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Interviews
AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 -
Beitrag vom 01.10.2002
Dr. Alice Brauner, 2. Teil
Sharon Adler
Die Journalistin interviewte Holocaust-überlebende für die Spielberg-Stiftung "Survivors of the Shoah Visual History Foundation"
AVIVA-BERLIN: Israel, die Araber und Afghanistan. Wie sieht Ihre Meinung dazu aus?
Dr. Alice Brauner: Vor kurzem habe ich Jürgen Möllemann (FDP), der auch Vorsitzender irgendeiner deutsch-arabischen Wirtschaftsvereinigung ist, bei Sabine "Christiansen" gesehen und habe mich sehr über seine Äußerungen aufgeregt. Er hat sinngemäß folgenden Satz gesagt: "Solange Israel nicht mit der Besetzungspolitik aufhört, werden wir hierzulande nicht sicher vor Terrorismus sein." Das ist ein Skandal!
Er ist nicht dort, er lebt nicht die Angst, mit der dort täglich Freunde und Verwandte leben. Er hat keine Ahnung, wie es ist, ein Kind morgens zur Schule oder zum Kindergarten zu bringen mit der Angst, Opfer eines Anschlages zu werden. Israel ist nicht willkürlich entstanden, sondern weil es Hitler gab.
Die Existenzberechtigung Israels wurde in einer Abstimmung der Vereinten Nationen beschlossen. Es ist skandalös, die terroristischen Anschläge unmittelbar mit Israel zu verknüpfen, das natürlich auch ein Teil einer Ursache ist, aber es gibt so viele andere Ursachen, zum Beispiel:
Dass der Islam bis zum Mittelalter an der Weltspitze war, in der Kultur, in der Wissenschaft, in der Wirtschaft. Heute spielt er in der modernen Welt überhaupt keine Rolle mehr.
Dass Amerika Saudi-Arabien während des Golfkrieges hilft, einmarschiert, aber nicht wieder herausgeht, nachdem der Krieg beendet ist.
Dass es schon etwas mit amerikanischer Politik zu tun hat, die ich übrigens sehr positiv bewerte, obwohl ich natürlich auch komplett gegen zivile Opfer im Afghanistan-Krieg bin wie jeder andere Mensch auch.
Glauben Sie, einer von uns jüdischen Menschen hier freut sich über die Politik, die Israel fahren muss? Bin ich glücklich, wenn palästinensische Kinder auf der Straße umgebracht werden? Die tun so, als würden wir das toll und riesig finden. Die tun so, als würden wir uns freuen, wenn die USA in Afghanistan einmarschiert und Bomben wirft und die Zivilbevölkerung getroffen wird.
Das erschüttert alle. Man versucht zwar, nur militärische Ziele zu treffen, aber das geht scheinbar nicht. Man muss auch leider Gottes diese Opfer mit einkalkulieren. Das ist schrecklich - auch in Israel.
Aber Israel hat ein anderes Problem: Die ganze Welt, auch die arabischen Staaten, muss endlich die Existenzberechtigung Israels anerkennen, und dann wird auch Israel bereit sein, Zugeständnisse zu machen, die übrigens Barak sehr weitgehend gemacht hat. Weiter als Barak konnte man ja gar nicht mehr gehen.
Israel war schon wirklich dabei, alles zu geben, und dann hat sich Arafat wieder irgendeiner Wortklauberei bedient, und so den Friedensprozeß zunichte gemacht. Die Konsequenz war: Die Israelis hatten die Nase voll und wählten den rechtsgerichteten Sharon.
AVIVA-BERLIN: Was halten Sie von der Berichterstattung zu dieser Thematik?
Ich persönlich halte die Berichterstattung in den meisten Medien für einseitig anti-israelisch.
Dr. Alice Brauner: Das ist nicht immer so. Es gibt Medien, die objektiv berichten. Es gibt Korrespondenten, die sind hervorragend und auch wirklich neutral. Sie schildern das, was passiert. Aber ansonsten berichtet der größte Teil, da stimme ich zu, anti-israelisch.
