Mazel Tov in Berlin - ein Interview mit Holly-Jane Rahlens - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Interviews



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 15.09.2002


Mazel Tov in Berlin - ein Interview mit Holly-Jane Rahlens
Sharon Adler

1972 kam die damals 22-jährige New Yorkerin "der Liebe wegen" nach Berlin, heute ist die "gelernte Berlinerin" nicht nur durch ihre Romane "Becky Bernstein goes Berlin" ...




... und "Mazel Tov in Las Vegas" bekannt. Sie arbeitete für den Rias Berlin, inszenierte szenische Lesungen und One-Woman-Shows. Ihr neuestes Buch "Prinz William, Maximilian Minsky und ich", eine durch prickelnde Situationskomik deutsch-jüdisch-amerikanische Lovestory für alle ab 12 Jahren, wird 2003 verfilmt.

AVIVA-BERLIN: Wer wird denn den Film produzieren? Wäre Woody Allen Dein Wunschregisseur?
Holly-Jane Rahlens:
Der Film wird von X-Filme produziert, der Regisseur steht noch nicht fest. Aber Woody Allen? Nein, der ist viel zu eigen. Meinetwegen könnte er natürlich meinen Film machen. Dennoch würde ich nicht behaupten, dass Woody Allen der beste Regisseur für mein Werk wäre. Obwohl, schwer zu sagen, wir haben schon sehr ähnliche Momente, die nicht nur witzig sind, sondern auch eine gewisse Demut hervorbringen. Aber es gibt noch mehr Regisseure, die tolle Arbeit machen und die auch jüdisch sind und die genauso gut für meinen Stoff wären.

AVIVA-BERLIN: Du bist in Brooklyn aufgewachsen, in einer "hochneurotischen jüdisch-amerikanischen Familie mit Zwergschnauzer". Warum, denkst Du, geht es eigentlich in fast allen jüdischen Familien zu wie in den Filmen von Woody Allen?
Holly-Jane Rahlens:
Das ist irre schwierig zu sagen. Einerseits ist das ein Stereotyp, andererseits haben Stereotypen immer einen Kern Wahrheit. Man sieht immer irgendwelche Familienstreite am Esstisch. Warum sind wir so? Vielleicht sind Juden eher emotional und lassen gleich irgendwelche Wut oder Humor raus, ich weiß es nicht.
Möglicherweise sind wir hochneurotisch und nicht so kontrolliert wie die Deutschen. Die Deutschen fressen mehr in sich hinein, sind moderater, zumindest an der Oberfläche.
Ich glaube, da ist manchmal sehr viel Wut dahinter. Man denkt, da ist eine gewisse Höflichkeit im Alltag in der Familie, die man bei einer New Yorker jüdischen Familie nicht hat. Dort geht es immer zack zack, da wird ganz direkt rumgestritten und rumgeschrien usw.
Vielleicht ist es aggressiv, vielleicht auch nicht, das ist eben Alltag.
Die Deutschen sind in der Beziehung eher verklemmt, lassen Sachen immer erst kochen, bis was passiert. Aber dann, wenn etwas passiert, möchte ich ehrlich gesagt nicht dabei sein.
Also ich sage immer gleich, wenn mich etwas stört und mein Mann, der empfindet es manchmal als Last für den Alltag.

Fotos © Sharon Adler
Ich würde manchmal lieber ein wenig souveräner sein wollen.

