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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 28.09.2010


Jessy Howe im Interview
Tatjana Zilg

Rund um den Flughafen Tempelhof rockte und swingte es Anfang September 2010 gewaltig. AVIVA-Berlin nutzte die Gelegenheit und traf während der Popkomm die Sängerin Jessy Howe von The Raveners zu ...




... einem Gespräch über die Vor- und Nachteile des Musikerinnenseins in virtuellen Zeiten, über die Schnittmenge von Swing und Rock, über das Live-Spielen und ihre Debüt-CD "Ravenous".

AVIVA-Berlin: Ihr kommt auf der Bühne und von CD sehr energiegeladen herüber. Wo nehmt Ihr all die Energie her, die Ihr auf der Bühne ausstrahlt?
Jessy Howe: Der Kern der Band besteht aus dem Gitarristen und Produzenten Chris Muzik, dem Bassisten Géza Burghardt und mir selbst. Wir haben eine sehr ambivalente Beziehung untereinander. Chris und ich sind manchmal wie zwei Zwillingsschwestern, wir streiten, lieben einander und streiten wieder. Geza sorgt dann immer dafür, dass wir uns wieder versöhnen. Eigentlich wollen wir extrovertiert und leicht aggressiv sein, nicht introvertiert. Aber im positiven Sinn. Zu unserer Lebendigkeit bei den Bühnenauftritten trägt die positive Streitkultur innerhalb der Band viel bei.

AVIVA-Berlin: Ihr beschreibt Eure Musik auf Myspace selbst als eine Mischung aus Swing und Rock. Wie ist die Idee entstanden, diese beiden teils doch eher konträren Musikstile miteinander zu verbinden?
Jessy Howe: Es gibt einige Titel, in die wir Elemente aus den 30er Jahren integrieren. Als wir im Jahr 2007 die Band gegründet haben, arbeiteten wir viel mit Jazz-Elementen, auch ein wenig beeinflusst von Billie Holiday. Dann wurde es mehr und mehr rockig. Die Single "You gotta swing" spiegelt gut, was wir unter Swing Rock verstehen. Die rockigen Einflüsse sind da schon sehr kräftig.

AVIVA-Berlin: Woher kommt Euer Interesse am Swing? Ist das ein Musikstil, den ihr persönlich mögt? Woraus ist die Idee entstanden, mit diesen Stil zu spielen?
Jessy Howe: Der Anlass dazu war vor allem meine Stimme. Ich habe viel Swing in der Stimme und einen gewissen Hang zur nostalgischen Romantik. Meine Stimme erinnert oft an die Art der Sängerinnen der 30er Jahre. Ich habe selbst mit Jazz und Blues angefangen.

AVIVA-Berlin: Aus der Schweiz sind in letzter Zeit vor allem Songwriterinnen wie Sophie Hunger in Deutschland bekannt geworden.
Jessy Howe: Ja, Sophie Hunger hat eine gewaltige Stimme und kommt sehr intensiv herüber. Man merkt bei ihr, dass sie einfach loslassen kann, die Umgebung wird ihr egal und nur noch die Musik ist ihr wichtig. Es gibt aber auch noch viele andere super Sängerinnen und Künstlerinnen in der Schweiz.

AVIVA-Berlin: Ihr kommt aus Zürich. Wie würdest Du die Musikszene dort beschreiben?
Jessy Howe: Nun, dort ist - wie woanders auch - die eigene Sprache sehr nachgefragt. Es gibt viele KünstlerInnen, die in Mundart, im Schwyzerdütsch, singen. Das kann man natürlich nicht in Deutschland veröffentlichen. Aber auch wenn man Englisch als internationale Sprache nutzt, bleibt es dennoch schwierig, sich auf dem internationalen Musikmarkt durchzusetzen - in England, in Skandinavien genau wie in Deutschland.
Ich denke auch, der Schweizer Nationalstolz ist da eben nicht so groß wie der in anderen Ländern. Nach Außen zu gehen erfordert Mut und zum anderen sind die Schweizer oft auch ein bisschen verwöhnt: Sie haben einen guten Job, alles ist schön geregelt und nebenbei machen sie ein paar Gigs und können damit etwas Geld dazuverdienen.
Einen Bus zu mieten, um acht Stunden nach Deutschland zu fahren, nur um hier ein Konzert zu geben und das noch selbst zu finanzieren, lässt viele davor zurückschrecken, den Versuch zu unternehmen, ihre Musik im Ausland bekannter zu machen.

AVIVA-Berlin: Das Finanzielle spielt folglich eine große Rolle dabei, dass die Bands den Schritt über die Grenze nicht wagen?
Jessy Howe: Ja, anders ist es erst, wenn man eine CD in Deutschland veröffentlicht hat und damit auf ein größeres Interesse stößt. Dann wird es natürlich viel leichter, eine internationale Tour zu organisieren.

