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AVIVA-BERLIN.de 3/4/5785 - Beitrag vom 04.03.2006


Unsere Klafte für Spezialeinsätze
Pieke Biermann

Mit Israel telefoniert Heidi S. zur Zeit noch öfter als normalerweise. "Ich muß wissen, ob alle in Ordnung sind", lautet ihr energisch-schlichter Kommentar. Alle, das sind für Heidi "meine Familie".




Dieser Artikel wurde AVIVA-Berlin von der Autorin Pieke Biermann zur Verfügung gestellt. Er erschien in der "Jüdischen Allgemeine" am 11.Oktober 2001.
Copyright Foto: Vera Isler-Leiner.

Und es ist ja normal, daß man - zumal in unruhigen bis gefährlichen Zeiten - wissen will, ob die Lieben wohlauf sind. Vor allem, wenn diese Lieben berufsbedingt dauernd im ganzen Land unterwegs sind, als Ärzte zum Beispiel. Trotzdem ist das Adjektiv normal im Zusammenhang mit Heidi S. etwa so gewagt wie vor, sagen wir: jüdisches Leben in Deutschland heute.

Aber das ist vertrackterweise wohl normal und ginge gar nicht anders.
In Heidis Fall fängt das damit an, daß sie mit ihrer Familie in Israel keineswegs klassisch verwandt ist. Sie kennen sich überhaupt erst seit 1976. Damals war Heidi das erste Mal in Israel, mit einer Gruppe Polizisten im Rahmen der International Police Association.
"Wir sind da natürlich auch mit israelischen Polizisten zusammengekommen, und ich hatte sofort ganz engen Kontakt mit den Schleimers", erzählt sie. "Die hatten eine Tochter in meinem Alter und eine etwas ältere."

Wir sitzen auf ihrem Wilmersdorfer Miniaturbalkon unterm Sonnenschirm. Mehr als ein Tischchen mit Cappuccino und selbstgebackenem Kuchen, zwei Erwachsene und ein Rudel gieriger Wespen passen da nicht drauf. Weshalb René, der seit 16 Jahren erfolgreich alleinerzogene Filius, in der Küchentür auf einem Stühlchen balanciert.

In Israel war´s irgendwie - komisch. "Ich war in einer Reisegruppe und irgendwie auch nicht. Ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll - jedenfalls, meine lieben Schleimers haben mich sofort nach meinen jüdischen Vorfahren gefragt. Ich müsse die haben, schon allein vom Aussehen her."

Dieser Besuch sollte Heidis Leben in Berlin nachhaltig prägen, bis hinein in Details ihrer Arbeit. Aber der Reihe nach. Heidi S. ist Kriminalpolizistin, Jahrgang 1953 und waschechte Berlinerin. Ein Porträt von ihr ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb ist ihr Nachname abgekürzt und darf es auch kein Foto geben von ihrem schönen, lebhaften Gesicht mit den wachen Augen und dem Mund, der meistens auch in Bewegung ist. Heidi S. gehört nämlich erstens zu den operativen Spezialkräften des Landeskriminalamts (LKA), die auch einer speziellen Fürsorgepflicht der Berliner Polizei bedürfen. Das LKA 63 hat es mit Tätern zu tun, die meistens organisiert und mit äußerster krimineller Energie vorgehen und also, falls ihnen jemand die Tour vermasselt, Haß und Rachlust entfalten können.

Zweitens ist individueller Narzißmus in solchen Teams nicht nur taktisch kontraproduktiv.
"Ich hätte nach der CoBa-Sache ins Fernsehen gesollt", winkt Heidi ab, noch jetzt, sechs Jahre danach, erleichtert. "Glücklicherweise hat der SEK-Leiter gleich gesagt: "Nö, ich brauch die Heidi! Die schick ich vielleicht mit `ner Kittelschürze zum Einsatz, aber nicht ins Fernsehen. War ich froh!"