AVIVA-BERLIN: In all deinen Büchern geht es um das ganz alltägliche jüdische Leben in Berlin...wie sieht Deines aus?
Holly-Jane Rahlens:
Ich habe im Prinzip nicht wirklich ein alltägliches jüdisches Leben.
Erst als mein Sohn Noah vor sechs Jahren geboren wurde, habe ich eher unbewusst mein jüdisches Leben wieder aufgenommen.
Zum Beispiel esse ich seit dieser Zeit kein Schweinefleisch mehr.
Im Prinzip ich bin nicht religiös und ich war nie religiös. Dennoch habe ich immer ein gutes Gefühl dafür gehabt, Jüdin zu sein. Ich bin immer sehr stolz gewesen auf Juden, die große Sachen für die Menschheit vollbracht haben.
Und ich hatte immer ein Gespür für die jüdische Kultur, weil ich finde, dass es wichtig ist, zu wissen, wo man herkommt.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn Noah Hebräisch lernen würde und eine Bar Mitzwa hätte. Man kann selber entscheiden, wie wichtig oder unwichtig es einem ist. Es ist, finde ich wichtig zu wissen, wo man sich zugehörig fühlen kann.

AVIVA-BERLIN: Wenn Du das Lebensgefühl in New York mit dem Lebensgefühl in Berlin vergleichst - warum bist du hier und nicht dort?
Holly-Jane Rahlens:
Ich bin als junge Frau mit 22 nach Berlin gekommen. Ich kenne eigentlich nur Berlin. Und ich habe nie in New York in meinem Beruf gearbeitet. Ich habe nie als Erwachsene in New York gelebt und deshalb auch nicht das Lebensgefühl von dort kennen gelernt. Und daher, so richtig vergleichen kann ich das nicht.

AVIVA-BERLIN: Was liebst du und was nervt Dich am meisten an Berlin?
Holly-Jane Rahlens:
Es hält mich hier, dass ich hier meinen Mann und mein Kind habe. Ich habe mich an das Lebensgefühl gewöhnt. Und auch die Quality of Living ist hier viel größer.
Man kann hier mit dem gleichen Geld einfach viel mehr machen als in New York.
Ich habe hier eine wunderschöne große Wohnung, und für die gleiche Wohnung in New York müsste man schon - ich will nicht sagen ein Filmstar sein - aber man müsste schon sehr viel Geld haben.
Auch der Rhythmus von Berlin gefällt mir. Es ist viel relaxter.
Gerade in meinem Beruf oder generell in der Medienbranche, müssen die Leute in New York arbeiten, arbeiten, arbeiten - 24 Stunden am Tag.
Ich arbeite auch sehr viel, aber nicht 24 Stunden am Tag.
Hier legt man viel Wert auf Urlaub und Freizeit.
Als ich noch nicht verheiratet war, war ich sehr viel unterwegs, war viel essen.
In New York kann man das natürlich auch machen, aber es ist viel teurer.
Außerdem liegt dort der Schwerpunkt eher auf Sport.
Sport ist die Nummer eins im New Yorker Leben.
Hier sind eher andere Dinge wichtig - die Interessen sind einfach breitgefächerter.

[Foto: Holly Jane Rahlens- ©  Sharon Adler] Auch in Berlin gibt es viele Dinge, die mich nerven.
Mich nervt manchmal, wie die Leute mit Space umgehen. Sie sind rücksichtslos.
Vor ein paar Tagen war ich mit meinem Sohn in der U-Bahn. Dort hielt sich Noah an dieser Mittelstange fest, da kam irgendein Mann, vielleicht 35 Jahre alt, und wollte durch.
Ich wollte Noah gerade sagen, er soll den Mann durchlassen, da hatte der Mann die Frechheit, die Hand von meinem Sohn zu nehmen und ihn ganz brüsk weg zu stoßen.
Allein das hat mich unheimlich genervt. Ich hab zu ihm gesagt "Was denken Sie sich eigentlich dabei?!". In New York würden alle anderen Leute hinsehen, sich einmischen.
Aber hier: Sie sagen nicht nur nichts, sie schauen mich auch noch an, als wenn ich krank wäre, als ob es unmöglich wäre, dass ich die Frechheit habe, einen erwachsenen Mann in der U-Bahn anzuschreien.
Oder es nervt mich zutiefst, wenn ich im Supermarkt bin, zehn Leute stehen Schlange und wollen an der Kasse zahlen. Aber niemand kommt auf die Idee zu sagen "Bitte eine Kasse aufmachen!".
Ich stehe hinten, habe keinen Bock ewig anzustehen und rufe dann eben nach vorne "Würden Sie bitte eine zusätzliche Kasse aufmachen!".
Die Leute drehen sich um, und man denkt, dass sie sicherlich froh sind, dass ich das gesagt habe, da sie auch keine Lust haben, lange anzustehen.
Nein. Die gucken dich an, als ob du ein Stück Dreck wärst. Und so was hasse ich in Deutschland und das meine ich auch wirklich so.