Ich erkläre mir das einfach so: Sie sehen nur das, was passiert, nur die Tat in einer Momentaufnahme. Aber sie können sich überhaupt nicht in das Land hinein versetzen und die Zustände dort verstehen, sie waren nie, oder nie für längere Zeit, da. Sie haben keine Ahnung, was es bedeutet, Angst vor Bombenattentaten, vor Krieg und vor Kanonendröhnen zu haben. Sie sitzen hier, das sage ich noch einmal, saturiert, haben alles, was sie brauchen, und haben keine Ahnung, was die Leute dort empfinden. Und so kann man keine Berichterstattung machen.
Deshalb sehen die Korrespondentenberichte anders aus als die Kommentare von Journalisten, Moderatoren und Nachrichtensprechern, die nicht vor Ort sind. Sie sehen immer nur die Vorstöße Israels, aber nicht, was alles dahinter steckt. Sie verstehen nicht die palästinensische Mentalität, die Kinder, die, dafür können sie nichts, mit einem Riesenhass aufwachsen. Das können viele nicht wissen, aber sie sollten es auf jeden Fall einmal lernen, bevor sie über den Nahostkonflikt berichten.
Alle sehen immer nur den Aggressor Israel. Das ist eine einseitige, für mich unangemessene Berichterstattung, denn sie entspricht nicht der journalistischen Sorgfaltspflicht, die man haben müsste, um dem Problem auch nur halbwegs gerecht zu werden.
AVIVA-BERLIN: Zu den Anschlägen vom 11. September . Die Gründe dafür wurden auch in der amerikanischen Politik mit Israel genannt.
Dr. Alice Brauner: Bin Laden hat doch nicht nur etwas gegen Israel. Er möchte die ganze Welt beherrschen, und zwar nach seinem islamistischen Prinzip, nicht nach den Grundwerten des Islam. Das ist das Problem. Er ist nicht nur eine Bedrohung für die westliche Welt, sondern für die ganze Welt.
AVIVA-BERLIN: Sie sind Jüdin. Die Feiertage stehen vor der Tür. Wird es einen Weihnachtsbaum bei Ihnen geben? Feiern Sie Weihnachten und/oder Channukah mit Ihren Kindern?
Dr. Alice Brauner: Mit meinen Kindern feiere ich ganz traditionell Channukah, mit kleinen Geschenken und mit dem Gebäck, das man zu Channukah traditionell isst. Ich erzähle ihnen die Channukah-Geschichte und versuche, ihnen zu erklären, warum wir kein Weihnachten feiern. Ich habe dazu eine Geschichte geschrieben "Mama, warum feiern wir kein Weihnachten?", die in einem Gespräch mit meinen Kindern entstanden ist. Sie ist zu lesen in einem Kinderbuch mit dem Titel: "Pfeif der Angst ein Liedchen", erschienen bei Edition Riesenrad.
AVIVA-BERLIN: Was lesen Sie gerade?
Dr. Alice Brauner: Ich muss natürlich Bücher zur Sendung lesen, und ich lese im Moment etwas, was mich über alle Maßen erschüttert hat. "Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen" von Siba Shakib, die zu mir in die Sendung kommen wird.
Das Schicksal, das die Menschen dort erleiden, ist unvorstellbar. Selbst auf der Flucht werden Frauen vergewaltigt, Schwangeren wird der Bauch aufgeschlitzt, die Föten werden herausgenommen und auf die Straße geschmissen. Das ist doch totaler Wahnsinn.
Gleichzeitig lese ich für die Sendung ein Buch über den Maler Horst Janssen von Joachim Fest, "Horst Janssen. Selbstbildnis von fremder Hand".
AVIVA-BERLIN: Ihr Vater ist der Filmproduzent Artur Brauner. Nervt es Sie, wenn Sie immer wieder darauf angesprochen werden? Hatten Sie jemals Probleme, weil Ihr Vater so bekannt ist?
Dr. Alice Brauner: Die klassische Frage. Nein, ich bin stolz auf meine Eltern. Das, was sie mir mitgegeben haben, ist das beste, was sie mir hätten mitgegeben können.
Vielleicht hätte ich auch ganz gerne Film gemacht, weil es eben total spannend ist, aber dann hätte man mich immer mit meinem Vater verglichen. Und sein Talent ist außerdem in dieser Hinsicht um Längen größer.
AVIVA-BERLIN: Was bedeutet Familie für Sie?
Dr. Alice Brauner: Meine Familie ist alles für mich. Für meinen Mann, meine Kinder, meine Geschwister, meine Eltern gebe ich alles und aus Ihnen schöpfe ich all meine Kraft.