AVIVA-Berlin: Wie lange seid Ihr schon im Musikgeschäft? Seit 2007 gibt es Eure Band, warst Du vorher schon als Musikerin und Sängerin aktiv?
Jessy Howe: Ja, ich war davor schon bei anderen Bands aktiv. Alle Mitglieder von The Raveners spielen entweder nebenbei noch in anderen Bands oder haben früher in anderen Bands mitgemacht. Zudem ist es so, dass ich vor ein paar Jahren das große Glück hatte, mich selbständig machen zu können: Ich singe bei Privatanlässen nach dem Gusto der Gäste. Das macht mir super viel Spaß und ich habe viel dadurch gelernt. Mit The Raveners kann ich viel von meiner eigenen Kreativität ausleben und umsetzen. So ergänzt sich beides gut miteinander.

AVIVA-Berlin: Hast Du eine klassische Gesangsausbildung?
Jessy Howe: Ursprünglich wollte ich Schauspielerin werden und habe dann aber gemerkt, ich brauche mehr Druck, um mich weiter zu entwickeln. Ich bin dann auf die Musik gestoßen und habe bei einer sehr guten Sängerin in Zürich Unterricht genommen.
Durch Chris, unseren jetzigen Produzenten, habe ich viel dazugelernt. Er hat mich sozusagen gedrillt und meinen Ehrgeiz gefördert. Heute sehe ich es so, dass jeder Auftritt auch ein Versagen ist, da man immer nach mehr Perfektion strebt. Es braucht einfach Geduld und Zeit: Man muss da immer dranbleiben. Es hilft viel, wenn man gute Lehrer, Kollegen und einen Mentor hat.

AVIVA-Berlin: Wie haben The Raveners zusammengefunden?
Jessy Howe: Chris Muzik und ich kennen uns schon seit mehr als zehn Jahren. Die anderen sind auf Anfrage hinzugekommen. Sie sind eine Riesenbereicherung, denn sie machen das alle von Herzen und nicht hauptsächlich, um Geld zu verdienen. Der Schlagzeuger ist allerdings schon der Fünfte, der bei uns mit dabei ist. Die guten Schlagzeuger sind in der Schweiz sehr nachgefragt.

AVIVA-Berlin: Wie ist es für Euch, bei der Popkomm mit dabei zu sein, die dieses Jahr eine Kombination aus einer großen Musikmesse und einem weit gefächerten Live-Festival ist? Warst Du auf der Messe?
Jessy Howe: Ich war vorhin eine Stunde im Flughafen auf der Fachmesse und habe Flyer für unser Showcase verteilt. Hier zu spielen ist natürlich eine Riesenreferenz, weil jeder die Popkomm kennt. Der Musikmarkt ist leider ziemlich in sich zusammengefallen und da ist es toll, auf einer Messe spielen zu können und die Möglichkeit zu haben, seinen Namen ohne allzu großen Aufwand bekannter machen und die Musik vorstellen zu können. Wir haben uns via Sonicbids angemeldet und haben von ihnen Unterstützung bei der Visabesorgung und Kontakthilfen zur deutschen Musikwirtschaft bekommen. Dass das so gut geklappt hat, hing auch damit zusammen, dass wir schon länger Musik machen und eine CD veröffentlicht haben. Ich glaube, wenn man ganz frisch im Musikgeschäft ist, wäre das schon schwieriger.

AVIVA-Berlin: Bleibt Ihr noch etwas in Berlin und schaut Euch auf der Popkomm und der Berlin Music Week um?
Jessy Howe: Nein, das geht leider nicht. Morgen singe ich auf einer Hochzeit und wir müssen deshalb bald wieder zurückfahren. Chris hat auch einen Auftritt und die Anderen müssen ebenfalls wieder arbeiten. Ansonsten würde ich gerne ein wenig länger in Berlin bleiben. Was ich bisher von Berlin gesehen habe, vor allem Kreuzberg, finde ich extrem charmant. Ich verstehe völlig, warum die Leute gerne nach Berlin kommen.

AVIVA-Berlin: Wie seht Ihr die Diskussion um den Einfluss der digitalen Medien und des Internets auf den Musikmarkt? Habt Ihr das Gefühl, dass es heute schwerer ist, sich als Profi-Band zu behaupten als vor zehn Jahren?
Jessy Howe: Ja, die Downloads gefährden den Musikmarkt schon sehr. Die Leute unterschätzen einfach, was es für ein Aufwand ist, Musik zu machen, und welche Kosten dafür notwendig sind, wenn sie die Songs gratis herunterladen und dadurch weniger CDs kaufen. Im Leben ist nichts umsonst und natürlich müssen die Künstler auch von etwas leben. Ich glaube, die Leute schneiden sich damit ins eigene Fleisch. Die Musik darf nicht wertlos werden. Vielleicht ist die Zukunft Live-Entertainment, denn das kann man nirgends downloaden.

AVIVA-Berlin: Was sind Eure Pläne für die Zukunft?
Jessy Howe: Es wird ein zweites Album geben, welches nächstes Jahr erscheinen soll. Wir sind gerade dabei, es zu produzieren und hoffen, dass es dann noch CDs geben wird (lacht). Auf jeden Fall möchte ich kreativ tätig bleiben. Solange die Leute uns sehen und hören wollen, solange werden wir Musik machen.

The Raveners im Netz:

http://theraveners.com/
www.myspace.com/theraveners

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Unsere Rezension zu "Ravenous" von The Raveners im Netz.



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Beitrag vom 28.09.2010

AVIVA-Redaktion