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AVIVA-BERLIN.de 3/15/5785 - Beitrag vom 11.09.2007


Bündel des Lebens
Elisa Klapheck

Im jüdischen Totengebet "El Male Rachamim" lautet eine Bitte, ins "Bündel des Lebens" aufgenommen zu werden. Was hat es damit auf sich? Ein Beitrag von Rabbinerin Elisa Klapheck




Seitdem meine Nichte sieben Jahre alt ist, lässt sie meine Familie nicht mehr in Ruhe – "Opa, bist du Jude?", fragte sie meinen verblüfften Vater. "Gehst Du in die Synagoge?" Meine kleine Nichte hat nicht nur alle Familienmitglieder gezwungen, sich zum Judentum zu bekennen. Sie hat außerdem ihre Umschulung durchgesetzt. Neuerdings geht sie auf die jüdische Schule – und gleich am ersten Tag hat sie sich selbst auch umbenannt. Gefragt nach ihrem Namen, antwortete sie mit ihrem jüdischen Namen, der bis dahin nur als einer unter mehreren in ihrer Geburtsurkunde stand.

Sie ist nicht die einzige Minderjährige, über die ich solche Geschichten höre. Kinder, noch lange vor dem Alter ihrer Bat- oder Bar-Mizwa, verlangen von ihren Eltern und Großeltern, wieder jüdisch zu leben, pochen auf die Schabbat-Kerzen am Freitagabend, fordern den Segen über Brot und Wein und verlangen dabei vor allem auch den Segen für die Kinder, der den Schabbat zu einem Schabbat macht. Ein Rabbinerkollege erzählte mir, dass es eigentlich sein Sohn war, der ihn auf den Weg zur Religion gebracht habe, als dieser als Kleinkind plötzlich verlangte, dass die Familie nur noch koscher esse und niemand mehr am Schabbat arbeiten dürfe. Das Phänomen ist übrigens nicht nur auf jüdische Kinder beschränkt. Die Tochter meiner eigentlich a-religiösen, ursprünglich einmal christlichen Freundin, wurde in der Schule gefragt, welches ihr Lieblingsbuch sei. "Die Bibel", antwortete diese, "da steht so viel drin."

An diese Kinder musste ich unlängst bei einer Beerdigung denken. Die Verstorbene, eine alte Frau, hatte ihr ganzes Leben bewusst nicht-jüdisch gelebt, die Religion verachtet und alles Leben zu philosophischen Begriffen intellektualisiert. Doch auf ihrem Sterbebett verlangte sie plötzlich von ihren Kindern und Enkeln das Versprechen, jüdisch begraben zu werden. Ihr Mann versuchte mich jedoch zu einer entscheidenden Veränderung im Ritual zu bewegen. Ich solle doch die uralte Formel im Totengebet – dem El Male Rachamim – auslassen: nämlich die messianisch motivierte Bitte, dass ihre Seele ins "Bündel des Lebens" aufgenommen werde. Wer glaube schon, so dieser Mann, an "ein Bündel des Lebens" nach dem Tode?

Ich habe die Formel trotzdem gesagt – um der Enkel willen, die mit am Grab standen und die möglicherweise mehr vom Bündel des Lebens verstehen als ihre Großeltern: Dass der Segen durch die Generationen geht und keine Generation das Recht hat, sich dem Bündel des Lebens zu entziehen und damit der nächsten Generation den Segen zu verweigern. Es rührt an, dass die Enkel diesen Segen heute wieder einfordern.

Mehr zu Rabbinerin Elisa Klapheck im Interview mit AVIVA-Berlin von 2004.

Lesen Sie auch unsere Rezension zu Elisa Klaphecks Buch So bin ich Rabbinerin geworden.



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Beitrag vom 11.09.2007

AVIVA-Redaktion