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Beitrag vom 26.08.2024
Global Demographic Report on Jewish Holocaust Survivors. Bislang einmaliger Demografie-Bericht zu Holocaust-Überlebenden
AVIVA-Redaktion
Die von der Claims Conference durchgeführte Demografie-Studie belegt, dass in mehr als 90 Ländern noch etwa 245.000 jüdische Holocaust-Überlebende leben, 49 % davon in Israel, 18 % in Nordamerika und etwa 12 % leben in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Die Mehrheit (61 %) der jüdischen Holocaust-Überlebenden sind Frauen.
NEW YORK/ BERLIN: Am 23. Januar 2024 veröffentlichte die Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference) den Global Demographic Report on Jewish Holocaust Survivors (Globaler Demografie-Bericht zu Holocaust-Überlebenden). Es handelt sich dabei um eine Demografie-Studie zu jüdischen Holocaust-Überlebenden in der ganzen Welt. Laut der Studie leben die etwa 245.000 Holocaust-Überlebenden in mehr als 90 Ländern weltweit.
Gideon Taylor, Präsident der Claims Conference, sagte: "Die von uns erhobenen Daten zeigen uns nicht nur, wie viele Überlebende es gibt und wo sie leben. Sie machen außerdem deutlich, dass die meisten Überlebenden einen Lebensabschnitt erreicht haben, in dem sie immer mehr Betreuungs- und Pflegeleistungen benötigen. Jetzt ist es an der Zeit, dass wir diesen Menschen, deren Zahl dramatisch abnimmt, doppelt so viel Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. Denn jetzt brauchen sie uns am nötigsten.”
Seit ihrer Gründung im Jahr 1951 setzt sich die Claims Conference dafür ein, den jüdischen Holocaust-Überlebenden ein gewisses Maß an Gerechtigkeit zu verschaffen. Infolge der laufenden Verhandlungen mit der deutschen Bundesregierung hat die Claims Conference mehrere Entschädigungsprogramme mit Direktzahlungen an Überlebende in der ganzen Welt aufgelegt und verwaltet diese. Die Claims Conference gewährt Zuschüsse an über 300 soziale Einrichtungen weltweit und sorgt dafür, dass Überlebende des Holocaust dringend benötigte Leistungen wie häusliche Pflege, Lebensmittel, Medikamente und Fahrdienste erhalten und soziale Kontakte haben.
Die Einrichtung dieser Programme, deren Finanzierung und die zur Verfügung gestellten Leistungen haben dazu geführt, dass weltweit Informationen über jüdische Holocaust-Überlebende gesammelt werden konnten. Auch wenn diese Informationen nicht die einzige Quelle des Global Demographic Report on Jewish Holocaust Survivors sind, so sind sie dennoch dessen Grundlage. Der Bericht fasst demografische Daten über jüdische Holocaust-Überlebende in der ganzen Welt zusammen und gibt Aufschluss über die Länder, in denen sie geboren wurden und derzeit leben, über ihr Alter, ihr Geschlecht und darüber, wie viele der Überlebenden unterschiedliche Entschädigungen und Leistungen erhalten.
Greg Schneider, Executive Vice President der Claims Conference, erklärte: "Die Zahlen in diesem Bericht sind interessant, aber es ist ebenso wichtig, einen Blick hinter diese Zahlen und auf die einzelnen Menschen zu werfen, für die diese Zahlen stehen. Es geht um Juden, die in eine Welt hineingeboren wurden, die sich ihren Tod wünschte. Sie mussten in ihrer Jugend die Gräueltaten des Holocaust erdulden und waren gezwungen, aus der Asche der Konzentrationslager und Ghettos, die ihre Familien und Gemeinschaften ausgelöscht hatten, ihr Leben ganz von vorne zu beginnen. Die Daten zwingen uns dazu, der Realität ins Auge zu schauen, dass die Holocaust-Überlebenden nicht für immer unter uns sein werden, denn die meisten Überlebenden sind bereits verstorben."
Gemäß dem Global Demographic Report on Jewish Holocaust Survivors gibt es noch heute in mehr als 90 Ländern Holocaust-Überlebende. 49 %, d. h. fast die Hälfte aller jüdischen Holocaust-Überlebenden, leben in Israel, weitere 18 % jeweils in Nordamerika und Westeuropa. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts lag der Altersmedian der Überlebenden bei 86 Jahren. Die jüngsten Überlebenden waren 77 Jahre, die ältesten über 100 Jahre. Die ältesten Überlebenden wurden 1912 geboren.
