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AVIVA-BERLIN.de 3/3/5785 - Beitrag vom 11.02.2004


Rabbinerin Elisa Klapheck
Sharon Adler

Sie studierte Politische Wissenschaft und arbeitet als Journalistin und Autorin. Die Mitbegründerin von "Bet Debora" ist außerdem Pressesprecherin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, daneben..




...hat sie teils autodidaktisch, teils mit Hilfe von Lehrern Tanach und Talmud gelernt und erhielt kürzlich in den USA ihre Smicha. Sie ist Mitorganisatorin von "Bet Debora", der Berliner Tagung europäischer Rabbinerinnen, Kantorinnen und rabbinisch gelehrter Jüdinnen und Juden, und hat die Biographie" Fräulein Rabbiner Jonas - Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?" (Teetz Verlag, 1999) veröffentlicht. Daneben arbeitet Elisa Klapheck als Redakteurin für das Gemeindeblatt "jüdisches berlin".

AVIVA-Berlin: Sie sind Redakteurin des Gemeindeblatts "jüdisches berlin" und Mitorganisatorin der Berliner Tagung "Bet Debora". Seit kurzem sind Sie Rabbinerin. Sind Sie ein "Workaholic"?
Elisa Klapheck: Offensichtlich ja. Aber auch ein bisschen "besessen". Ich hatte bislang das Glück, Dinge tun zu können, von denen ich zutiefst überzeugt bin, dass sie richtig sind. Und das gab mir dann stets auch eine Extra-Portion Kraft. Außerdem trenne ich kaum zwischen Beruflichem und Privatem. Mit den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, bin ich meist auch befreundet, so dass mein Sozialleben und meine Aktivitäten stark miteinander verwoben sind. Vielleicht ist das aber auch ein typischer "Way of Life" von Frauen, die sich in der Gesellschaft engagieren, aber die keine Kinder haben und somit nicht gezwungen sind, eine geschützte Privatsphäre zu schaffen.

AVIVA-Berlin: Ihr Ziel, Rabbinerin zu werden, haben Sie kontinuierlich verfolgt. Geht damit ein Traum in Erfüllung?
Elisa Klapheck: Auf jeden Fall. Es fing sogar mit einem Traum an. Das war noch lange vor meinem Rabbinatsstudium, sogar noch vor meinen Aktivitäten in der Jüdischen Gemeinde. Eines nachts vor vielen Jahren träumte ich mich selbst plötzlich als Rabbinerin. Ich war davon ganz überrascht, sagte mir aber, als ich wach wurde: Das ist ein Hinweis! Zunächst kam es mir jedoch noch nicht in den Sinn, selbst Rabbinerin zu werden. Ich deutete meinen Traum mehr in die Richtung, mich als Feministin und liberale Jüdin in der Jüdischen Gemeinde zu engagieren und zu bewirken, dass auch andere Frauen ihre Anliegen stärker ins Judentum einbringen. Das führte dazu, dass meine Freundin, Lara Dämmig, sowie Rachel Herweg und ich 1998 "Bet Debora" gründeten und 1999 Rabbinerinnen aus ganz Europa zur ersten Bet-Debora-Tagung nach Berlin einluden.
Ich habe zwar seit Beginn meines Studiums der Politischen Wissenschaft und später, als ich als Journalistin arbeitete, immer nebenher Tora und auch Talmud gelernt - aber immer nur zum Spaß. Erst, als ich an dem Buch über die erste Rabbinerin der Welt, Regina Jonas, arbeitete, fing ich langsam an, mir selbst die Frage zu stellen: Warum mache ich das eigentlich alles? Da wurde ich mir plötzlich meiner eigenen Verantwortung bewusst. Es reicht nicht, Erneuerung im Judentum zu fordern und darüber unzufrieden zu sein, dass niemand kommt und es für einen ausrichtet. Man muss es selbst tun. Und genau in dieser Zeit, als mir das klar wurde, begannen Menschen wie mein damaliger Chef, Rabbiner Andreas Nachama, oder die Rabbiner Peter Levinson und Ted Alexander, die beide Regina Jonas noch in Berlin gekannt hatten, auf mich einzuwirken, ich solle doch selbst Rabbinerin werden. Das Studium war dann purer Genuss und der Tag meiner Ordination ein kaum zu glaubender Traum, der in Erfüllung ging.