Heidi selbst hat, drittens, genauso wenig Interesse an Publicity wie ihre Kollegen. Sie steckt weg, wenn mancher Uniformierte am Einsatzort sie fälschlich für irgendeine "Fahndungsgruppe" hält und argwöhnisch guckt. Und daß nach einem geglückten Einsatz in den Zeitungen irgendetwas von einer "Psychologin" steht, die den Fall gelöst habe, findet sie achselzuckend "OK so, ist uns sogar ganz lieb. Obwohl wir alle einfach stinknormale Polizisten sind."

In Wirklichkeit gehört Heidi S. zur Verhandlungsgruppe, und die hat sie vor 22 Jahren auch mitbegründet. Verhandler werden eingesetzt, wenn jemand droht sich umzubringen und dabei eine Waffe benutzt und Unbeteiligte gefährdet. Vor allem aber bei Schwerstkriminalität wie Geiselnahmen, Banküberfällen, Entführungen und Erpressung. Verhandler sind Deeskalationsspezialisten zur Entschärfung hochgefährlicher Lagen. Sie sollen Täter "unblutig" von ihrem Vorhaben abbringen und müssen dafür buchstäblich "Maul-Helden" sein: Genies in Reden-Reden-Reden und allen vorstellbaren Formen zwischenmenschlicher Kommunikation.

1979, nach einer spektakulären Geiselnahme in München, fand man so ein Team auch in Berlin nötig. Es sollte sich aus den Spezialeinheiten rekrutieren, denn mit ihnen zusammen würde es meistens operieren. Die Spezialeinsatzkommandos (SEK) waren schon 1972 bundesweit aufgebaut worden, unter dem Eindruck des Massakers bei der Münchner Olympiade. SEK und Verhandler sind zwei Seiten derselben Einsatz-Münze - ihr Job fängt da an, wo normale Polizeiarbeit aufhören muß. Oder wie Heidi es zusammenfaßt: "Wir sind dazu da, die Katastrophe auszuklammern, den Tod. Und das machen wir gemeinsam."

Heidi S. war bei einer Spezialeinheit, und "mein damaliger Chef war der Meinung, meine große Klappe qualifiziert mich für den Job. Ganz einfach - ganz normal."

Aber wie kommt es zu diesem Porträt?
Eigentlich auch ganz normal, wenn auch nicht ganz einfach. Ich muß zur Erklärung eine kleine persönliche Rückblende machen. Anläßlich einer Recherche über Polizisten und den Tod hatte ich verschiedene Beamte interviewt und immer mal wieder Heidis Namen und Dienststelle genannt bekommen. Natürlich fand ich solche "Verhandler" sofort spannend. Das war’s aber nicht. Es war so ein Unterton, wann immer Heidis Name fiel, der mich neugierig machte: "Unsere Heidi", hieß es oft - da schwang etwas liebevoll Familiäres mit, etwas zwischen Mutter vons Janze und na, det is vielleicht´n verrücktet Huhn!

Kurz, eines schönen Frühsommertags 2001 stehe ich mit allen erforderlichen behördlichen Genehmigungen mal wieder in dem Gebäudetrakt des LKA 63, in dem die Spezialeinheiten untergebracht sind. Mitten in einem idyllischen Berliner Villenviertel, nach außen bestens gesichert und innen die Art Charme verströmend, den stellenweise nachgebesserte Gründerzeitkasernen eben so haben.

Es riecht gut aus der kleinen Zimmerflucht, nach polizeitypischem Kaffee und nach Pfeife und Zigaretten. Letztere sind heute zwar nicht mehr so typisch, aber "wir sind hier sowieso `ne Truppe für sich", quittiert Heidi fröhlich und schiebt mich an eine Art Küchentisch. Er steht zwischen Schreibtisch, Aquarium, Kühlschrank und anderem zusammengewürfelten Mobiliar. Die Bodendielen unter allerlei Motorradhelmen, Schuhen für jedes Wetter und Taschen mit technischem Gerät würden vermutlich jeden Tropfen Wachs sofort wegschlürfen. Die Wände hätten sicher nichts gegen den einen oder anderen Schluck Farbe. Unter den Fenstern spielt ein halbes Dutzend muskulöser junger Männer etwas, das Fußball heißt, wenn 22 Leute mitspielen und die Deutschen gewinnen.

