einmal, dass die Volkshochschule die Aufgabe hat, die Shoah zu zeigen und zur Diskussion zu stellen.
Nicola Galliner: Die Erinnerung muss wachgehalten werden, aber mich stört, dass die Definition vom Judentum auf den Holocaust reduziert wird. Das finde ich sehr gefährlich. Ich denke, ein Hauptproblem bei der Vermittlung der Shoah gerade an die jüngere Generation, ist das Aussterben der Zeitzeugen. Da müssen ganz andere Wege gefunden werden.
Mein Sohn hat in der Schule ein Referat über Eichmann gehalten, und die meisten der Mitschüler wussten überhaupt nicht, wer das ist. Das finde ich schon ganz schön schockierend. Das ist die gute Mittelschicht Berlin-Zehlendorf, das sagt etwas über das Elternhaus und leider auch über die Ausbildung in der Schule.
Unseren Beitrag zum 9. Jewish Film Festival "Being Different" lesen Sie hier.