AVIVA-Berlin: Bitte erzählen Sie uns mehr über Ihre mehrjährige Ausbildung am Aleph-Rabbiner-Seminar.
Elisa Klapheck: Die Aleph-Ausbildung ist aus der amerikanisch-jüdischen "Renewal"-Bewegung hervorgegangen, die eine Erneuerung im Judentum anstrebt. Sie ist keine Denomination, also nicht liberal oder orthodox, sondern bemüht sich um neue Zugänge zur jüdischen Tradition, gerade auch zu solchen Teilen, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten als überholt galten. Mystik und Chassidismus spielen eine wichtige Rolle, aber auch Halacha, das jüdische Religionsgesetz, das viele Jüdinnen und Juden heute zu großen Teilen als unzeitgemäß empfinden. Ein wichtiger Begriff, den der Gründer der Renewal-Bewegung, Rabbiner Zalman Schachter-Shalomi, geprägt hat, ist "Paradigm Shift" (Paradigmen-Wandel). Danach entfaltete sich das Judentum über die Jahrtausende in sich wandelnden gesellschaftlichen Paradigmen. Das Paradigma der Bibel war noch ein anderes als das des Talmud. Heute muss ein neues Paradigma geschaffen werden, in dem sich das Judentum erneuern kann. In diesem dürfen neue Wege gegangen werden - z.B. neue Rituale für neue Lebenssituationen geschaffen werden, die den Rabbinern vor 1.000 Jahren noch nicht bewusst waren - oder die Liturgie neu interpretiert, ja sogar weiterentwickelt werden, so dass sie einem auch heute etwas bedeuten kann. Man darf die gesellschaftspolitische Gegenwart auf die rabbinischen Quellen beziehen, um zu neuen Auslegungen zu kommen. Und man darf auch die Leistungen anderer Religionen anerkennen.
Das Studienprogramm selbst unterscheidet sich nur wenig von anderen Rabbiner-Seminaren. Man bekommt am Anfang eine Übersicht über die Dinge, die jeder Rabbiner, jede Rabbinerin kennen und beherrschen muss. Das Programm ist dann teilweise als Fernstudium konzipiert und deshalb für Menschen gut, die schon Lebenserfahrung haben und im Beruf stehen. Es wird von einem erwartet, am eigenen Ort, z.B. in der eigenen jüdischen Gemeinde aktiv zu sein und sich durch eigene Praxis fortzubilden. Darüber hinaus setzt sich das Studium zusammen aus regelmäßigen Treffen der Studenten mit ihren Lehrern in den USA und Telefonkursen in Talmud und anderen rabbinischen Fächern, für die man dann auch Abschlussarbeiten schreiben muss. Wer eine Universität am eigenen Ort hat, sollte außerdem dort Seminare und Kurse in Judaistik absolvieren.

AVIVA-Berlin: Sie sprechen von dem Konflikt zwischen der Liebe zur Tora als "Lernende" und als "Betende"...
Elisa Klapheck: Das habe ich vor Jahren im ersten Bet-Debora-Journal geschrieben. Es ging um den Konflikt zwischen der "aufgeklärten" und der "gläubigen" Jüdin in mir. Das Problem ist, dass die Art, wie Gott in den Übersetzungen der hebräischen Liturgie umschrieben und gepriesen wird, oft nicht mit den Erfahrungen der Menschen von heute übereinstimmt und deshalb eine innere Entfremdung beim Lesen der Gebete bewirkt. Inzwischen gibt es da für mich jedoch keinen Konflikt mehr. Dank meines Studiums erlebe ich das "Beten" insgesamt anders. In meinem Studium sagten wir übrigens nicht "beten", sondern "dawenen" - das Wort verbindet "daber" (sprechen) und "divinere" (heiligen). Es geht um das Heiligen - das heißt, um die eigene, individuelle Entscheidung, das Leben, die Schöpfung, alles um einen herum und alles, was man tut, zu heiligen. Die Liturgie ist dabei ein Instrument, sich selbst zu öffnen und Gott, beziehungsweise die göttlichen Keime in einem selbst zuzulassen. Sie ist auch ein Instrument, unterscheiden zu lernen: Was ist heilig? Was profan? Und was ist Unheil? Man kann alles "herunter holen" und jeglicher Bedeutung entkleiden, genauso kann man aber alles auch "heben" und ihm einen größeren Sinn geben. Das macht das "Davenen" - es heiligt das Leben, die Schöpfung, und verlangt einen anderen, einen bewussteren Umgang damit. Es ist eine Methode, mit der man an das Leben herangeht, ohne deshalb realitätsblind zu werden. Sie beruht auf der Entscheidung des Einzelnen.

AVIVA-Berlin: Sie wünschen sich eine Enthierarchisierung des Rabbineramtes. Wie könnte das aussehen?
Elisa Klapheck: Damit meine ich, dass das Modell des hochbezahlten Gemeinderabbiners, der formal zwar viel Ansehen und Autorität genießt, die sich jedoch allein auf die vier Wände in seiner Synagoge beschränkt und kaum Auswirkung auf das tägliche Leben seiner Gemeindemitglieder hat, inzwischen nicht mehr greift. Ich bin der Ansicht, dass sich die Rabbiner und Rabbinerinnen des 21. Jahrhunderts wieder verstärkt an dem alten Prinzip "Tora im Derech Erez" - ein weltlicher Beruf, mit dem man sich seine Brötchen verdient und der einem Unabhängigkeit garantiert, daneben das Tora-Studium - orientieren sollten. In unserer Zeit sind wir gehalten, für uns selbst zu entscheiden. Deshalb brauchen wir viele Rabbiner und Rabbinerinnen unter uns. Die Aufgabe der Rabbiner und Rabbinerinnen sollte es sein, uns mit Hilfe der jüdischen Tradition dazu zu befähigen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, vor allem das eigene, von Gott gegebene Potential zu leben, authentisch zu sein und dabei die Eigenverantwortung nicht zu scheuen.

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Beitrag vom 11.02.2004

Sharon Adler