Die Holocaust-Überlebende Reha Bennicasa, die Tochter von Rose Girone, der weltweit ältesten Holocaust-Überlebenden, erklärte: "Als Holocaust-Überlebende und Tochter einer Überlebenden kann ich nicht oft genug darauf hinweisen, wie wichtig es ist, das weiterzugeben, was wir erlebt haben. Ich selbst bin sehr froh, dass meine Mutter 112 Jahre geworden ist und erfahre voller Freude, dass sie weltweit die älteste Holocaust-Überlebende ist. Meine Mutter und ich haben die Unterdrückung durch die Deutschen und die Japaner überlebt. Die Stärke meiner Mutter inmitten dieses Schreckens und in allen anderen Bereichen ihres Lebens ist wirklich erstaunlich. Sie ist ein wunderbares Vorbild für mich und auch – so hoffe ich – für die ganze Welt. Angesichts der schwindenden Zahl von Holocaust-Überlebenden und dem aufflammenden Antisemitismus müssen wir dafür sorgen, dass die Welt mehr über unsere gemeinsame Geschichte erfährt, damit sich der Holocaust nie mehr wiederholen kann."
Sergio DellaPergola, emeritierter Professor und ehemaliger Leiter des Harman Institute of Contemporary Jewry der Hebräischen Universität Jerusalem, sagte: "Der von der Claims Conference veröffentlichte Demografie-Bericht, der die Anzahl der noch lebenden Holocaust-Überlebenden aufzeigt, ist ein wichtiger Beitrag zu unserer Verpflichtung gegenüber den lebenden Zeitzeugen, die jede Unterstützung verdienen, die sie in den ihnen noch bleibenden Lebensjahren benötigen."
Dani Dayan, Vorsitzender der Gedenkstätte Yad Vashem, betonte: "Ich möchte der Claims Conference von ganzem Herzen für diesen immens wichtigen Bericht über die noch lebenden Holocaust-Überlebenden danken. Diese Demografie-Studie dient in meinen Augen als Warnung, da sie die aktuelle demografische Situation der Holocaust-Überlebenden in der ganzen Welt beleuchtet. Sie zeigt deutlich, dass wir auch in Zukunft unbedingt in Bezug auf die Namen und Zeitzeugenberichte dieser bemerkenswerten Menschen Recherchen anstellen und die Ergebnisse archivieren müssen, bevor uns die letzten Holocaust-Überlebenden für immer verlassen werden. Möge ihre Anwesenheit weiterhin unsere Entschlossenheit stärken, für eine bessere Zukunft einzutreten."
40 % und damit fast die Hälfte der Holocaust-Überlebenden weltweit, von denen alle Entschädigungsleistungen in Zusammenhang mit dem Holocaust erhalten, erhalten haben oder die entsprechenden Voraussetzungen hierfür erfüllen, beziehen von der Claims Conference subventionierte Sozialleistungen. Etwa 17 % dieser Überlebenden erhalten Leistungen aus dem Artikel 2-Fonds und dem Mittel- und Osteuropafonds (CEEF): Diese Programme wurden eingerichtet, damit Überlebende, die in Lagern und Ghettos inhaftiert waren oder in einem Versteck oder unter einer falschen Identität überlebt haben, zumindest eine einmalige Zusatzzahlung im Rahmen des Supplemental Hardship Fund erhalten, die an Überlebende gezahlt wird, die keine monatliche Rentenzahlung auf Grundlage eines der übrigen Entschädigungsprogramme erhalten.
Michael Berenbaum, ein renommierter Professor für Judaistik an der American Jewish University, erklärte: "Dieser eindeutige und umfassende Bericht enthält wichtige Daten über viele unterschiedliche Entschädigungs- und Sozialhilfeprogramme, die nur dank der Analysen der Claims Conference möglich sind. Er zeigt aber auch Folgendes: Obwohl die Zahl der Überlebenden von Tag zu Tag kleiner wird, werden die Bedürfnisse derer, die noch am Leben sind, immer größer. Gleichzeitig verdeutlicht der Bericht, dass in vielen Ländern nur noch ganz wenige dieser außergewöhnlichen Menschen leben. Aufgrund dieser Tatsache ist es so wichtig, dass wir von ihren Erfahrungen als Überlebende und von ihrer Resilienz lernen. Um es ganz deutlich zu sagen: Dies ist unsere letzte Chance, sie zu würdigen, sie zu feiern und von ihnen zu lernen. Wir sollten uns alle fragen, was wir dafür tun können, bevor es zu spät ist."
Wichtigste Ergebnisse
Die wichtigsten Ergebnisse des Global Demographic Report on Jewish Holocaust Survivors der Claims Conference sind unter anderem:
Schätzungsweise 245.000 jüdische Holocaust-Überlebende leben derzeit in mehr als 90 Ländern.
Mit einem Anteil von 49 % lebt etwa die Hälfte aller Überlebenden in Israel. Jeweils 18 % leben in Westeuropa und Nordamerika, wobei 16 % aller Überlebenden ihren Wohnsitz in den USA haben. Etwa 12 % leben in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion.
Das Medianalter der jüdischen Holocaust-Überlebenden liegt bei 86 Jahren. Bei Erscheinen dieses Berichts waren die Überlebenden zwischen 77 und über 100 Jahre alt und wurden zwischen 1912 und 1946 geboren.