"Meine Jungs", nickt Heidi zufrieden und schenkt mir einen Becher voll, bevor sie ihren überdimensionalen Kaffeepott vom Schreibtisch holt und sich dazu setzt. Dabei schlenkert etwas an ihrem Hals. Eine Kette. Mit Anhänger. Einem großen Anhänger. Einem - das gibt’s nicht! Doch. Das ist ein Magen David!

"Was´n mit Ihnen los?" fragt Heidi halb besorgt, halb belustigt, weil ich mich fast an einem Lachkoller verschlucke. Kurz danach lachen wir beide Tränen. Ich hatte nämlich, aber das wußte sie nicht, 1986 die Chuzpe gehabt, meiner literarischen Berliner Mordkommission nicht bloß einen (damals undenkbaren) weiblichen Chef und zwei (ebenso unerhörte) homosexuelle ErmittlerInnen zu verpassen, sondern auch eine jüdische "Schreibkraft" (wie das schon zu Eichmanns Amtszeiten hieß und heute noch heißt). Eine Mordchefin - na gut. Gab´s zumindest schon im Fernsehen. Homosexuelle in der preußischen Polizei - dafür gab’s hämische Seitenhiebe. Für meine quietschlebendige jüdische Sekretärin dagegen bin ich gegeißelt worden - die sei Kitsch. Von Jüdischem nimmt eben auch das brave Nach-Nazi-Deutschland reflexhaft nur in der Vergangenheitsform Notiz. Lebende Juden werden selten wahrgenommen. Na gut - wenn sie im Kulturbetrieb sind oder im Zentralrat. Aber Juden, die heute in Deutschland in ganz alltäglichen Berufen arbeiten, die einfach wohnen, Beziehungskisten haben, Kinder großziehen und sonstwas tun, wie andere auch eben - nee! Und ausgerechnet bei der Polizei!

"Och, da gibt’s einige!" lacht Heidi.

Das war der Beginn eines wunderschönen Gesprächs. Aus dem wurden mehrere, schließlich Freundschaft und auch dieses Porträt.
Aber endlich zurück zu Heidi. Die Tochter eines Bezirksschornsteinfegers hat "eine traumhaft schöne, sorglose Jugend, finanziell und auch sonst." Sie ist Wunschkind und Stammhalter. Der jüngere Bruder übernimmt später das Schornsteinfegen. Heidi macht erst Abitur, dann zunächst einen Versuch, Lehrerin zu werden. Aber "das war nicht mein Ding! Tja, denn hab ick nach vier Semestern erstmal im KaDeWe Büstenhalter verkooft - jetzt lachen Se nich so!"

1973, ermuntert durch einen guten Freund des Vaters, der ein Rauschgiftkommissariat leitet, geht sie zur Kripo. Sie arbeitet in verschiedenen Kriminalinspektionen, auch bei der "Weiblichen Kriminalpolizei" und bei "Raub". Es war die Zeit vor dem Umbruch, der endlich auch Frauen wieder zuließ zu allen Kripo-Dienststellen. "Das war ja ganz exotisch. Die bei Raub waren genauso hochnäsig-elitär wie die bei Mord. Die wollten auch keine Frauen. Aber ich hab’s überstanden."

1978 kommt die junge Kriminalmeisterin auf die frisch gegründete Fachhochschule, wird Kommissarin und geht zu einer operativen Spezialeinheit, bis René geboren wird. Ab da ist erstmal Schluß mit Schichtdienst. Normaler Tagesdienst ist schon schwer genug zu koordinieren mit dem Alleinerziehen. Es klappt irgendwie, mithilfe von Tagesmutter, eigener Mutter sowie diversen Kinderhorten und - gärten. Die folgenden zehn Jahre bearbeitet Heidi tagsüber Einbrüche und Taschendiebstähle und ist "nebenbei" mit dem SEK draußen oder schwatzt Selbstmörder von Dächern, Kränen und Schulhöfen runter.