AVIVA-BERLIN: Woher nimmst Du diese unglaublichen Ideen für Deine Bücher - welchen Anteil haben autobiographische Erfahrungen in Deinen Geschichten?
Holly-Jane Rahlens:
In "Becky Bernstein" zum Beispiel waren einige Erfahrungen von Becky als jüdischer Amerikanerin in Berlin autobiographisch erlebt.
Aber tatsächlich ist es bei Becky so, dass sie von ihrem Freund verlassen wird und sich dann sagt, so, jetzt will ich mein Leben aufräumen.
Ich und meine Wohnung werden auf Diät gehen, ich schmeiße alles Überflüssige aus meinem Leben raus und fange neu an.
Diesen Neuanfang habe ich auch selbst gemacht, nicht wegen eines Mannes.
Mit Ende Dreißig habe ich einfach das Bedürfnis danach gehabt.
Ich habe meine Wohnung von der einen Ecke zur anderen Ecke aufgeräumt und alles weggeschmissen, was ich nicht mehr gebraucht habe.
Dabei hatte ich ein Diktiergerät laufen und habe immer aufgenommen, wenn mir irgendwas durch den Kopf gegangen ist. Das war die Ursprungsidee für dieses Buch.

Prinz William ist wirklich eine Geschichte, die ich von Anfang bis Ende erfunden habe.
Nelly hat von mir einen hohen IQ bekommen. Ich habe so einen IQ nicht, ich weiß gar nicht wie hoch mein IQ ist - ist ja auch wurscht.
Die Mutter von Nelly, eine amerikanische Jüdin, ist nicht Holly.
Aber natürlich verstehe ich solche Frauen sehr gut.
Sicher ist diese Lucy eine Zusammenstellung von vielen Frauen, die ich kenne.
Ich bin sehr stolz auf bestimmte Figuren in diesem Buch, z.B. Risa.
Die alte Frau habe ich erfunden, weil ich mich an viele Großmütter meiner Freundinnen erinnern kann.
Bei ihnen lebten drei Generationen zusammen und ich glaube, ich habe meine Freundinnen darum beneidet, dass sie eine Großmutter zu Hause hatten, die ihr Leben bereichert hat.
Aber natürlich kommt immer ein wenig Autobiographie bei jedem Autor dazu. Wo soll es denn sonst herkommen, wenn nicht aus dem eigenen Herzen und aus dem eigenen Kopf?

AVIVA-BERLIN: An was schreibst Du gerade? Was sind Deine nächsten Projekte?
Holly-Jane Rahlens:
Prinz William wird in Kinofilm und ich muss für den Film noch eine weitere Drehbuch-Fassung machen.
Mein Roman "Mazel Tov in Las Vegas" wird auch verfilmt.
Ich habe Ideen für weitere Bücher. Es gibt ganz bestimmt einen dritten und letzten Teil von Becky Bernstein, aber ich weiß nicht, wann ich das schaffe.
Und es gibt möglicherweise eine Fortsetzung von "Prinz William, Maximillian Minsky und ich". So eine Nelly Sue Edelmeister ein bisschen älter, vielleicht mit 18 oder 20.
Vielleicht gibt es auch noch das eine oder andere Buch für Kinder.
Ich würde sehr gern etwas mit Englisch und Deutsch machen, weil das auch etwas ist, was ich gut kann.
Ich muss mal sehen, ich habe viele Projekte im Kopf.
Das Audiobook kommt übrigens im August 2002 bei HörCompany heraus. Ich bin auch Schauspielerin und ich spreche es selbst.

