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Beitrag vom 02.12.2003
Interview mit Peggy Lukac - Teil 2
Sharon Adler
Peggy Lukac, eine der Leiterinnen der Jüdischen Kulturtage 2003 "A jiddische Gass" im Gespräch mit AVIVA-Berlin über die Verbreitung von Klischees, Klezmeritis und Mut
"Tiefenenttrümmerung"
AVIVA-Berlin: Sie sind Schauspielerin, Theaterwissenschaftlerin, (Mit-)Gründerin von Theatergruppen und Dramaturgin. Sie sammeln Kriegstagebücher und Briefe. Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihr Projekt "Tiefenenttrümmerung" und "Die Galizianerin".
Peggy Lukac:
Ich habe zusammen mit Ingrid Hammer beide Produktionen gemacht, die erste Theatergruppe miteinander gegründet, verschiedenste Theaterprojekte im Dunkeln auf Dachböden gemacht, und Tagebücher von 1939 bis 1945, auch weit über 1945 hinaus, gesammelt.
Wir legten Wert darauf, dass sie nicht von großen Widerstandskämpfern, sondern von "kleinen Leuten" stammten.
Wir haben ca. 100 Aufzeichnungen, in Altersheimen, per Zeitungsanzeigen zusammengetragen. Das Interessante an diesen Tagebüchern war: Das Jüdische kam nicht vor. Ich hätte alles mögliche erwartet, antisemitische Tiraden, aber weder während der Kriegszeit und auch nicht nach 1945 war es Thema. Nur in 2 von diesen Tagebüchern wurde es überhaupt erwähnt. So schrieb ein 15 jähriges Mädchen darüber, wie gut sie es finden würde, "dass die Juden aus Deutschland raus sind", aber "dass man sie gleich umbringen muss, finde ich nicht gut."
Dann haben wir viel mit dem Thema gearbeitet, wie wir mit dem Nationalsozialismus umgehen. Ich habe immer versucht, keine Urteile zu sprechen. Ich bin ein großer Feind dieser Schuldgefühl-Betroffenheits-Welle. Die gerade auch einer jungen Generation das Gefühl geben, sich schlecht fühlen zu müssen, dies aber nicht kreativ umsetzen können.
"Die Galizianerin"
Die Galizianerin ist ein wunderbares Buch von Brigitte Schwaiger, die von ihr aufgeschriebene Geschichte von Ina Deutsch.
"Wie kam das Salz ins Meer" wurde gerade veröffentlicht, als Ina Deutsch sie anrief und sagte: "Ich heiße Ina Deutsch, wollen Sie mich dokumentieren?"
Ina Deutsch hatte so eine verballhornte Sprache und sagte Dinge wie: "Mein Vater war auch ein Glasträger im Aug". Diese Sprache hat Brigitte Schwaiger, deren Vater in der SS war, so fasziniert, dass sie zusagte. Sie hat alle Geschichten aufgeschrieben und die für das Buch geeignetste ausgesucht. Alles dokumentiert und in dieser wunderbaren, originalen Sprache belassen. Es ist eine entsetzlich berührende Geschichte.
Ina Deutsch hatte natürlich einen richtig ausgewachsenen Verfolgungswahn. Sie hat niemanden aus ihrer Familie, ihre kleinen Geschwister, sterben sehen. Die waren einfach weg. "Es jagt mich", hat sie gesagt, "kann nicht schlafen".
Sie war vollkommen unzufrieden mit dem Buch. Sie wollte die Geschichten erzählen und Brigitte Schwaiger sollte dann so etwas wie "Krieg und Frieden" daraus machen. Den Respekt, den sie vor ihr hatte, hat sie gänzlich missverstanden. Sie hat Brigitte als Antisemitin bezeichnet. Sie war tablettenabhängig, ungerecht, verletzt, tobte in ihrem Bett, über den Judenrat, "a jiddische Gestapo"
AVIVA-Berlin: Wie ist Ihre Geschichte?
Peggy Lukac:
Meine Großeltern sind im KZ gestorben. Mein Vater war interniert und hat überlebt, als die Russen nach Wien gekommen sind und das Gefängnis aufgemacht wurde. Meine Arbeit mit demThema war unendlich traurig - und saukomisch zugleich. Man kann auf Fehler mit Humor und Berichtigung reagieren. Wir machen auch Fehler in anderen Ländern. Hitler hat in diesem Land ganze Arbeit geleistet. Man kann einer Nicht-jüdischen Bevölkerung nicht vorwerfen, dass sie über das Judentum nicht so schrecklich viel wissen. Ich bin nicht gern jemand, der mit Vorwürfen arbeitet, ich bin jemand, die sagt, lass uns eine Chance nehmen, Dinge zu verändern.