Bei den meisten spektakulären Ereignissen ist Heidi S. dabei. Sie gehört zum Berliner "Dagobert"-Team, sie ist vor Ort, als 1995 "Tunnelgangster" eine Filiale der Commerzbank in Schlachtensee überfallen und Geiseln nehmen. Seit der "CoBa-Sache" hat sie einen Ruf als Hellseherin, sagt ihr Chef Martin Textor, der Leiter des LKA 63. "Oder wie soll man das nennen?" fragt er feixend. "Die Heidi hatte ja keine Ahnung von den Tätern, die war mit den Geiseln beschäftigt. Und plötzlich sagt die so zur Beruhigung: "Ich seh Licht am Ende des Tunnels!"

Heidi grinst. Ins Ironische gedrehte Legenden - das geht. Wattepusten und Gewese, wie sie Komplimente zu nennen pflegt - das ist ihr peinlich. Daß sie gute Arbeit macht, oft verdammt gute, riskante, genau wie die sechzehn anderen Verhandler, genau wie "meine Jungs" vom SEK - das weiß sie. Das wird auch durchgehechelt, nach jedem Einsatz. Gnadenlos kritisch, manchmal selig vor Erleichterung, daß wieder mal eine Katastrophe ausgeklammert werden konnte.

Bei der Sache am Kottbusser Tor zum Beispiel. Oktober 1999. Ein junger Algerier, der sich bald als fanatisch-religiös entpuppt, hat einen kleinen Jungen vom Arm seiner Mutter gerissen, hält ihm ein Fleischmesser an den Hals, droht, er werde "das Pferd in meinen Armen abschlachten", und verlangt, daß ein Freund, der in einem tunesischen Gefängnis einsitzt, augenblicklich in Berlin-Kreuzberg erscheint. Das war der einzige Fall, in dem Heidi - die mit einem anderen Verhandler und zwei SEK-Männern in etwa drei Metern Abstand von ihm hockt - ihren Davidstern unter den Pullover hängt. Aber es ist auch Heidi mit ihren israelischen, und das heißt auch arabisch-muslimischen Erfahrungen, die auf ein paar so meschuggene Ideen kommt, daß die SEK-Kollegen schließlich zugreifen können.

Und damit endlich wieder zurück zu 1976 und zu den vertrackten "Normalitäten", die es so nur in den Teilen Europas gibt, in denen jüdische Herkunft einmal lebensgefährlich war. Das heißt endlich auch zu - Heidis Mutter. Die wurde 1920 in Berlin geboren. Unehelich. Der Vater war ein jüdischer Rechtsanwalt, die Mutter seine Sekretärin und mit großer Wahrscheinlichkeit auch Jüdin. Was Heidi sonst noch weiß: Der Anwalt ging Mitte der 20er Jahre in die USA, die Sekretärin hieß Gretchen und gelangte irgendwie später nach Palästina, heiratete dort und bekam zwei Kinder. Mit dem Baby, das Heidis Mutter werden sollte, konnten beide nichts anfangen. Die Kleine war schwächlich und sollte Ursula heißen. Das rief Ida und Eugen und auf den Plan. Ida und Eugen besaßen die Wäscherei, in der Anwalt und Sekretärin Kunden waren. Und Ida und Eugen wurden Heidis Großeltern. Ida, die gestandene Geschäftsfrau nämlich, befand: Die Kleine kriegen wir durch! Ließ sich von ihrem Hausarzt die Geburt einer Tochter bescheinigen und die Kleine auf den Namen Anita taufen. Nicht ahnend, daß das der bald darauf überlebensnotwendige "arische Nachweis" war.

"Ich wußte von Mutters jüdischem Hintergrund", erzählt Heidi auf ihrem Balkon weiter. "Von ihr hab ich ja auch den Stern, aber viel mehr weiß ich nicht." Heidi ist genauso wenig jüdisch erzogen worden wie ihre Mutter. "Aber wir könnten als echtes Klischee gehen - ich bin `ne richtige Klafte! Ich schachere auch wahnsinnig gern rum, ich kann die Schickse geben, wenn nötig, und bei uns zu Hause wurden immer jiddische Ausdrücke gebraucht. Mach keen Zores und so. Aber das ist ja auch Berlinerisch."

Fortsetzung


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Beitrag vom 04.03.2006

AVIVA-Redaktion