AVIVA-BERLIN: Wann hast Du denn mit dem Schreiben angefangen?
Warst Du erst Schauspielerin und dann Autorin?

Holly-Jane Rahlens:
Ich habe sowohl Schauspiel als auch Literatur studiert.
Als ich nach Berlin kam, habe ich sehr viel Glück gehabt und gleich einen Job beim Rias bekommen.
Ich habe nie Nachrichten gemacht und weniger streng journalistisch gearbeitet, sondern eher verspielt und erfinderisch geschrieben.
Ich habe sehr schnell, eher ein bisschen schauspielerisch, moderiert.
Meine liebste Arbeit beim Hörfunk war immer das Sprechen. Ich habe es so geliebt, etwas zu schreiben und es dann gleich zu sprechen.
1988 fing ich an, eher belletristisch zu schreiben, Erzählungen.
1986 habe ich angefangen, eigene Shows auf die Bühne zu bringen.
1989 kamen die Schauspielerei und das Schreiben dann zusammen.
Ich habe "One fine Day" als eine Art Bühnenerzählung für die Bühne geschrieben.
Heute ist es ein Kapitel in Becky Bernstein.
Meiner Meinung nach ist "Prinz William, Maximillian und ich" von allen meinen Arbeiten am reifsten.
Wenn mich heute jemand fragt was ich mache, sage ich: Ich bin Schriftstellerin.

[Foto: Holly Jane Rahlens- ©  Sharon Adler]AVIVA-BERLIN: Hast Du Dir vorher schon vorstellen können, dass Deine Bücher verfilmt werden?
Holly-Jane Rahlens:
Ja, in meinen Träumen habe ich mir das so vorstellen können.
Ich kann nicht sagen, dass es für mich eine Überraschung ist.
Denn es ist für mich keine Überraschung, dass die Leute meine Sachen gerne lesen, weil ich das auch gespürt habe, als ich auf der Bühne gespielt habe. Die Leute mögen diese Geschichten, sie wollen sie hören.

AVIVA-BERLIN: In deinem Buch "Maximillian Minsky..." sagt Risa, die 70 jährige polnische Jüdin und Freundin von Nellys verstorbener Großmutter: "Ja, warum nicht? Warum sollten wir nicht hier leben? Wer zum Teufel sind die denn? Warum sollten die nicht sehen, dass sie uns nicht alle umgebracht haben?"
Bist Du auch schon von amerikanischen Verwandten gefragt worden, wie Du in Deutschland leben kannst?

Holly-Jane Rahlens:
Direkt hat mich nie jemand gefragt. Aber ich denke, dass die Schwester meines Vaters damals meine Entscheidung, nach Deutschland zu gehen, ein bisschen merkwürdig empfunden hat. Und auch meine Cousinen aus der Familie, die zum Teil praktizierende Juden sind, haben das sehr seltsam gefunden. Ich denke, auf der Seite meiner Mutter, fand es ihre Schwester, die eine bekannte amerikanische Schauspielerin ist, merkwürdig, dass ich, die eine große Zukunft vor mir hatte, ausgerechnet nach Deutschland ging, wo ich mich nicht richtig entfalten kann. Aber nicht, weil ich Jüdin bin.
Viele Deutsche fragen, warum ich nach Deutschland gekommen bin.
Aber nicht, weil eine Jüdin nach Deutschland gekommen ist, sondern weil eine New Yorkerin nach Deutschland kam. Und da merke ich immer einen Mangel an Selbstwertgefühl von den Deutschen.
Das ist das Problem mit den Deutschen, dass sie sich nicht mögen. Sie können sich kaum vorstellen, dass jemand auch in ihrem Verein sein will.
Natürlich ist es viel subtiler und problematischer und natürlich haben die Deutschen immer noch ihr Kreuz zu tragen.
In meinem neuen Buch ist das auch ein Thema.


Interviews

Beitrag vom 15.09.2002

Sharon Adler