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(Foto: Margarete Redl - von Peinem) |
"Jüdische Nachkriegs- Holocaust Geschichte ist unglaublich durchwachsen"AVIVA-Berlin: Inwiefern könnten die jüdischen Kulturtage das Bewusstsein der Nicht-Juden verändern?
Peggy Lukac:Man beginnt in eine Kommunikation, nach außen zu gehen, offensiv zu werden. Wir haben in der "jiddischen Gass" ganz viel junge jiddische Kultur, junge bildende Kunst, das Heeb Magazine. Sehr komisch fand ich, dass viele Leute - ich arbeitete 30 Jahren in der Stadt - mich anriefen und sagten: "Ich wusste gar nicht, dass du jüdisch bist!" Ich mag es überhaupt nicht, dass man erst jüdisch und dann Schauspielerin ist. Ich hätte es gern umgekehrt. Wenn wir schon darüber reden, spreche ich auch gerne über die Zerrissenheit meiner jüdischen Familie, die alle Klischees durchbricht. Ich bin im katholischen Internat bei den Nonnen groß geworden. Das sind alles Dinge, für die man hier so Schubfächer hat. Jüdische Nachkriegs- Holocaust Geschichte ist unglaublich durchwachsen und durchdrungen. Es ist nicht: Kippa auf dem Kopf und "Hallo, ich bin jüdisch", das ist einfach Unsinn.
Ich würde gern eines meiner nächsten Projekte, über meine Familie machen, in der es jüdische Antisemiten gibt. Nach dem Holocaust hatten wir das erste Familientreffen. Die kamen aus Peru, Argentinien überall her. Ein Teil der Familie tut so, als wäre sie nicht jüdisch, das haben sie auch ihren Kindern nicht erzählt. Die heißen Lukac und ein Teil heißt immer noch Loevy. Das war aber mehr der weibliche Teil, der nicht konvertiert ist.Dazu habe ich gesagt: "Das ist ja wunderbar. Ich habe hier eine Familie, die jüdisch bis ins 16. Jahrhundert ist und die andere ist arisch bis ins 16. Jahrhundert. Der einzige Nachteil ist nur: Sie sind miteinander verwandt."
AVIVA-Berlin: Wollen Sie die Original-Schauspieler, sollen die Familien-Mitglieder mitspielen?
Peggy Lukac:Also, ich werde da mitspielen.
Es gibt Dokumentarmaterial, das rasend komisch ist, weil ein großer Teil der Geschichten gar nicht wahr ist. Mein Vater hat sich eine Widerstandsbewegung an den Leib gedichtet, geht in amerikanische Schulen erzieht sie alle zu ehrlichen Antifaschisten. Die Kinder sind unglaublich berührt, aber es stimmt kein Satz, den er dort erzählt. Er erzählt aber nicht seine durchaus erzählenswerte Geschichte Ich habe meinen Vater erst mit 42 kennen gelernt. Er setzte 3 Kinder mit verschiedenen Frauen in die Welt, um die er sich nie gekümmert hat. Heiratete dann mit 50 eine Frau, die sage und schreibe 9 Kinder hat. Er ist heute ein wunderbarer Vater, er ist "best man von Long Beach", es ist eine "Dr.Jekyll - Mr..Hyde" Geschichte.
Diese Geschichten sind so verwoben, ich würde sie gerne als Familien-Puzzle realisieren. Wie ich das mache, weiß ich heute noch nicht.
AVIVA-Berlin: Das könnte FilmproduzentInnen interessieren...
Peggy Lukac: Ja, viele Leute sagen, dass es ein Drehbuch ist. Was hier noch fehlt, sind Cross-Over Geschichten. Es ist nicht alles so gradlinig wie man sich das vorstellen möchte. Es ist chaotisch, aber es gehört auch dazu. Nicht umsonst sagt man: 2 Juden, drei Meinungen.
AVIVA-Berlin: Sie spielten bereits am Grips-Theater, am Renaissance-Theater, an dem von Ihnen mitgegründeten politischen Volkstheater "Theatermanufaktur" und mehrere Jahre am Schiller-Theater. Heute bewegen Sie sich zwischen eigenen, freien Theaterproduktionen und als Gast an festen Häusern. Was reizt Sie an dieser Mischung und was ist Ihnen hier besonders wichtig?
Peggy Lukac: An der Mischung reizt mich im wesentlichen, dass man nicht festgefahren ist, dieses Kästchendenken nicht hat. Auch traditionelles Theater kann sehr aufregend sein, und Off-Theater ganz langweilig. Das ist im Grunde das, was ich mir in dieser Stadt wünsche, dass sie weniger in festgefahrene Szenen unterteilt ist.
Teil 1 des Interviews mit Peggy Lukac finden Sie
hier