Bei 95 % und damit bei der Mehrheit der jüdischen Holocaust-Überlebenden handelt es sich um Personen, die den Holocaust als Kinder überlebt haben und in den Jahren 1928 bis 1946 geboren wurden.
20 % der jüdischen Holocaust-Überlebenden sind älter als 90 Jahre. In diesem Lebensabschnitt besteht grundsätzlich ein größerer Bedarf an Pflege- und sonstigen Leistungen.
Die Mehrheit (61 %) der jüdischen Holocaust-Überlebenden sind Frauen. Nur 39 % sind Männer.
Fast 40 % der Überlebenden beziehen monatliche Zahlungen über Programme, die die Claims Conference mit Deutschland ausgehandelt hat. Die verbleibenden Überlebenden haben Anspruch auf eine Einmalzahlung oder jährliche Zahlungen.
40 % der Überlebenden beziehen derzeit oder haben im vergangenen Jahr Sozialleistungen von über 300 Einrichtungen bezogen, die von der Claims Conference verwaltete Zuschüsse erhalten. Diese Leistungen umfassen häusliche Pflege, Lebensmittel, Medikamente, Fahrdienste, soziale Kontakte und weitere Leistungen je nach den individuellen Bedürfnissen der Überlebenden.
Den vollständigen Demografie-Bericht finden Sie unter: www.claimscon.org/demographics
Recherchemethoden
Mehr als 70 Jahre lang hat die Claims Conference eine beispiellose weltweite Datenbank in Bezug auf jüdische Holocaust-Überlebende aufgebaut. Angesichts der Entschädigungsprogramme und der Sozialleistungen, die die Claims Conference möglich gemacht hat, sind die meisten Überlebenden bekannt. Die neu ausgehandelten Zusatzzahlungen im Rahmen des Supplemental Hardship Fund waren ein ausschlaggebender Faktor, um aktuelle Daten zu Überlebenden in der ganzen Welt zu erheben, die in der Vergangenheit Einmalzahlungen erhalten hatten, aber mit der Claims Conference nicht dauerhaft in Kontakt standen. In Bezug auf diese Überlebende, die auf eine Kontaktaufnahme nicht reagiert hatten, erfolgten Recherchen mit LexisNexis.
Darüber hinaus wurden die Daten der Claims Conference mit Veröffentlichungen zur Anzahl von Überlebenden verknüpft, die Entschädigungszahlungen aus Quellen erhalten, die von den Regierungen in Israel, Deutschland und Österreich verwaltet werden. All diese Datenquellen zusammen ermöglichen eine umfassende Schätzung der derzeit bekannten und noch lebenden Holocaust-Überlebenden.
Trotz aller Bemühungen, Überlebende ausfindig zu machen, gibt es Personen, die ihre Identität nicht preisgeben wollen. Auch wenn weiterhin neue Anträge auf Entschädigungszahlungen eingereicht werden, ist deren Zahl mit weniger als 0,1 % aller Überlebender vergleichsweise gering und würde an dem Gesamtbild der Holocaust-Überlebenden nichts ändern, da die Anzahl neuer Antragsteller aufgrund der versterbenden Holocaust-Überlebenden leider nicht ins Gewicht fällt. Die Claims Conference wird weiterhin Kontakt zu allen von ihr ermittelten Personen aufnehmen.
Die vollständigen Anmerkungen zu den Recherchemethoden finden sich im Bericht.
Über die Claims Conference: Die Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference), eine gemeinnützige Organisation mit Büros in New York, Israel, Deutschland und Österreich, steht ein für die materielle Entschädigung von Holocaust-Überlebenden weltweit. Die Claims Conference wurde 1951 von Vertretern von 23 großen internationalen jüdischen Organisationen gegründet. Sie verhandelt über Gelder, die an Einzelpersonen und Organisationen ausgezahlt werden, und fordert die Rückgabe von jüdischem Eigentum, das während des Holocaust gestohlen wurde. Als Ergebnis der Verhandlungen mit der Claims Conference hat die deutsche Regierung seit 1952 mehr als 90 Milliarden Dollar an Entschädigungszahlungen an Einzelpersonen für Leiden und Verluste infolge der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gezahlt. 2023 leistete die Claims Conference Entschädigungszahlungen in Höhe von mehr als 560 Millionen Dollar an über 200.000 Überlebende in 83 Ländern und vergab Zuschüsse in Höhe von etwa 750 Millionen Dollar an über 300 Sozialeinrichtungen weltweit, die lebenswichtige Dienstleistungen für Holocaust-Überlebende wie z.B. häusliche Pflege, Lebensmittel und Medikamente erbringen. 2024 handelte die Claims Conference letztendlich Entschädigungszahlungen von fast 535 Millionen Dollar für Überlebende in der ganzen Welt sowie Zahlungen in Höhe von 888 Millionen Dollar für die häusliche Pflege von Überlebenden aus.
Weitere Informationen erhalten Sie unter: www.claimscon.org
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